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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Unser Kaiser und die Kunst

Schar von freihcitschwärmenden jungen Männern, die für ihre persönlichen
Ideale in der russischen Gesellschaft nirgends einen festen Untergrund vorfanden.
Zwischen ihnen und dein alten Nußland lag das Werk Peters des Großen --
die Vernichtung der ständischen Gewalten. So hat der Dczemberaufstcmd den
Charakter einer Revolte, nicht den einer Erhebung der russischen Gesellschaft.
Dasselbe gilt auch von den zahlreichen spätern Verschwörungen und Aufständen,
sowie von den nihilistischen und anarchistischen Attentaten. Sie find die Symp¬
tome einer tiefen Unzufriedenheit, häufig auch der Ausfluß persönlicher Rache
und persönliche!? Hasses, und in den letzten Jahrzehnten können wir auch die
Wirksamkeit sozialistischer Theorie" verfolgen. Turgenjew hat in seinen sozialen
Romanen den Typus der russischen Weltverbesserer ohne Saft und Kraft, ohne
festen Ausgangspunkt und ohne klares Endziel mit Meisterhand gezeichnet.
Vergeblich suchen wir auch heute nach einer Partei, deren Programme nicht
nur den Umsturz der bestehenden Ordnung forderten, sondern auch die Her¬
stellung eines Neubaues verbürgten. Die Schwärmerei für staatsbürgerliche
Freiheit hat noch keinem Volke dauernd zur Bestimmung seiner Geschicke ver-
holfen, so lauge ihm die Fähigkeit fehlte, die Zügel zu erfassen und festzu¬
halten. Wo in Europa die beschränkte Monarchie den Absolutismus abgelöst
hat, da finden wir überall einen in der Schule der ständischen oder kommu¬
nalen Selbstverwaltung emporgewachsenen Stand, eine einflußreiche Bevölke-
ruugsschicht, die oft unter harten Kämpfen das Recht zur Ordnung ihrer An¬
gelegenheiten erst auf begrenztem Gebiet hat erwerben müssen, bevor sie an
die staatliche Selbstverwaltung herantreten konnte. Ein solcher Stand fehlt
in Nußland. Die Ansätze waren einmal gegeben, aber die petrinischen Re¬
formen haben sie vernichtet. In dieser Thatsache liegt noch heute die stärkste
Stütze der unbeschränkten Selbstherrschaft.




Unser Kaiser und die Kunst

is d
! er Kaiser an festlicher Tafel seinen Vildhnnern für ihre Arbeit
an einem großen, nun vollendeten Werke dankte, griff er in der
Freude seines Herzens das Lob so hoch, daß er meinte, nun
stehe die Berliner Schule auf eiuer Höhe wie einst die Plastik
zur Zeit der Renaissance. Er ist mehr als ein fürstlicher Lieb¬
haber der Kunst, das wird ihm jeder lassen, denn er kennt ihre Geschichte und
hat einen selbständigen Geschmack und auch ein sehr weitgehendes praktisches
Interesse, wenn es sich darum handelt, anzuregen und zu unterstützen. Manche
gehn weiter und erzählen von der treffenden Sicherheit seines Urteils, das ihn
zu einem wirklichen Kenner mache, und auch in dein Echo der Zeitungsstimmen,
das seine letzte Rede geweckt hat, wird er noch ein gründlicher Kenner der


Unser Kaiser und die Kunst

Schar von freihcitschwärmenden jungen Männern, die für ihre persönlichen
Ideale in der russischen Gesellschaft nirgends einen festen Untergrund vorfanden.
Zwischen ihnen und dein alten Nußland lag das Werk Peters des Großen —
die Vernichtung der ständischen Gewalten. So hat der Dczemberaufstcmd den
Charakter einer Revolte, nicht den einer Erhebung der russischen Gesellschaft.
Dasselbe gilt auch von den zahlreichen spätern Verschwörungen und Aufständen,
sowie von den nihilistischen und anarchistischen Attentaten. Sie find die Symp¬
tome einer tiefen Unzufriedenheit, häufig auch der Ausfluß persönlicher Rache
und persönliche!? Hasses, und in den letzten Jahrzehnten können wir auch die
Wirksamkeit sozialistischer Theorie» verfolgen. Turgenjew hat in seinen sozialen
Romanen den Typus der russischen Weltverbesserer ohne Saft und Kraft, ohne
festen Ausgangspunkt und ohne klares Endziel mit Meisterhand gezeichnet.
Vergeblich suchen wir auch heute nach einer Partei, deren Programme nicht
nur den Umsturz der bestehenden Ordnung forderten, sondern auch die Her¬
stellung eines Neubaues verbürgten. Die Schwärmerei für staatsbürgerliche
Freiheit hat noch keinem Volke dauernd zur Bestimmung seiner Geschicke ver-
holfen, so lauge ihm die Fähigkeit fehlte, die Zügel zu erfassen und festzu¬
halten. Wo in Europa die beschränkte Monarchie den Absolutismus abgelöst
hat, da finden wir überall einen in der Schule der ständischen oder kommu¬
nalen Selbstverwaltung emporgewachsenen Stand, eine einflußreiche Bevölke-
ruugsschicht, die oft unter harten Kämpfen das Recht zur Ordnung ihrer An¬
gelegenheiten erst auf begrenztem Gebiet hat erwerben müssen, bevor sie an
die staatliche Selbstverwaltung herantreten konnte. Ein solcher Stand fehlt
in Nußland. Die Ansätze waren einmal gegeben, aber die petrinischen Re¬
formen haben sie vernichtet. In dieser Thatsache liegt noch heute die stärkste
Stütze der unbeschränkten Selbstherrschaft.




Unser Kaiser und die Kunst

is d
! er Kaiser an festlicher Tafel seinen Vildhnnern für ihre Arbeit
an einem großen, nun vollendeten Werke dankte, griff er in der
Freude seines Herzens das Lob so hoch, daß er meinte, nun
stehe die Berliner Schule auf eiuer Höhe wie einst die Plastik
zur Zeit der Renaissance. Er ist mehr als ein fürstlicher Lieb¬
haber der Kunst, das wird ihm jeder lassen, denn er kennt ihre Geschichte und
hat einen selbständigen Geschmack und auch ein sehr weitgehendes praktisches
Interesse, wenn es sich darum handelt, anzuregen und zu unterstützen. Manche
gehn weiter und erzählen von der treffenden Sicherheit seines Urteils, das ihn
zu einem wirklichen Kenner mache, und auch in dein Echo der Zeitungsstimmen,
das seine letzte Rede geweckt hat, wird er noch ein gründlicher Kenner der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/80>, abgerufen am 29.04.2024.