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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Populäre Musikerbiographieil

aber passendere, gleichartigere und, fürchten wir, willkommnere Gäste als deutsche
Studenten werden sie trotz ihrer angeblichen "Minderwertigkeit" für Paris doch
gewesen sein.




populäre Musikerbiogrccphien

>cum die Biographie, die von jeher und für alle Gebiete mensch¬
licher Thätigkeit eine sehr beliebte, für Kunstgeschichte die aller-
geeignctste Form der Belehrung gewesen ist, heute gerade in der
Musikschriftstellerei besonders eifrig gepflegt wird, so hat das
! seinen Grund darin, daß im neunzehnten Jahrhundert das
musikgeschichtliche Wissen durch biographische Forschungen ganz erstaunlich
gefordert worden ist. Mit den Lebensbeschreibungen, die C. von Winterfeld
über Johann Gabrieli, die O. Jahr über Mozart, Fr. Chrysander über Händel,
PH. Spitta über Seb. Bach, C. F. Pohl über Jos. Haydn, Thayer über
L. van Beethoven veröffentlichten, wachte die Musikgeschichte endlich wieder
aus dem Scheintod auf, in den sie der Fehlschlag der auf umfassende Universal¬
geschichten gerichteten Arbeite" versetzt hatte. Diesen großen gingen in den
Biographien Schuberts, Glucks, Webers bescheidnere, aber immer noch aus¬
schließende Leistungen zur Seite und halfen die natürliche Vorliebe des
Publikums für die Biographie so steigern, daß der Buchhandel sich veranlaßt
sah, geschäftlich mit ihr zu rechnen. Augenblicklich konkurrieren drei Berlags-
cmstalten in der Ausgabe vou populüreu Musikerbiographien: Reclams Universal¬
bibliothek, die Berliner "Harmonie" und Hermann Seemann Nachfolger. Ihr
gemeinsames Ziel ist, die Hauptsachen aus dem Leben und Wirken bedeutender
oder merkwürdiger Meister für einen großen Leserkreis leicht faßlich darzu¬
stellen. In seltnern Fällen legen dabei die Verfasser eigne Forschungen vor,
die Mehrzahl der Arbeiten sind Kompilationen. In diesem Begriff soll durch¬
aus nichts Herabsetzendes liegen. Gut und geschmackvoll zu kompilieren ver¬
langt um und für sich viel Begabung und Bildung, in der Musik ist es augen¬
blicklich sogar notwendiger und verdienstlicher, das gesicherte Wissen zu ver¬
breiten, als es durch Kleinigkeiten und Schnitzel zu vermehren.

Das älteste der drei genannten Unternehmen, das Ncclmnsche, ist mich
das originellste. Seinen Mnsikerbiographien hat zur Zeit kein andres Volk
etwas ähnliches an die Seite zu setzen, soweit es die Billigkeit betrifft. Be¬
lehrungsbücher von hundert und mehr Seiten für zwanzig Pfennige zu liefern,
das ist doch eine ebenso humane als kühne Idee! Erfreulicherweise hat sie
sich auch als durchführbar erwiesen, nur sind die Leistungen nicht alle gleich¬
mäßig gelungen. Stücken, die man warm empfehlen kann, stehn andre gegen¬
über, von denen abgeraten werden muß. Dein Leser den Thatbestand vor¬
zuführen, wird es das einfachste sein, die biographierten Meister in chrono¬
logischer Ordnung anzusehen.


Populäre Musikerbiographieil

aber passendere, gleichartigere und, fürchten wir, willkommnere Gäste als deutsche
Studenten werden sie trotz ihrer angeblichen „Minderwertigkeit" für Paris doch
gewesen sein.




populäre Musikerbiogrccphien

>cum die Biographie, die von jeher und für alle Gebiete mensch¬
licher Thätigkeit eine sehr beliebte, für Kunstgeschichte die aller-
geeignctste Form der Belehrung gewesen ist, heute gerade in der
Musikschriftstellerei besonders eifrig gepflegt wird, so hat das
! seinen Grund darin, daß im neunzehnten Jahrhundert das
musikgeschichtliche Wissen durch biographische Forschungen ganz erstaunlich
gefordert worden ist. Mit den Lebensbeschreibungen, die C. von Winterfeld
über Johann Gabrieli, die O. Jahr über Mozart, Fr. Chrysander über Händel,
PH. Spitta über Seb. Bach, C. F. Pohl über Jos. Haydn, Thayer über
L. van Beethoven veröffentlichten, wachte die Musikgeschichte endlich wieder
aus dem Scheintod auf, in den sie der Fehlschlag der auf umfassende Universal¬
geschichten gerichteten Arbeite» versetzt hatte. Diesen großen gingen in den
Biographien Schuberts, Glucks, Webers bescheidnere, aber immer noch aus¬
schließende Leistungen zur Seite und halfen die natürliche Vorliebe des
Publikums für die Biographie so steigern, daß der Buchhandel sich veranlaßt
sah, geschäftlich mit ihr zu rechnen. Augenblicklich konkurrieren drei Berlags-
cmstalten in der Ausgabe vou populüreu Musikerbiographien: Reclams Universal¬
bibliothek, die Berliner „Harmonie" und Hermann Seemann Nachfolger. Ihr
gemeinsames Ziel ist, die Hauptsachen aus dem Leben und Wirken bedeutender
oder merkwürdiger Meister für einen großen Leserkreis leicht faßlich darzu¬
stellen. In seltnern Fällen legen dabei die Verfasser eigne Forschungen vor,
die Mehrzahl der Arbeiten sind Kompilationen. In diesem Begriff soll durch¬
aus nichts Herabsetzendes liegen. Gut und geschmackvoll zu kompilieren ver¬
langt um und für sich viel Begabung und Bildung, in der Musik ist es augen¬
blicklich sogar notwendiger und verdienstlicher, das gesicherte Wissen zu ver¬
breiten, als es durch Kleinigkeiten und Schnitzel zu vermehren.

