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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Individualismus

so zahlreich waren, daß die Göttertempel anfingen zu veröden. Für den
Philosophen waren sie eben, als eine zu unbedeutende Erscheinung, gar nicht
vorhanden. Die Bedeutung Jesu, dessen Göttlichkeit sich vorerst nur dem Glauben
der wenigen Auserwiihltcn offenbarte, konnten die Wirkungen seiner wunder¬
baren Persönlichkeit dem Geiste der Denkenden erst im Laufe der Jahrhunderte,
der Jahrtausende in stetig wachsendem Maße enthüllen.




Individualismus
L. Trampe von(Schluß)

ahrer Individualismus ist allein die ideale Befähigung, der als
ethisches Muß empfundne seelische Drang bei jedem Einzelnen,
im allerpersönlichsten Innenleben aufzugehn, in ihm und seinen
seelischen und geistigen Kräften und Größen das Maß aller
Dinge zu suchen und zu finden. Welchen Menschen aber ist
solche Art zu sein als typisches Volkstum gegeben? Nur den Germanen,
vor allem ihrem Kernstamm, den Deutschen. Ihnen ist der Quell alles
Empfindens und Denkens die tiefbewegte Brust, die eigne Seele, das eigne
innere. Alles Anempfinder und Nachdenken nach äußeren Anstoße, fremdem
Einflüsse ist ihnen zuwider, ist ihnen nichts. Ihnen ist notwendig, dem
ihnen eingebornen Verlangen nach Selbstbestimmung, nach selbsteigner Ge¬
staltung jedes Menschenseins unbeschränkt Raum zu geben. Ihr Sonder-
dermögen zu bewähren, es bewähren zu können, ist ihnen Ur- und Gründ¬
etet?, ist ihnen Bedingung des Seins. Nur von sich und ihrem innersten
Wesen aus stellen sie sich zu allem anßer ihnen, und ihr Lebensodem ist es,
bei ihrem Herantreten an die Außenwelt lediglich sich selber, ihre allerpersön-
Kchste Eigentümlichkeit als Maß aller Dinge zu nehmen und demgemäß zu
handeln. Die Romantiker, die doch sicher ein feines Gefühl für deutsche Seelen¬
stimmung und deutsche Geistesströmung hatten, haben dieselbe Gedankenreihe in
dem Satze zusammengefaßt, das Heil persönlicher Eigentümlichkeit (d. i. des
Individualismus) hänge am Deutschtum. Und der große Kundiger deutschen
Seelendrangs, Goethe, hat derselben Grundanschauung von der Wesensgleich¬
heit des Deutschtums und des Individualismus einmal sehr drastisch und ganz
knapp und klar Ausdruck gegeben, da, wo er von dem Neuerbltthen deutscher
Kunst in Sturm und Drang unter dem Eindrucke der Thaten Friedrichs spricht,
und wo er, nachdem er ausgeführt hat, daß man dabei alles that, von dem
König bemerkt zu werden, eben so entschieden wie selbstbewußt erklärt, "aber
^ein thats auf deutsche Weise, nach innerer Überzeugung." Das sind nur Worte.
Wohl sind es Seelenoffenbarungen, aber doch nur solche, die Worte geblieben
sind. Mögen sie anch einem noch so urdeutschen, tiefinnerlichen Antrieb
entsprungen sein, und mögen sie noch so zwingend Widerhall im deutschen


Individualismus

so zahlreich waren, daß die Göttertempel anfingen zu veröden. Für den
Philosophen waren sie eben, als eine zu unbedeutende Erscheinung, gar nicht
vorhanden. Die Bedeutung Jesu, dessen Göttlichkeit sich vorerst nur dem Glauben
der wenigen Auserwiihltcn offenbarte, konnten die Wirkungen seiner wunder¬
baren Persönlichkeit dem Geiste der Denkenden erst im Laufe der Jahrhunderte,
der Jahrtausende in stetig wachsendem Maße enthüllen.




Individualismus
L. Trampe von(Schluß)

ahrer Individualismus ist allein die ideale Befähigung, der als
ethisches Muß empfundne seelische Drang bei jedem Einzelnen,
im allerpersönlichsten Innenleben aufzugehn, in ihm und seinen
seelischen und geistigen Kräften und Größen das Maß aller
Dinge zu suchen und zu finden. Welchen Menschen aber ist
solche Art zu sein als typisches Volkstum gegeben? Nur den Germanen,
vor allem ihrem Kernstamm, den Deutschen. Ihnen ist der Quell alles
Empfindens und Denkens die tiefbewegte Brust, die eigne Seele, das eigne
innere. Alles Anempfinder und Nachdenken nach äußeren Anstoße, fremdem
Einflüsse ist ihnen zuwider, ist ihnen nichts. Ihnen ist notwendig, dem
ihnen eingebornen Verlangen nach Selbstbestimmung, nach selbsteigner Ge¬
staltung jedes Menschenseins unbeschränkt Raum zu geben. Ihr Sonder-
dermögen zu bewähren, es bewähren zu können, ist ihnen Ur- und Gründ¬
etet?, ist ihnen Bedingung des Seins. Nur von sich und ihrem innersten
Wesen aus stellen sie sich zu allem anßer ihnen, und ihr Lebensodem ist es,
bei ihrem Herantreten an die Außenwelt lediglich sich selber, ihre allerpersön-
Kchste Eigentümlichkeit als Maß aller Dinge zu nehmen und demgemäß zu
handeln. Die Romantiker, die doch sicher ein feines Gefühl für deutsche Seelen¬
stimmung und deutsche Geistesströmung hatten, haben dieselbe Gedankenreihe in
dem Satze zusammengefaßt, das Heil persönlicher Eigentümlichkeit (d. i. des
Individualismus) hänge am Deutschtum. Und der große Kundiger deutschen
Seelendrangs, Goethe, hat derselben Grundanschauung von der Wesensgleich¬
heit des Deutschtums und des Individualismus einmal sehr drastisch und ganz
knapp und klar Ausdruck gegeben, da, wo er von dem Neuerbltthen deutscher
Kunst in Sturm und Drang unter dem Eindrucke der Thaten Friedrichs spricht,
und wo er, nachdem er ausgeführt hat, daß man dabei alles that, von dem
König bemerkt zu werden, eben so entschieden wie selbstbewußt erklärt, „aber
^ein thats auf deutsche Weise, nach innerer Überzeugung." Das sind nur Worte.
Wohl sind es Seelenoffenbarungen, aber doch nur solche, die Worte geblieben
sind. Mögen sie anch einem noch so urdeutschen, tiefinnerlichen Antrieb
entsprungen sein, und mögen sie noch so zwingend Widerhall im deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/647>, abgerufen am 29.04.2024.