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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Orten bei der preußischen Abgevrdneteuwahl am 20. November sprechen ganze Bände.
Tnmultuierende Massen hatten die nur für die Wahlmänner bestimmten Wahllokale
besetzt, und es bedürfte der Hilfe der Polizei, die Freiheit der Wahl zu sichern!
Und solchen Vorgängen gegenüber wollen die Nationalliberalen Reaktion! rufen und
die Sozialdemokratie zum gemeinsamen Kampfe gegen diese vermeintliche Reaktion
werben. Sie sehen nicht, daß sie dabei vom Regen in die Traufe kommen, und
daß ihnen aus diesen Verbündeten eine ganz andre "Reaktion" entstehen würde,
vor der den Liberalen recht bald die Haare zu Berge stehn dürften! Aus dem
schönen Traum von der dem "liberalen Bürgertum" affilnerten Sozialdemokratie
würde es ein schreckliches Erwachen geben. Hu-M alni8 xoz'ciorv vult. . .!

In einem großen modernen Staatswesen gleichen sich die berechtigten
Gegensätze immer wieder von selbst aus, die unberechtigten nie; für diese liegt
der Ausgleich ausschließlich in der gewaltsamen Entscheidung, dnrch die Waffen oder
durch Gesetz. Es ist eine menschlich begreifliche, politisch aber im höchsten Grade
gefährliche Illusion, zu glauben, daß die politisch Verbündete Sozialdemokratie so
liebenswürdig sein werde, die gemeinsame Siegesbeute den Liberalen allein zu über¬
lassen, sich mit magerm Lorbeer zu begnügen und sich bescheiden auf den Klassen¬
kampf, die Lohnfrage usw. zu beschränken. Sie verlangt nicht nur den Löwenanteil,
sondern die ganze Beute. Die Sozialdemokratie ist eine erobernd vordringende
revolutionäre Macht. In dem Kampfe gegen sie heißt es, sofern man ihn über¬
haupt noch führen will: siegen oder untergehn! Ein drittes gibts nicht. Das mag
unbequem sein, aber es ist eine bittere, unumstößliche Wahrheit. Gewiß treten
auch in diesem Kampfe Phasen ein, in denen das Bedürfnis nach Waffenruhe oder
Waffenstillstand bei einem von beiden Teilen, vielleicht auch einmal bei beiden über¬
wiegt, bei den Nichtsozialdemokraten wohl sogar ein Friedensbedürfnis, das die
Sozialdemokratie kann, jemals haben wird und haben kann. Sie hat es offen aus¬
gesprochen, daß sie zu ihrem Gedeihen, ja zu ihrer Existenz Bewegung und Kampf
braucht, ihr Parteiprogramm sagt wörtlich, daß der revolutionäre Funke in den
Massen niemals zum Erloschen kommen darf. Augenscheinlich leben wir jetzt in
einer solchen Periode des Bedürfnisses nach Waffenstillstand, der von den obligaten
Friedensversnchen mehr oder minder guter Freunde begleitet ist. Der Staat und
die bürgerlichen Parteien werden es schwerlich sein, die gestärkt daraus hervorgehn.
Es sei denn, daß sie die Pause benutzen, um für die gesamte Nichtsozialdemokratie
die Eintracht herzustellen, in der allein das Heil liegt. Einem Gegner gegenüber,
der nur ein Gesetz kennt: das des Siegers, muß man sich um so sorgsamer prüfend
fragen: Wohin führt der Weg?


Vom Train.

Mit begreiflicher Spannung erwarten die militärischen Kreise
und über diese hinaus ein großer Teil des deutschen Publikums die praktischen
Konsequenzen des Prozesses Bilse. Wir meinen damit nicht die Arbeit des
eisernen Besens im Forbacher Trainbataillon und vielleicht noch an einigen andern
Orten, sondern wir haben die organisatorischen Folgen im Auge sowohl für "die
kleinen Garnisonen" als auch ganz besonders für die Trainwaffe. Die Verhält¬
nisse bei sämtlichen Trainbalaillonen unsers Heeres sind mehr oder minder uner¬
wünscht, weil sie stagnieren. Sie waren es früher, als die Offizierkorps ausschließlich
aus solchen Elementen gebildet wurden, die die andern Waffen gern abgaben, und sie
sind nicht besser geworden dadurch, daß die Trainbataillone jetzt einen Teil des
Offiziernachwuchscs selbst erziehen. Die Trainbataillone in ihrer heutigen Gestalt
wurden 1860 bei der damaligen Armeereorganisation errichtet, weil dem gänzlich
daniederliegenden und veralteten Heerestransportwesen gründlich aufgeholfen werden
sollte. Kriegsminister General v. Roon rühmte damals in der Kammer, daß man
den Trainsoldaten Grcnadiersrang gegeben habe. Man schritt zu selbständigen
Formationen, um auf diesem Wege die höchste Leistungsfähigkeit zu erreichen.
Damals mag das richtig gewesen sein. Es war eine Anlehnung an das fran¬
zösische Vorbild, wie es sich mit seinen Vorzügen und Mängeln im Kriege von


