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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Minister Bosse

Landung in England freilich keine leere Drohung mehr." So liegt die Sache.
Ein geistreicher französischer Schriftsteller hat schon vor Jahren unsern Kaiser
den Colbert der deutschen Flotte genannt; auch Cuverville erkennt an, daß die
deutsche Seepolitik planvoll und sicher geführt wird. Wo ist aber nun der
Franzose, der soviel Gewalt über die Herzen seiner Landsleute Hütte, daß er
eine von ihm und von vielen ausgezeichneten Franzosen als dem eignen Vater¬
land ersprießlich und nützlich anerkannte Seepolitik zu führen imstande Märe?
Wer vermag die warmblütigen Patrioten Frankreichs zu ihrem eignen Besten
mit fester Hand zu zügeln und den ungestümen Thatendrang des ritterlichen
Franzosentums ans ein fernes, nur durch zähe Arbeit, Geduld und durch das
Aufgeben alter Träumereien erreichbares Ziel zu richten? Männer machen die
Geschichte, sagt Treitschke; aber Ludwig XIV. hörte weder auf Leibniz, noch unter¬
stützte er seinen Colbert genügend -- und Napoleon hatte Unglück zur See, seine
besten Admiräle starben ihm zu früh, und die, die er dann zu den wichtigsten
Posten aufsuchte, versagten ihm den Erfolg trotz guter Vorbereitung. Das heutige
Frankreich, alle Ehrfurcht vor seinen geistigen, auch schöpferischen Größen, ist
arm um großen Führern, wie Colbert einer hätte sein können, wie Napoleon
einer war, freilich nicht zum Segen seines Landes, weil er der Engländer nicht
Herr werden konnte. Heutzutage fehlt der seekundige Colbert in Frankreich,
doch Nur haben einen, den man in Frankreich warm verehrt. Nun gut, Herr
de Cnverville, lesen Sie unsern Schiller:


Immer strebe zum Ganzen. Und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!

Man sollte doch meinen, daß Moltke die Zeit richtig geschätzt hätte, daß
Deutschland dreißig Jahre GeMehr bei Fuß stehn müsse, ehe mit dem liebens¬
würdigen und auch liebeuswerten Nachbarn ein gutes Einvernehmen denkbar
wäre. Aber, dn lieber Himmel, er scheint die Rechnung ohne die unglückliche
Viktor Hugo-Natur gemacht zu haben: dio lmörst aan-i!

(Schluß folgt)




Minister Bosse
(Schluß)")

n den letzten der im vorigen Heft mitgeteilten Briefsteller sehen
wir schon den finstern Gast vor der Thür stehn, der das letzte
Lebensjahr des nie verzagenden Mannes verbitterte. Er schleicht
sich zu ihm hinein und packt ihn immer schärfer am Leben; aber
sobald der Leidende nur einen freien Augenblick hat und wieder
aufatmen kann, ist er auch wieder voll Hoffnung, Thatkraft und Schaffens-KM



") Auf Seite 8, Z. 12 v. o. in Heft 14 ist nach den Worten: "In? Spätsommer" zu er¬
gänzen: des nächsten Jahres.
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Minister Bosse

Landung in England freilich keine leere Drohung mehr." So liegt die Sache.
Ein geistreicher französischer Schriftsteller hat schon vor Jahren unsern Kaiser
den Colbert der deutschen Flotte genannt; auch Cuverville erkennt an, daß die
deutsche Seepolitik planvoll und sicher geführt wird. Wo ist aber nun der
Franzose, der soviel Gewalt über die Herzen seiner Landsleute Hütte, daß er
eine von ihm und von vielen ausgezeichneten Franzosen als dem eignen Vater¬
land ersprießlich und nützlich anerkannte Seepolitik zu führen imstande Märe?
Wer vermag die warmblütigen Patrioten Frankreichs zu ihrem eignen Besten
mit fester Hand zu zügeln und den ungestümen Thatendrang des ritterlichen
Franzosentums ans ein fernes, nur durch zähe Arbeit, Geduld und durch das
Aufgeben alter Träumereien erreichbares Ziel zu richten? Männer machen die
Geschichte, sagt Treitschke; aber Ludwig XIV. hörte weder auf Leibniz, noch unter¬
stützte er seinen Colbert genügend — und Napoleon hatte Unglück zur See, seine
besten Admiräle starben ihm zu früh, und die, die er dann zu den wichtigsten
Posten aufsuchte, versagten ihm den Erfolg trotz guter Vorbereitung. Das heutige
Frankreich, alle Ehrfurcht vor seinen geistigen, auch schöpferischen Größen, ist
arm um großen Führern, wie Colbert einer hätte sein können, wie Napoleon
einer war, freilich nicht zum Segen seines Landes, weil er der Engländer nicht
Herr werden konnte. Heutzutage fehlt der seekundige Colbert in Frankreich,
doch Nur haben einen, den man in Frankreich warm verehrt. Nun gut, Herr
de Cnverville, lesen Sie unsern Schiller:


Immer strebe zum Ganzen. Und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!

