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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches mit Unmaßgebliches

Eduard von Hartmann.

Die Kathcderphilosophen sind Hartmann bisher
nicht gerecht geworden. Sie pflegen ihn als den Philosophen des Unbewußten ab¬
zufertigen und nehmen von seinen Einzelforschungen, die sein Hauptverdienst aus¬
machen, wenig oder gar nicht Notiz. (Die Grenzboten haben über alles berichtet,
was er seit 1892 herausgegeben hat.) Das wird von jetzt ab anders werden.
Sein begeisterter Jünger Dr. Arthur Drews hat eine Kathedra bestiegen -- er
ist außerordentlicher Professor an der technischen Hochschule zu Karlsruhe -- und
nur dem verehrten Meister zum sechzigsten Geburtstage (23. Februar 1902) ein
Werk gewidmet, das unmöglich totgeschwiegen werden kann: Eduard von Hart¬
manns philosophisches System im Grundriß. Mit einer biographischen Ein¬
leitung und dem Bilde E. v. Hartmanns. (Heidelberg, Carl Winters Universitäts¬
buchhandlung, 1902. XXII und 847 S. Großoktav.) Der Philosoph von Fach mag
sagen, er habe nicht Zeit, sämtliche Bücher und Broschüren aller seiner lebenden
Fachgenossen zu lese", aber wenn er ein Werk ungelesen ließe, das den Inhalt
sämtlicher Leistungen eines doch zweifellos bedeutenden Philosophen kurz zusammen¬
faßt, so wäre das eine Pflichtversäumnis, für die es keine Entschuldigung gäbe.
Und wird einmal die Lehre Hartmanns uuter den Studierenden bekannt, so leitet
sie -- darin pflichten wir Drews bei -- eine neue Periode der Philosophie ein.
Nur glauben wir, daß diese neue Periode etwas anders aussehen wird, als er sie
sich denkt. Nicht in demi, worin Drews die Bedeutung des großen Philosophen
sieht, vermögen wir sie zu finden.

Drews sagt, die moderne Philosophie sei bis ans Hartmann geblieben, wozu sie
ihr Begründer Cartesius mit seinem eoZito erxo sum gemacht habe: Bewnßtsetns-
philosophie. Indem diese Philosophie das Sein mit dem Denken identifizierte, habe
sie zuletzt sich selbst aufheben, die Möglichkeit jeder Metaphysik leugnen, die Wissen¬
schaft auf das für das menschliche Bewußtsein Erfahrbare beschränken müssen. Das
Denken sei aber nicht Substanz, nichts schöpferisches, sondern spiegle nur das
Sein, das in ihm zur Erscheinung komme. Das Sein, das substantielle, das
Schöpferische liege außerhalb des Bewußtseins und sei selbst unbewußt. Das halten
schon Leibniz, Kant, Schelling und Schopenhauer ausgesprochen, und der zuletzt
genannte habe richtig im Willen das Schöpferische erkannt, nur aber das Verhältnis
des Willens zum Intellekt falsch bestimmt. Hartmann habe das Verhältnis beider
Ureigenschaften des Absoluten zu einander richtig aufgefaßt und den Gegensatz von
Panthelismus und Pcmlogismns im Pcmpneumatismus aufgehoben. Er habe
ferner erkannt, daß es keineswegs zum Wesen der Wissenschaft gehöre, Gewißheit
zu gewähren. Auch die Nnturwisseuschaft, sofern sie mehr sein wolle als Beschrei¬
bung der Erscheinungen und der Reihenfolge von Verändrungen, müsse sich in
Beziehung auf die Ursachen in jedem einzelnen Falle mit der wahrscheinlichsten
Hypothese begnügen. Demnach sei sie ganz in derselben Lage wie die Metaphysik,
und dürfe also diese nicht darum für unwissenschaftlich erklärt werden, weil sie keine
Gewißheit gewähre. (Wir würden das lieber so ausdrücken: Gewißheit gewähren
nur die beiden Formwissenschaften: Logik und Mathematik. Alle Realwissenschaften,
anch und ganz besonders die Naturwissenschaften, werden Metaphysik in dem Augen¬
blick, wo sie über die bloße Beschreibung hinausgehn und sich rin der Aufsuchung
der Ursachen befassen.) Mit diesen beiden Leistungen hat Hartmann den Grund
gelegt, auf dem die Philosophie der Zukunft fortbauen kaun.