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Orten bei der preußischen Abgevrdneteuwahl am 20. November sprechen ganze Bände.
Tnmultuierende Massen hatten die nur für die Wahlmänner bestimmten Wahllokale
besetzt, und es bedürfte der Hilfe der Polizei, die Freiheit der Wahl zu sichern!
Und solchen Vorgängen gegenüber wollen die Nationalliberalen Reaktion! rufen und
die Sozialdemokratie zum gemeinsamen Kampfe gegen diese vermeintliche Reaktion
werben. Sie sehen nicht, daß sie dabei vom Regen in die Traufe kommen, und
daß ihnen aus diesen Verbündeten eine ganz andre „Reaktion" entstehen würde,
vor der den Liberalen recht bald die Haare zu Berge stehn dürften! Aus dem
schönen Traum von der dem „liberalen Bürgertum" affilnerten Sozialdemokratie
würde es ein schreckliches Erwachen geben. Hu-M alni8 xoz'ciorv vult. . .!

In einem großen modernen Staatswesen gleichen sich die berechtigten
Gegensätze immer wieder von selbst aus, die unberechtigten nie; für diese liegt
der Ausgleich ausschließlich in der gewaltsamen Entscheidung, dnrch die Waffen oder
durch Gesetz. Es ist eine menschlich begreifliche, politisch aber im höchsten Grade
gefährliche Illusion, zu glauben, daß die politisch Verbündete Sozialdemokratie so
liebenswürdig sein werde, die gemeinsame Siegesbeute den Liberalen allein zu über¬
lassen, sich mit magerm Lorbeer zu begnügen und sich bescheiden auf den Klassen¬
kampf, die Lohnfrage usw. zu beschränken. Sie verlangt nicht nur den Löwenanteil,
sondern die ganze Beute. Die Sozialdemokratie ist eine erobernd vordringende
revolutionäre Macht. In dem Kampfe gegen sie heißt es, sofern man ihn über¬
haupt noch führen will: siegen oder untergehn! Ein drittes gibts nicht. Das mag
unbequem sein, aber es ist eine bittere, unumstößliche Wahrheit. Gewiß treten
auch in diesem Kampfe Phasen ein, in denen das Bedürfnis nach Waffenruhe oder
Waffenstillstand bei einem von beiden Teilen, vielleicht auch einmal bei beiden über¬
wiegt, bei den Nichtsozialdemokraten wohl sogar ein Friedensbedürfnis, das die
Sozialdemokratie kann, jemals haben wird und haben kann. Sie hat es offen aus¬
gesprochen, daß sie zu ihrem Gedeihen, ja zu ihrer Existenz Bewegung und Kampf
braucht, ihr Parteiprogramm sagt wörtlich, daß der revolutionäre Funke in den
Massen niemals zum Erloschen kommen darf. Augenscheinlich leben wir jetzt in
einer solchen Periode des Bedürfnisses nach Waffenstillstand, der von den obligaten
Friedensversnchen mehr oder minder guter Freunde begleitet ist. Der Staat und
die bürgerlichen Parteien werden es schwerlich sein, die gestärkt daraus hervorgehn.
Es sei denn, daß sie die Pause benutzen, um für die gesamte Nichtsozialdemokratie
die Eintracht herzustellen, in der allein das Heil liegt. Einem Gegner gegenüber,
der nur ein Gesetz kennt: das des Siegers, muß man sich um so sorgsamer prüfend
fragen: Wohin führt der Weg?


Vom Train.

Mit begreiflicher Spannung erwarten die militärischen Kreise
und über diese hinaus ein großer Teil des deutschen Publikums die praktischen
Konsequenzen des Prozesses Bilse. Wir meinen damit nicht die Arbeit des
eisernen Besens im Forbacher Trainbataillon und vielleicht noch an einigen andern
Orten, sondern wir haben die organisatorischen Folgen im Auge sowohl für „die
kleinen Garnisonen" als auch ganz besonders für die Trainwaffe. Die Verhält¬
nisse bei sämtlichen Trainbalaillonen unsers Heeres sind mehr oder minder uner¬
wünscht, weil sie stagnieren. Sie waren es früher, als die Offizierkorps ausschließlich
aus solchen Elementen gebildet wurden, die die andern Waffen gern abgaben, und sie
sind nicht besser geworden dadurch, daß die Trainbataillone jetzt einen Teil des
Offiziernachwuchscs selbst erziehen. Die Trainbataillone in ihrer heutigen Gestalt
wurden 1860 bei der damaligen Armeereorganisation errichtet, weil dem gänzlich
daniederliegenden und veralteten Heerestransportwesen gründlich aufgeholfen werden
sollte. Kriegsminister General v. Roon rühmte damals in der Kammer, daß man
den Trainsoldaten Grcnadiersrang gegeben habe. Man schritt zu selbständigen
Formationen, um auf diesem Wege die höchste Leistungsfähigkeit zu erreichen.
Damals mag das richtig gewesen sein. Es war eine Anlehnung an das fran¬
zösische Vorbild, wie es sich mit seinen Vorzügen und Mängeln im Kriege von


