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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden als deutscher
Staatsmann
Gelo llaemmel Von

"Freiheit ist Selbstbeherrschung"

or wenig Wochen hat das badische Land, und mit ihm alles,
was im Reiche nationalgesinnt ist, das seltne Fest eines funfzig¬
jährigen Regierungsjubilüums in einmütiger Freude gefeiert. Denn
Friedrich von Baden gehört nicht seinem Staate allein an,
sondern der ganzen Nation. Einer der wenigen noch lebenden
deutschen Fürsten, die König Wilhelm zum Kaiser loren, hat er wie kein
zweiter die nationale Einheit immer über alles andre gesetzt; er hat niemals
die Frage so gestellt: Inwiefern vertrüge sich eine festere Einheit der Nation
mit den Sonderinteressen meines Staats und meines Hanfes? sondern immer
so: Was ist notwendig, um dieses unentbehrliche Maß von Einheit zu schaffen?
Er hat niemals die Miene schmerzlichen Verzichts angenommen, wenn es galt,
einzclstaatliche Hoheitsrechte, die vor allein doch die seinigen waren, an daS
Reich abzutreten, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers sein muß, sondert, er
hat mit freudiger Genugthuung immer daran gearbeitet, die Reichsgewalt
kraftvoll zu gestalten. Für ihn fielen badisches und deutsches Interesse immer
in eins zusammen, denn er wußte, daß die Existenz der Einzelstaaten uur im
Reiche gesichert ist, und daß das Danaergeschenk europäischer Sonverünitüt für
sie kein Segen war, sondern ein Fluch, weil es sie verleitete, große Politik
zu treiben, ohne die Macht dazu zu haben. Wäre auch mir eine Mehrzahl
deutscher Fürsten so gesinnt gewesen wie er, so wäre uns 1866 zwar schwer¬
lich der Kampf mit Österreich, wohl aber der Bürgerkrieg erspart geblieben.

Dieses Verdienst Friedrichs von Baden ist ein ganz persönliches; seine
deutsche Politik wurde ihm weder durch eine feste Tradition, die dieser jüngste
der deutscheu Mittelstaaten gar nicht haben konnte, noch durch die oft jäh
wechselnde Stimmung seines Volks, noch durch die Lage seines Landes vorge¬
schrieben. Wenn ein deutscher Mittelstaat für eine rheinbündische Politik eine
Entschuldigung gehabt hätte, so wäre es Baden gewesen, das an der langen
offnen Greuze gegen Frankreich lag und noch jahrzehntelang in seinem Be-


Grenzboten II 1902 51


Großherzog Friedrich von Baden als deutscher
Staatsmann
Gelo llaemmel Von

„Freiheit ist Selbstbeherrschung"

or wenig Wochen hat das badische Land, und mit ihm alles,
was im Reiche nationalgesinnt ist, das seltne Fest eines funfzig¬
jährigen Regierungsjubilüums in einmütiger Freude gefeiert. Denn
Friedrich von Baden gehört nicht seinem Staate allein an,
sondern der ganzen Nation. Einer der wenigen noch lebenden
deutschen Fürsten, die König Wilhelm zum Kaiser loren, hat er wie kein
zweiter die nationale Einheit immer über alles andre gesetzt; er hat niemals
die Frage so gestellt: Inwiefern vertrüge sich eine festere Einheit der Nation
mit den Sonderinteressen meines Staats und meines Hanfes? sondern immer
so: Was ist notwendig, um dieses unentbehrliche Maß von Einheit zu schaffen?
Er hat niemals die Miene schmerzlichen Verzichts angenommen, wenn es galt,
einzclstaatliche Hoheitsrechte, die vor allein doch die seinigen waren, an daS
Reich abzutreten, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers sein muß, sondert, er
hat mit freudiger Genugthuung immer daran gearbeitet, die Reichsgewalt
kraftvoll zu gestalten. Für ihn fielen badisches und deutsches Interesse immer
in eins zusammen, denn er wußte, daß die Existenz der Einzelstaaten uur im
Reiche gesichert ist, und daß das Danaergeschenk europäischer Sonverünitüt für
sie kein Segen war, sondern ein Fluch, weil es sie verleitete, große Politik
zu treiben, ohne die Macht dazu zu haben. Wäre auch mir eine Mehrzahl
deutscher Fürsten so gesinnt gewesen wie er, so wäre uns 1866 zwar schwer¬
lich der Kampf mit Österreich, wohl aber der Bürgerkrieg erspart geblieben.

