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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Aursächsische Streifzüge

der meisten Eltern gefolgert haben, das Recht der Erziehung gebühre dem
Staate. Dieser hat denn auch, zuerst im philosophischen Preußen, das spar¬
tanisch-platonische Recht wieder geltend gemacht -- gegen alle Eltern ohne
Ausnahme in beschränktem Maße durch den Schulzwang und den Zwang zur
Militärdienstpflicht, in Füllen aber, wo das Elternrecht oder Unrecht gemein¬
schädliche Wirkungen erzeugt, durch die Zwangs- oder Fürsorgeerziehung ganz
unbeschränkt. Goethe sagt: "Man konnte erzogne Kinder gebären, wenn die
Eltern erzogen wären."

(Schluß folgt)




Kursächsische Htreifzüge
von V.G.Schmidt 6. Torgau (Schluß)

XMM
^ebrigens war Torgaus Glanz zu Beginn des achtzehnten Jahr¬
hunderts schon merklich zurückgegangen. Eine Feuersbrunst hatte
im Jahre 1599 den Teil des Nordflügels, der die Gemächer der
Kurfürstin enthielt, und den elbwärts daran anstoßenden hoch-
! ragenden Hasenturm in Asche gelegt; der Wiederaufbau des Turms
erfolgte nicht in der frühern Höhe, die Wiederherstellung der Gemächer nicht
in der alten Pracht. Weit mehr aber litt das Schloß in den Stürmen des
Dreißigjährigen Kriegs, namentlich 1637, als Bauer mit seinen zügellosen
Horden länger als vier Monate Torgau besetzt hielt. Immerhin galt Torgau
noch das ganze siebzehnte Jahrhundert lang neben Dresden als die bevor¬
zugteste Residenz des kursächsischen Hofes. Als aber Dresden unter August
dem Starken fast der alleinige Sitz des glänzenden Hofes wurde, und sich dort
der Adel fast des gesamten Lands seine Paläste baute, fiel Schloß Harten-
fels mehr und mehr der Vereinsamung und Vergessenheit anheim.

Nur in der Kriegsgeschichte hat Torgau, obwohl keine eigentliche Festung,
eine bedeutende Rolle weiter gespielt, zunächst im Zeitalter Friedrichs des
Großen. Der Scharfblick des großen Strategen hatte gleich beim Ausbruch
des dritten Schlesischen Kriegs die Wichtigkeit der Stadt erkannt, von wo
man, immer die Elbe als Deckung der linken Flanke benutzend, schnell in das
Herz der sächsischen Länder vordringen konnte. Deshalb dirigierte er die mittelste
der drei Kolonnen, die er am 28. August 1756 in Sachsen einrücken ließ,
auf Torgau; er richtete dort sofort ein preußisches Feldkriegsdirektorium ein
und ließ die Stadt befestigen. Seitdem war Torgau der nördlichste Punkt
der zu den Katzenhüusern, dem beherrschenden Punkte des Meißen-Nossener
Plateaus, und nach Dresden führenden "innern Linie," auf der er oder sem
Bruder Heinrich die zur Deckung Sachsens verfügbaren Streitkräfte in Eil-


Aursächsische Streifzüge

der meisten Eltern gefolgert haben, das Recht der Erziehung gebühre dem
Staate. Dieser hat denn auch, zuerst im philosophischen Preußen, das spar¬
tanisch-platonische Recht wieder geltend gemacht — gegen alle Eltern ohne
Ausnahme in beschränktem Maße durch den Schulzwang und den Zwang zur
Militärdienstpflicht, in Füllen aber, wo das Elternrecht oder Unrecht gemein¬
schädliche Wirkungen erzeugt, durch die Zwangs- oder Fürsorgeerziehung ganz
unbeschränkt. Goethe sagt: „Man konnte erzogne Kinder gebären, wenn die
Eltern erzogen wären."

(Schluß folgt)




Kursächsische Htreifzüge
von V.G.Schmidt 6. Torgau (Schluß)

XMM
^ebrigens war Torgaus Glanz zu Beginn des achtzehnten Jahr¬
hunderts schon merklich zurückgegangen. Eine Feuersbrunst hatte
im Jahre 1599 den Teil des Nordflügels, der die Gemächer der
Kurfürstin enthielt, und den elbwärts daran anstoßenden hoch-
! ragenden Hasenturm in Asche gelegt; der Wiederaufbau des Turms
erfolgte nicht in der frühern Höhe, die Wiederherstellung der Gemächer nicht
in der alten Pracht. Weit mehr aber litt das Schloß in den Stürmen des
Dreißigjährigen Kriegs, namentlich 1637, als Bauer mit seinen zügellosen
Horden länger als vier Monate Torgau besetzt hielt. Immerhin galt Torgau
noch das ganze siebzehnte Jahrhundert lang neben Dresden als die bevor¬
zugteste Residenz des kursächsischen Hofes. Als aber Dresden unter August
dem Starken fast der alleinige Sitz des glänzenden Hofes wurde, und sich dort
der Adel fast des gesamten Lands seine Paläste baute, fiel Schloß Harten-
fels mehr und mehr der Vereinsamung und Vergessenheit anheim.