Zunächst erscheint es uns zweifelhaft, ob Cartesius wirklich für den einseitigen
Nationalismus vou Philosophen wie Hegel verantwortlich gemacht werden darf.
Es ist wahr, er hat den Einwurf Gassendis, man könne ebensogut sagen: Ich gehe
spazieren, also bin ich, mit der Bemerkung zurückgewiesen: Keiner meiner Hand¬
lungen bin ich so gewiß wie meines Denkens; alles andre kauu ich hinwegdeuken,
nur nicht das Denken selbst, also bin ich wesentlich ein denkendes Wesen, Geist.
Aber es ist die Frage, ob er nicht zugestimmt hätte, wenn Gassendi der Wider¬
legung der Skepsis die Form gegeben hätte: Ich reagiere auf eine Ohrfeige, also


Maßgebliches mit Unmaßgebliches

Eduard von Hartmann.

Die Kathcderphilosophen sind Hartmann bisher
nicht gerecht geworden. Sie pflegen ihn als den Philosophen des Unbewußten ab¬
zufertigen und nehmen von seinen Einzelforschungen, die sein Hauptverdienst aus¬
machen, wenig oder gar nicht Notiz. (Die Grenzboten haben über alles berichtet,
was er seit 1892 herausgegeben hat.) Das wird von jetzt ab anders werden.
Sein begeisterter Jünger Dr. Arthur Drews hat eine Kathedra bestiegen — er
ist außerordentlicher Professor an der technischen Hochschule zu Karlsruhe — und
nur dem verehrten Meister zum sechzigsten Geburtstage (23. Februar 1902) ein
Werk gewidmet, das unmöglich totgeschwiegen werden kann: Eduard von Hart¬
manns philosophisches System im Grundriß. Mit einer biographischen Ein¬
leitung und dem Bilde E. v. Hartmanns. (Heidelberg, Carl Winters Universitäts¬
buchhandlung, 1902. XXII und 847 S. Großoktav.) Der Philosoph von Fach mag
sagen, er habe nicht Zeit, sämtliche Bücher und Broschüren aller seiner lebenden
Fachgenossen zu lese», aber wenn er ein Werk ungelesen ließe, das den Inhalt
sämtlicher Leistungen eines doch zweifellos bedeutenden Philosophen kurz zusammen¬
faßt, so wäre das eine Pflichtversäumnis, für die es keine Entschuldigung gäbe.
Und wird einmal die Lehre Hartmanns uuter den Studierenden bekannt, so leitet
sie — darin pflichten wir Drews bei — eine neue Periode der Philosophie ein.
Nur glauben wir, daß diese neue Periode etwas anders aussehen wird, als er sie
sich denkt. Nicht in demi, worin Drews die Bedeutung des großen Philosophen
sieht, vermögen wir sie zu finden.