Dieses Verdienst Friedrichs von Baden ist ein ganz persönliches; seine
deutsche Politik wurde ihm weder durch eine feste Tradition, die dieser jüngste
der deutscheu Mittelstaaten gar nicht haben konnte, noch durch die oft jäh
wechselnde Stimmung seines Volks, noch durch die Lage seines Landes vorge¬
schrieben. Wenn ein deutscher Mittelstaat für eine rheinbündische Politik eine
Entschuldigung gehabt hätte, so wäre es Baden gewesen, das an der langen
offnen Greuze gegen Frankreich lag und noch jahrzehntelang in seinem Be-


Grenzboten II 1902 51
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[0409] [Abbildung] Großherzog Friedrich von Baden als deutscher Staatsmann Gelo llaemmel Von „Freiheit ist Selbstbeherrschung" or wenig Wochen hat das badische Land, und mit ihm alles, was im Reiche nationalgesinnt ist, das seltne Fest eines funfzig¬ jährigen Regierungsjubilüums in einmütiger Freude gefeiert. Denn Friedrich von Baden gehört nicht seinem Staate allein an, sondern der ganzen Nation. Einer der wenigen noch lebenden deutschen Fürsten, die König Wilhelm zum Kaiser loren, hat er wie kein zweiter die nationale Einheit immer über alles andre gesetzt; er hat niemals die Frage so gestellt: Inwiefern vertrüge sich eine festere Einheit der Nation mit den Sonderinteressen meines Staats und meines Hanfes? sondern immer so: Was ist notwendig, um dieses unentbehrliche Maß von Einheit zu schaffen? Er hat niemals die Miene schmerzlichen Verzichts angenommen, wenn es galt, einzclstaatliche Hoheitsrechte, die vor allein doch die seinigen waren, an daS Reich abzutreten, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers sein muß, sondert, er hat mit freudiger Genugthuung immer daran gearbeitet, die Reichsgewalt kraftvoll zu gestalten. Für ihn fielen badisches und deutsches Interesse immer in eins zusammen, denn er wußte, daß die Existenz der Einzelstaaten uur im Reiche gesichert ist, und daß das Danaergeschenk europäischer Sonverünitüt für sie kein Segen war, sondern ein Fluch, weil es sie verleitete, große Politik zu treiben, ohne die Macht dazu zu haben. Wäre auch mir eine Mehrzahl deutscher Fürsten so gesinnt gewesen wie er, so wäre uns 1866 zwar schwer¬ lich der Kampf mit Österreich, wohl aber der Bürgerkrieg erspart geblieben. Dieses Verdienst Friedrichs von Baden ist ein ganz persönliches; seine deutsche Politik wurde ihm weder durch eine feste Tradition, die dieser jüngste der deutscheu Mittelstaaten gar nicht haben konnte, noch durch die oft jäh wechselnde Stimmung seines Volks, noch durch die Lage seines Landes vorge¬ schrieben. Wenn ein deutscher Mittelstaat für eine rheinbündische Politik eine Entschuldigung gehabt hätte, so wäre es Baden gewesen, das an der langen offnen Greuze gegen Frankreich lag und noch jahrzehntelang in seinem Be- Grenzboten II 1902 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/409>, abgerufen am 29.04.2024.