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[0608] Maßgebliches und Unmaßgebliches Orten bei der preußischen Abgevrdneteuwahl am 20. November sprechen ganze Bände. Tnmultuierende Massen hatten die nur für die Wahlmänner bestimmten Wahllokale besetzt, und es bedürfte der Hilfe der Polizei, die Freiheit der Wahl zu sichern! Und solchen Vorgängen gegenüber wollen die Nationalliberalen Reaktion! rufen und die Sozialdemokratie zum gemeinsamen Kampfe gegen diese vermeintliche Reaktion werben. Sie sehen nicht, daß sie dabei vom Regen in die Traufe kommen, und daß ihnen aus diesen Verbündeten eine ganz andre „Reaktion" entstehen würde, vor der den Liberalen recht bald die Haare zu Berge stehn dürften! Aus dem schönen Traum von der dem „liberalen Bürgertum" affilnerten Sozialdemokratie würde es ein schreckliches Erwachen geben. Hu-M alni8 xoz'ciorv vult. . .! In einem großen modernen Staatswesen gleichen sich die berechtigten Gegensätze immer wieder von selbst aus, die unberechtigten nie; für diese liegt der Ausgleich ausschließlich in der gewaltsamen Entscheidung, dnrch die Waffen oder durch Gesetz. Es ist eine menschlich begreifliche, politisch aber im höchsten Grade gefährliche Illusion, zu glauben, daß die politisch Verbündete Sozialdemokratie so liebenswürdig sein werde, die gemeinsame Siegesbeute den Liberalen allein zu über¬ lassen, sich mit magerm Lorbeer zu begnügen und sich bescheiden auf den Klassen¬ kampf, die Lohnfrage usw. zu beschränken. Sie verlangt nicht nur den Löwenanteil, sondern die ganze Beute. Die Sozialdemokratie ist eine erobernd vordringende revolutionäre Macht. In dem Kampfe gegen sie heißt es, sofern man ihn über¬ haupt noch führen will: siegen oder untergehn! Ein drittes gibts nicht. Das mag unbequem sein, aber es ist eine bittere, unumstößliche Wahrheit. Gewiß treten auch in diesem Kampfe Phasen ein, in denen das Bedürfnis nach Waffenruhe oder Waffenstillstand bei einem von beiden Teilen, vielleicht auch einmal bei beiden über¬ wiegt, bei den Nichtsozialdemokraten wohl sogar ein Friedensbedürfnis, das die Sozialdemokratie kann, jemals haben wird und haben kann. Sie hat es offen aus¬ gesprochen, daß sie zu ihrem Gedeihen, ja zu ihrer Existenz Bewegung und Kampf braucht, ihr Parteiprogramm sagt wörtlich, daß der revolutionäre Funke in den Massen niemals zum Erloschen kommen darf. Augenscheinlich leben wir jetzt in einer solchen Periode des Bedürfnisses nach Waffenstillstand, der von den obligaten Friedensversnchen mehr oder minder guter Freunde begleitet ist. Der Staat und die bürgerlichen Parteien werden es schwerlich sein, die gestärkt daraus hervorgehn. Es sei denn, daß sie die Pause benutzen, um für die gesamte Nichtsozialdemokratie die Eintracht herzustellen, in der allein das Heil liegt. Einem Gegner gegenüber, der nur ein Gesetz kennt: das des Siegers, muß man sich um so sorgsamer prüfend fragen: Wohin führt der Weg? Vom Train. Mit begreiflicher Spannung erwarten die militärischen Kreise und über diese hinaus ein großer Teil des deutschen Publikums die praktischen Konsequenzen des Prozesses Bilse. Wir meinen damit nicht die Arbeit des eisernen Besens im Forbacher Trainbataillon und vielleicht noch an einigen andern Orten, sondern wir haben die organisatorischen Folgen im Auge sowohl für „die kleinen Garnisonen" als auch ganz besonders für die Trainwaffe. Die Verhält¬ nisse bei sämtlichen Trainbalaillonen unsers Heeres sind mehr oder minder uner¬ wünscht, weil sie stagnieren. Sie waren es früher, als die Offizierkorps ausschließlich aus solchen Elementen gebildet wurden, die die andern Waffen gern abgaben, und sie sind nicht besser geworden dadurch, daß die Trainbataillone jetzt einen Teil des Offiziernachwuchscs selbst erziehen. Die Trainbataillone in ihrer heutigen Gestalt wurden 1860 bei der damaligen Armeereorganisation errichtet, weil dem gänzlich daniederliegenden und veralteten Heerestransportwesen gründlich aufgeholfen werden sollte. Kriegsminister General v. Roon rühmte damals in der Kammer, daß man den Trainsoldaten Grcnadiersrang gegeben habe. Man schritt zu selbständigen Formationen, um auf diesem Wege die höchste Leistungsfähigkeit zu erreichen. Damals mag das richtig gewesen sein. Es war eine Anlehnung an das fran¬ zösische Vorbild, wie es sich mit seinen Vorzügen und Mängeln im Kriege von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/608>, abgerufen am 05.05.2024.