Drews sagt, die moderne Philosophie sei bis ans Hartmann geblieben, wozu sie
ihr Begründer Cartesius mit seinem eoZito erxo sum gemacht habe: Bewnßtsetns-
philosophie. Indem diese Philosophie das Sein mit dem Denken identifizierte, habe
sie zuletzt sich selbst aufheben, die Möglichkeit jeder Metaphysik leugnen, die Wissen¬
schaft auf das für das menschliche Bewußtsein Erfahrbare beschränken müssen. Das
Denken sei aber nicht Substanz, nichts schöpferisches, sondern spiegle nur das
Sein, das in ihm zur Erscheinung komme. Das Sein, das substantielle, das
Schöpferische liege außerhalb des Bewußtseins und sei selbst unbewußt. Das halten
schon Leibniz, Kant, Schelling und Schopenhauer ausgesprochen, und der zuletzt
genannte habe richtig im Willen das Schöpferische erkannt, nur aber das Verhältnis
des Willens zum Intellekt falsch bestimmt. Hartmann habe das Verhältnis beider
Ureigenschaften des Absoluten zu einander richtig aufgefaßt und den Gegensatz von
Panthelismus und Pcmlogismns im Pcmpneumatismus aufgehoben. Er habe
ferner erkannt, daß es keineswegs zum Wesen der Wissenschaft gehöre, Gewißheit
zu gewähren. Auch die Nnturwisseuschaft, sofern sie mehr sein wolle als Beschrei¬
bung der Erscheinungen und der Reihenfolge von Verändrungen, müsse sich in
Beziehung auf die Ursachen in jedem einzelnen Falle mit der wahrscheinlichsten
Hypothese begnügen. Demnach sei sie ganz in derselben Lage wie die Metaphysik,
und dürfe also diese nicht darum für unwissenschaftlich erklärt werden, weil sie keine
Gewißheit gewähre. (Wir würden das lieber so ausdrücken: Gewißheit gewähren
nur die beiden Formwissenschaften: Logik und Mathematik. Alle Realwissenschaften,
anch und ganz besonders die Naturwissenschaften, werden Metaphysik in dem Augen¬
blick, wo sie über die bloße Beschreibung hinausgehn und sich rin der Aufsuchung
der Ursachen befassen.) Mit diesen beiden Leistungen hat Hartmann den Grund
gelegt, auf dem die Philosophie der Zukunft fortbauen kaun.

Zunächst erscheint es uns zweifelhaft, ob Cartesius wirklich für den einseitigen
Nationalismus vou Philosophen wie Hegel verantwortlich gemacht werden darf.
Es ist wahr, er hat den Einwurf Gassendis, man könne ebensogut sagen: Ich gehe
spazieren, also bin ich, mit der Bemerkung zurückgewiesen: Keiner meiner Hand¬
lungen bin ich so gewiß wie meines Denkens; alles andre kauu ich hinwegdeuken,
nur nicht das Denken selbst, also bin ich wesentlich ein denkendes Wesen, Geist.
Aber es ist die Frage, ob er nicht zugestimmt hätte, wenn Gassendi der Wider¬
legung der Skepsis die Form gegeben hätte: Ich reagiere auf eine Ohrfeige, also