Nur in der Kriegsgeschichte hat Torgau, obwohl keine eigentliche Festung,
eine bedeutende Rolle weiter gespielt, zunächst im Zeitalter Friedrichs des
Großen. Der Scharfblick des großen Strategen hatte gleich beim Ausbruch
des dritten Schlesischen Kriegs die Wichtigkeit der Stadt erkannt, von wo
man, immer die Elbe als Deckung der linken Flanke benutzend, schnell in das
Herz der sächsischen Länder vordringen konnte. Deshalb dirigierte er die mittelste
der drei Kolonnen, die er am 28. August 1756 in Sachsen einrücken ließ,
auf Torgau; er richtete dort sofort ein preußisches Feldkriegsdirektorium ein
und ließ die Stadt befestigen. Seitdem war Torgau der nördlichste Punkt
der zu den Katzenhüusern, dem beherrschenden Punkte des Meißen-Nossener
Plateaus, und nach Dresden führenden „innern Linie," auf der er oder sem
Bruder Heinrich die zur Deckung Sachsens verfügbaren Streitkräfte in Eil-


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[0672] Aursächsische Streifzüge der meisten Eltern gefolgert haben, das Recht der Erziehung gebühre dem Staate. Dieser hat denn auch, zuerst im philosophischen Preußen, das spar¬ tanisch-platonische Recht wieder geltend gemacht — gegen alle Eltern ohne Ausnahme in beschränktem Maße durch den Schulzwang und den Zwang zur Militärdienstpflicht, in Füllen aber, wo das Elternrecht oder Unrecht gemein¬ schädliche Wirkungen erzeugt, durch die Zwangs- oder Fürsorgeerziehung ganz unbeschränkt. Goethe sagt: „Man konnte erzogne Kinder gebären, wenn die Eltern erzogen wären." (Schluß folgt) Kursächsische Htreifzüge von V.G.Schmidt 6. Torgau (Schluß) XMM ^ebrigens war Torgaus Glanz zu Beginn des achtzehnten Jahr¬ hunderts schon merklich zurückgegangen. Eine Feuersbrunst hatte im Jahre 1599 den Teil des Nordflügels, der die Gemächer der Kurfürstin enthielt, und den elbwärts daran anstoßenden hoch- ! ragenden Hasenturm in Asche gelegt; der Wiederaufbau des Turms erfolgte nicht in der frühern Höhe, die Wiederherstellung der Gemächer nicht in der alten Pracht. Weit mehr aber litt das Schloß in den Stürmen des Dreißigjährigen Kriegs, namentlich 1637, als Bauer mit seinen zügellosen Horden länger als vier Monate Torgau besetzt hielt. Immerhin galt Torgau noch das ganze siebzehnte Jahrhundert lang neben Dresden als die bevor¬ zugteste Residenz des kursächsischen Hofes. Als aber Dresden unter August dem Starken fast der alleinige Sitz des glänzenden Hofes wurde, und sich dort der Adel fast des gesamten Lands seine Paläste baute, fiel Schloß Harten- fels mehr und mehr der Vereinsamung und Vergessenheit anheim. Nur in der Kriegsgeschichte hat Torgau, obwohl keine eigentliche Festung, eine bedeutende Rolle weiter gespielt, zunächst im Zeitalter Friedrichs des Großen. Der Scharfblick des großen Strategen hatte gleich beim Ausbruch des dritten Schlesischen Kriegs die Wichtigkeit der Stadt erkannt, von wo man, immer die Elbe als Deckung der linken Flanke benutzend, schnell in das Herz der sächsischen Länder vordringen konnte. Deshalb dirigierte er die mittelste der drei Kolonnen, die er am 28. August 1756 in Sachsen einrücken ließ, auf Torgau; er richtete dort sofort ein preußisches Feldkriegsdirektorium ein und ließ die Stadt befestigen. Seitdem war Torgau der nördlichste Punkt der zu den Katzenhüusern, dem beherrschenden Punkte des Meißen-Nossener Plateaus, und nach Dresden führenden „innern Linie," auf der er oder sem Bruder Heinrich die zur Deckung Sachsens verfügbaren Streitkräfte in Eil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/672>, abgerufen am 28.04.2024.