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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe

habn keinerlei politische Interessen verfolge, sondern nur wirtschaftliche Ziele
im Auge habe. Wir meinen, daß das wiederholte Betonen dieses Standpunkts,
auch wenn er als richtig anerkannt werden sollte, den Zwecken und den Ab¬
sichten, die damit verfolgt werde:,, uicht förderlich ist, denn nach unserm Dafür¬
halten lassen sich heutzutage wirtschaftliche und strategische Werte nicht von¬
einander trennen, und deshalb dürfen wir uicht mit den Handen im Schoß
den militärischen Vorgängen an der sich neu entwickelnden großen Handels¬
straße, von der hier die Rede ist, zuschauen und dürfen ebensowenig ohne
weiteres darauf rechnen, daß uns dort Handelscrfolge schon als reife Früchte
zufallen werden. Der beste Handelsweg ist unstreitig auch die beste strategische
Linie, das lehrt uns der Suezkanal; aber wie dieser seine große militärische
Bedeutung und seinen Wert für England nicht durch bloßes Zuschauen der
englischen Politik erlangt hat, so werde" auch die Bngdadbahn und der Per¬
sische Golf nicht zu demselben Ansehen gelangen, wenn nicht die Mächte, die
hier reelle Interessen haben, ihren Vorteil mit offnen Augen zu verfolgen
Wiss von Witz leben en,




Nationalitätskämpfe
5. Verteidigung

le schwersten Verluste erleidet ein zurückgedrängtes Volkstum
immer durch die Ungleichung seiner Angehörigen an die vor¬
dringende Nation, Da diese Ungleichung nur bei sehr ge¬
schwächtem Nationalbewußtsein in bedenklicherm Maße geschehn
kann, ist das wirksamste Mittel, ihr zu begegnen, die Weckung
und Lebeudighaltung des Nationalbewußtseins. Dadurch kann noch in letzter
Stunde ein völliger Umschwung der Dinge herbeigeführt werden, wenn es
gelingt, dieses Bewußtsein bis in die niedern Schichten des Volks hinab zu
beleben und zu kräftigen: das anfangs des neunzehnten Jahrhunderts scheinbar
einer unabwendbare" Verdeutschung verfallne Tschechentum ist durch eine solche
innere Wiedergeburt vom drohenden Untergange gerettet worden. Und auch
der Umschwung, der sich seit kurzem bei unsern Stammesgenossen in Österreich-
Ungarn anbahnte, ist vor allen Dingen aus das Wiedererwachen des deutschen
Sinnes zurückzuführen. Er hat an die Stelle dumpfer Verzweiflung, die die
Sache des Deutschtums in Österreich schon verloren geben zu müssen wähnte,
wieder eiuen frischen, fröhlichen Kampfcsmut gesetzt; er hat die erschlaffte
Widerstandskraft wieder aufgerüttelt und gestählt, die schon wankenden Reihen
des Deutschtums wieder zum Stehn und zum Ausharren im Kampfe vermocht.

Der Umschwung in der Entwicklung des österreichischen Deutschtums, wie
^ sich aus den letzten Volkszählungen ergiebt, zeigt mit aller Deutlichkeit,
w wie kurzer Zeit durch eine solche nationale Wiedergeburt scheinbar Verlorne
Höhlen wiedergewonnen werden können. Die weit stärkere Zunahme der


Nationalitätskämpfe

habn keinerlei politische Interessen verfolge, sondern nur wirtschaftliche Ziele
im Auge habe. Wir meinen, daß das wiederholte Betonen dieses Standpunkts,
auch wenn er als richtig anerkannt werden sollte, den Zwecken und den Ab¬
sichten, die damit verfolgt werde:,, uicht förderlich ist, denn nach unserm Dafür¬
halten lassen sich heutzutage wirtschaftliche und strategische Werte nicht von¬
einander trennen, und deshalb dürfen wir uicht mit den Handen im Schoß
den militärischen Vorgängen an der sich neu entwickelnden großen Handels¬
straße, von der hier die Rede ist, zuschauen und dürfen ebensowenig ohne
weiteres darauf rechnen, daß uns dort Handelscrfolge schon als reife Früchte
zufallen werden. Der beste Handelsweg ist unstreitig auch die beste strategische
Linie, das lehrt uns der Suezkanal; aber wie dieser seine große militärische
Bedeutung und seinen Wert für England nicht durch bloßes Zuschauen der
englischen Politik erlangt hat, so werde» auch die Bngdadbahn und der Per¬
sische Golf nicht zu demselben Ansehen gelangen, wenn nicht die Mächte, die
hier reelle Interessen haben, ihren Vorteil mit offnen Augen zu verfolgen
Wiss von Witz leben en,