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[0406] Maßgebliches mit Unmaßgebliches Eduard von Hartmann. Die Kathcderphilosophen sind Hartmann bisher nicht gerecht geworden. Sie pflegen ihn als den Philosophen des Unbewußten ab¬ zufertigen und nehmen von seinen Einzelforschungen, die sein Hauptverdienst aus¬ machen, wenig oder gar nicht Notiz. (Die Grenzboten haben über alles berichtet, was er seit 1892 herausgegeben hat.) Das wird von jetzt ab anders werden. Sein begeisterter Jünger Dr. Arthur Drews hat eine Kathedra bestiegen — er ist außerordentlicher Professor an der technischen Hochschule zu Karlsruhe — und nur dem verehrten Meister zum sechzigsten Geburtstage (23. Februar 1902) ein Werk gewidmet, das unmöglich totgeschwiegen werden kann: Eduard von Hart¬ manns philosophisches System im Grundriß. Mit einer biographischen Ein¬ leitung und dem Bilde E. v. Hartmanns. (Heidelberg, Carl Winters Universitäts¬ buchhandlung, 1902. XXII und 847 S. Großoktav.) Der Philosoph von Fach mag sagen, er habe nicht Zeit, sämtliche Bücher und Broschüren aller seiner lebenden Fachgenossen zu lese», aber wenn er ein Werk ungelesen ließe, das den Inhalt sämtlicher Leistungen eines doch zweifellos bedeutenden Philosophen kurz zusammen¬ faßt, so wäre das eine Pflichtversäumnis, für die es keine Entschuldigung gäbe. Und wird einmal die Lehre Hartmanns uuter den Studierenden bekannt, so leitet sie — darin pflichten wir Drews bei — eine neue Periode der Philosophie ein. Nur glauben wir, daß diese neue Periode etwas anders aussehen wird, als er sie sich denkt. Nicht in demi, worin Drews die Bedeutung des großen Philosophen sieht, vermögen wir sie zu finden. Drews sagt, die moderne Philosophie sei bis ans Hartmann geblieben, wozu sie ihr Begründer Cartesius mit seinem eoZito erxo sum gemacht habe: Bewnßtsetns- philosophie. Indem diese Philosophie das Sein mit dem Denken identifizierte, habe sie zuletzt sich selbst aufheben, die Möglichkeit jeder Metaphysik leugnen, die Wissen¬ schaft auf das für das menschliche Bewußtsein Erfahrbare beschränken müssen. Das Denken sei aber nicht Substanz, nichts schöpferisches, sondern spiegle nur das Sein, das in ihm zur Erscheinung komme. Das Sein, das substantielle, das Schöpferische liege außerhalb des Bewußtseins und sei selbst unbewußt. Das halten schon Leibniz, Kant, Schelling und Schopenhauer ausgesprochen, und der zuletzt genannte habe richtig im Willen das Schöpferische erkannt, nur aber das Verhältnis des Willens zum Intellekt falsch bestimmt. Hartmann habe das Verhältnis beider Ureigenschaften des Absoluten zu einander richtig aufgefaßt und den Gegensatz von Panthelismus und Pcmlogismns im Pcmpneumatismus aufgehoben. Er habe ferner erkannt, daß es keineswegs zum Wesen der Wissenschaft gehöre, Gewißheit zu gewähren. Auch die Nnturwisseuschaft, sofern sie mehr sein wolle als Beschrei¬ bung der Erscheinungen und der Reihenfolge von Verändrungen, müsse sich in Beziehung auf die Ursachen in jedem einzelnen Falle mit der wahrscheinlichsten Hypothese begnügen. Demnach sei sie ganz in derselben Lage wie die Metaphysik, und dürfe also diese nicht darum für unwissenschaftlich erklärt werden, weil sie keine Gewißheit gewähre. (Wir würden das lieber so ausdrücken: Gewißheit gewähren nur die beiden Formwissenschaften: Logik und Mathematik. Alle Realwissenschaften, anch und ganz besonders die Naturwissenschaften, werden Metaphysik in dem Augen¬ blick, wo sie über die bloße Beschreibung hinausgehn und sich rin der Aufsuchung der Ursachen befassen.) Mit diesen beiden Leistungen hat Hartmann den Grund gelegt, auf dem die Philosophie der Zukunft fortbauen kaun. Zunächst erscheint es uns zweifelhaft, ob Cartesius wirklich für den einseitigen Nationalismus vou Philosophen wie Hegel verantwortlich gemacht werden darf. Es ist wahr, er hat den Einwurf Gassendis, man könne ebensogut sagen: Ich gehe spazieren, also bin ich, mit der Bemerkung zurückgewiesen: Keiner meiner Hand¬ lungen bin ich so gewiß wie meines Denkens; alles andre kauu ich hinwegdeuken, nur nicht das Denken selbst, also bin ich wesentlich ein denkendes Wesen, Geist. Aber es ist die Frage, ob er nicht zugestimmt hätte, wenn Gassendi der Wider¬ legung der Skepsis die Form gegeben hätte: Ich reagiere auf eine Ohrfeige, also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/406>, abgerufen am 29.04.2024.