Das älteste der drei genannten Unternehmen, das Ncclmnsche, ist mich
das originellste. Seinen Mnsikerbiographien hat zur Zeit kein andres Volk
etwas ähnliches an die Seite zu setzen, soweit es die Billigkeit betrifft. Be¬
lehrungsbücher von hundert und mehr Seiten für zwanzig Pfennige zu liefern,
das ist doch eine ebenso humane als kühne Idee! Erfreulicherweise hat sie
sich auch als durchführbar erwiesen, nur sind die Leistungen nicht alle gleich¬
mäßig gelungen. Stücken, die man warm empfehlen kann, stehn andre gegen¬
über, von denen abgeraten werden muß. Dein Leser den Thatbestand vor¬
zuführen, wird es das einfachste sein, die biographierten Meister in chrono¬
logischer Ordnung anzusehen.


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[0036] Populäre Musikerbiographieil aber passendere, gleichartigere und, fürchten wir, willkommnere Gäste als deutsche Studenten werden sie trotz ihrer angeblichen „Minderwertigkeit" für Paris doch gewesen sein. populäre Musikerbiogrccphien >cum die Biographie, die von jeher und für alle Gebiete mensch¬ licher Thätigkeit eine sehr beliebte, für Kunstgeschichte die aller- geeignctste Form der Belehrung gewesen ist, heute gerade in der Musikschriftstellerei besonders eifrig gepflegt wird, so hat das ! seinen Grund darin, daß im neunzehnten Jahrhundert das musikgeschichtliche Wissen durch biographische Forschungen ganz erstaunlich gefordert worden ist. Mit den Lebensbeschreibungen, die C. von Winterfeld über Johann Gabrieli, die O. Jahr über Mozart, Fr. Chrysander über Händel, PH. Spitta über Seb. Bach, C. F. Pohl über Jos. Haydn, Thayer über L. van Beethoven veröffentlichten, wachte die Musikgeschichte endlich wieder aus dem Scheintod auf, in den sie der Fehlschlag der auf umfassende Universal¬ geschichten gerichteten Arbeite» versetzt hatte. Diesen großen gingen in den Biographien Schuberts, Glucks, Webers bescheidnere, aber immer noch aus¬ schließende Leistungen zur Seite und halfen die natürliche Vorliebe des Publikums für die Biographie so steigern, daß der Buchhandel sich veranlaßt sah, geschäftlich mit ihr zu rechnen. Augenblicklich konkurrieren drei Berlags- cmstalten in der Ausgabe vou populüreu Musikerbiographien: Reclams Universal¬ bibliothek, die Berliner „Harmonie" und Hermann Seemann Nachfolger. Ihr gemeinsames Ziel ist, die Hauptsachen aus dem Leben und Wirken bedeutender oder merkwürdiger Meister für einen großen Leserkreis leicht faßlich darzu¬ stellen. In seltnern Fällen legen dabei die Verfasser eigne Forschungen vor, die Mehrzahl der Arbeiten sind Kompilationen. In diesem Begriff soll durch¬ aus nichts Herabsetzendes liegen. Gut und geschmackvoll zu kompilieren ver¬ langt um und für sich viel Begabung und Bildung, in der Musik ist es augen¬ blicklich sogar notwendiger und verdienstlicher, das gesicherte Wissen zu ver¬ breiten, als es durch Kleinigkeiten und Schnitzel zu vermehren. Das älteste der drei genannten Unternehmen, das Ncclmnsche, ist mich das originellste. Seinen Mnsikerbiographien hat zur Zeit kein andres Volk etwas ähnliches an die Seite zu setzen, soweit es die Billigkeit betrifft. Be¬ lehrungsbücher von hundert und mehr Seiten für zwanzig Pfennige zu liefern, das ist doch eine ebenso humane als kühne Idee! Erfreulicherweise hat sie sich auch als durchführbar erwiesen, nur sind die Leistungen nicht alle gleich¬ mäßig gelungen. Stücken, die man warm empfehlen kann, stehn andre gegen¬ über, von denen abgeraten werden muß. Dein Leser den Thatbestand vor¬ zuführen, wird es das einfachste sein, die biographierten Meister in chrono¬ logischer Ordnung anzusehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/36>, abgerufen am 29.04.2024.