Nationalitätskämpfe
5. Verteidigung

le schwersten Verluste erleidet ein zurückgedrängtes Volkstum
immer durch die Ungleichung seiner Angehörigen an die vor¬
dringende Nation, Da diese Ungleichung nur bei sehr ge¬
schwächtem Nationalbewußtsein in bedenklicherm Maße geschehn
kann, ist das wirksamste Mittel, ihr zu begegnen, die Weckung
und Lebeudighaltung des Nationalbewußtseins. Dadurch kann noch in letzter
Stunde ein völliger Umschwung der Dinge herbeigeführt werden, wenn es
gelingt, dieses Bewußtsein bis in die niedern Schichten des Volks hinab zu
beleben und zu kräftigen: das anfangs des neunzehnten Jahrhunderts scheinbar
einer unabwendbare» Verdeutschung verfallne Tschechentum ist durch eine solche
innere Wiedergeburt vom drohenden Untergange gerettet worden. Und auch
der Umschwung, der sich seit kurzem bei unsern Stammesgenossen in Österreich-
Ungarn anbahnte, ist vor allen Dingen aus das Wiedererwachen des deutschen
Sinnes zurückzuführen. Er hat an die Stelle dumpfer Verzweiflung, die die
Sache des Deutschtums in Österreich schon verloren geben zu müssen wähnte,
wieder eiuen frischen, fröhlichen Kampfcsmut gesetzt; er hat die erschlaffte
Widerstandskraft wieder aufgerüttelt und gestählt, die schon wankenden Reihen
des Deutschtums wieder zum Stehn und zum Ausharren im Kampfe vermocht.

Der Umschwung in der Entwicklung des österreichischen Deutschtums, wie
^ sich aus den letzten Volkszählungen ergiebt, zeigt mit aller Deutlichkeit,
w wie kurzer Zeit durch eine solche nationale Wiedergeburt scheinbar Verlorne
Höhlen wiedergewonnen werden können. Die weit stärkere Zunahme der


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[0647] Nationalitätskämpfe habn keinerlei politische Interessen verfolge, sondern nur wirtschaftliche Ziele im Auge habe. Wir meinen, daß das wiederholte Betonen dieses Standpunkts, auch wenn er als richtig anerkannt werden sollte, den Zwecken und den Ab¬ sichten, die damit verfolgt werde:,, uicht förderlich ist, denn nach unserm Dafür¬ halten lassen sich heutzutage wirtschaftliche und strategische Werte nicht von¬ einander trennen, und deshalb dürfen wir uicht mit den Handen im Schoß den militärischen Vorgängen an der sich neu entwickelnden großen Handels¬ straße, von der hier die Rede ist, zuschauen und dürfen ebensowenig ohne weiteres darauf rechnen, daß uns dort Handelscrfolge schon als reife Früchte zufallen werden. Der beste Handelsweg ist unstreitig auch die beste strategische Linie, das lehrt uns der Suezkanal; aber wie dieser seine große militärische Bedeutung und seinen Wert für England nicht durch bloßes Zuschauen der englischen Politik erlangt hat, so werde» auch die Bngdadbahn und der Per¬ sische Golf nicht zu demselben Ansehen gelangen, wenn nicht die Mächte, die hier reelle Interessen haben, ihren Vorteil mit offnen Augen zu verfolgen Wiss von Witz leben en, Nationalitätskämpfe 5. Verteidigung le schwersten Verluste erleidet ein zurückgedrängtes Volkstum immer durch die Ungleichung seiner Angehörigen an die vor¬ dringende Nation, Da diese Ungleichung nur bei sehr ge¬ schwächtem Nationalbewußtsein in bedenklicherm Maße geschehn kann, ist das wirksamste Mittel, ihr zu begegnen, die Weckung und Lebeudighaltung des Nationalbewußtseins. Dadurch kann noch in letzter Stunde ein völliger Umschwung der Dinge herbeigeführt werden, wenn es gelingt, dieses Bewußtsein bis in die niedern Schichten des Volks hinab zu beleben und zu kräftigen: das anfangs des neunzehnten Jahrhunderts scheinbar einer unabwendbare» Verdeutschung verfallne Tschechentum ist durch eine solche innere Wiedergeburt vom drohenden Untergange gerettet worden. Und auch der Umschwung, der sich seit kurzem bei unsern Stammesgenossen in Österreich- Ungarn anbahnte, ist vor allen Dingen aus das Wiedererwachen des deutschen Sinnes zurückzuführen. Er hat an die Stelle dumpfer Verzweiflung, die die Sache des Deutschtums in Österreich schon verloren geben zu müssen wähnte, wieder eiuen frischen, fröhlichen Kampfcsmut gesetzt; er hat die erschlaffte Widerstandskraft wieder aufgerüttelt und gestählt, die schon wankenden Reihen des Deutschtums wieder zum Stehn und zum Ausharren im Kampfe vermocht. Der Umschwung in der Entwicklung des österreichischen Deutschtums, wie ^ sich aus den letzten Volkszählungen ergiebt, zeigt mit aller Deutlichkeit, w wie kurzer Zeit durch eine solche nationale Wiedergeburt scheinbar Verlorne Höhlen wiedergewonnen werden können. Die weit stärkere Zunahme der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/647>, abgerufen am 29.04.2024.