Man sollte doch meinen, daß Moltke die Zeit richtig geschätzt hätte, daß
Deutschland dreißig Jahre GeMehr bei Fuß stehn müsse, ehe mit dem liebens¬
würdigen und auch liebeuswerten Nachbarn ein gutes Einvernehmen denkbar
wäre. Aber, dn lieber Himmel, er scheint die Rechnung ohne die unglückliche
Viktor Hugo-Natur gemacht zu haben: dio lmörst aan-i!

(Schluß folgt)




Minister Bosse
(Schluß)")

n den letzten der im vorigen Heft mitgeteilten Briefsteller sehen
wir schon den finstern Gast vor der Thür stehn, der das letzte
Lebensjahr des nie verzagenden Mannes verbitterte. Er schleicht
sich zu ihm hinein und packt ihn immer schärfer am Leben; aber
sobald der Leidende nur einen freien Augenblick hat und wieder
aufatmen kann, ist er auch wieder voll Hoffnung, Thatkraft und Schaffens-KM



") Auf Seite 8, Z. 12 v. o. in Heft 14 ist nach den Worten: „In? Spätsommer" zu er¬
gänzen: des nächsten Jahres.
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[0081] Minister Bosse Landung in England freilich keine leere Drohung mehr." So liegt die Sache. Ein geistreicher französischer Schriftsteller hat schon vor Jahren unsern Kaiser den Colbert der deutschen Flotte genannt; auch Cuverville erkennt an, daß die deutsche Seepolitik planvoll und sicher geführt wird. Wo ist aber nun der Franzose, der soviel Gewalt über die Herzen seiner Landsleute Hütte, daß er eine von ihm und von vielen ausgezeichneten Franzosen als dem eignen Vater¬ land ersprießlich und nützlich anerkannte Seepolitik zu führen imstande Märe? Wer vermag die warmblütigen Patrioten Frankreichs zu ihrem eignen Besten mit fester Hand zu zügeln und den ungestümen Thatendrang des ritterlichen Franzosentums ans ein fernes, nur durch zähe Arbeit, Geduld und durch das Aufgeben alter Träumereien erreichbares Ziel zu richten? Männer machen die Geschichte, sagt Treitschke; aber Ludwig XIV. hörte weder auf Leibniz, noch unter¬ stützte er seinen Colbert genügend — und Napoleon hatte Unglück zur See, seine besten Admiräle starben ihm zu früh, und die, die er dann zu den wichtigsten Posten aufsuchte, versagten ihm den Erfolg trotz guter Vorbereitung. Das heutige Frankreich, alle Ehrfurcht vor seinen geistigen, auch schöpferischen Größen, ist arm um großen Führern, wie Colbert einer hätte sein können, wie Napoleon einer war, freilich nicht zum Segen seines Landes, weil er der Engländer nicht Herr werden konnte. Heutzutage fehlt der seekundige Colbert in Frankreich, doch Nur haben einen, den man in Frankreich warm verehrt. Nun gut, Herr de Cnverville, lesen Sie unsern Schiller: Immer strebe zum Ganzen. Und kannst du selber kein Ganzes Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an! Man sollte doch meinen, daß Moltke die Zeit richtig geschätzt hätte, daß Deutschland dreißig Jahre GeMehr bei Fuß stehn müsse, ehe mit dem liebens¬ würdigen und auch liebeuswerten Nachbarn ein gutes Einvernehmen denkbar wäre. Aber, dn lieber Himmel, er scheint die Rechnung ohne die unglückliche Viktor Hugo-Natur gemacht zu haben: dio lmörst aan-i! (Schluß folgt) Minister Bosse (Schluß)") n den letzten der im vorigen Heft mitgeteilten Briefsteller sehen wir schon den finstern Gast vor der Thür stehn, der das letzte Lebensjahr des nie verzagenden Mannes verbitterte. Er schleicht sich zu ihm hinein und packt ihn immer schärfer am Leben; aber sobald der Leidende nur einen freien Augenblick hat und wieder aufatmen kann, ist er auch wieder voll Hoffnung, Thatkraft und Schaffens-KM ") Auf Seite 8, Z. 12 v. o. in Heft 14 ist nach den Worten: „In? Spätsommer" zu er¬ gänzen: des nächsten Jahres. Grenzbotc» it I90S 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/81>, abgerufen am 29.04.2024.