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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

lockender Würze bereitete, so richtete sie auch ihr Leben reiz- und duftlos zu, als
eine Art Krankensüpplein pflichtmäßig nach Borschrist bereitet. Dazu war ihr Um¬
gang nicht dazu angetan, sie vergnüglicher zu bestimmen. Sie besuchte sonntäglich die
Kapelle einer kleinen aber ausgewählten Sekte, deren Aufgabe hauptsächlich darin
bestand, darüber zu klagen, daß die Welt, natürlich mit Ausnahme ihres kleinen
Kreises von Auserwählten, der Verderbnis verfallen wäre. Da sich nun auch die
einzigen Guten auf dieser Erde unter soviel Sündern unmöglich behaglich fühlen
konnten, so war in der Tat kein Grund vorhanden, auf dieser Welt vergnügt zu
sein. So lag also über ihrem Wesen immer eine leichte Trauer, ein sanftes, stilles
Sommerwölkchen, das alle Sonnenstrahlen brach. Gleichwohl waren wir zufrieden,
denn wir lebten im eignen Hause, hatten ein hübsches Gärtchen und gingen friedlich
miteinander um. Unter solchen Verhältnissen verlebte ich zwei glückliche Jahre, in
deren Verlauf ich Eltern, Geschwister und die alte Heimat fast völlig vergaß und
mich in den Gedanken einlebte, dermaleinst unter den Menschen eine bevorzugte
Rolle zu spielen.

Bald darauf bereitete sich jedoch ein Wetterumschlag vor. Meine Tante fing
an, mich merklich kühler zu behandeln. Die Ursache davon verstand ich freilich nicht,
sie wurde mir erst von Nachbarsleuten klar gemacht, als ich eines Morgens bei
uns ein kleines schreiendes Mädchen vorgefunden und die Kunde davon mit strah¬
lenden Mienen in der Nachbarschaft herumgetragen hatte. Armer Junge, sagte
jemand, das kleine Ding wird dich aus dem warmen Nest herausschmeißen. Paß
auf, jetzt wird dir ein andres Windchen um die Nase wehen! Das tat es auch,
doch um gerecht zu sein, der Onkel bewahrte mir noch einen großen Teil seiner
Zuneigung, wohl weil in seinen Adern dasselbe Blut floß wie in den meinigen.
Aber auch deshalb, weil er ein ganzer Mann, und obwohl er nicht zu dem Kreis
der auserwählten Gerechten gehörte, dennoch von ganzem Herzen gerecht war, wo¬
gegen meine Tante, wie manche Frauen von sonst peinlich genauer Gewissen¬
haftigkeit und von untadelhafter Gesinnung im Punkte der Gerechtigkeit gleichsam
einen Sprung in ihrem Wesen haben. Sie gefror nnn innerlich zu Eis und be¬
handelte mich als einen lästigen Ausländer; sie vergaß, daß sie mich selber in ihre
Welt hineingerufeu hatte, und als ihr Mann plötzlich starb, traf sie sofort An¬
stalten, mich nach Hause zu schicken. Meine Eltern winkten jedoch entschieden ab
und beriefen sich dabei ans die eigenste Schöpfung meiner unglücklichen Tante, den
Vertrag.

Wie ich später erfuhr, war mein Vater sogleich willens gewesen, mich heim¬
zuholen, die Mutter jedoch, als die weltklügere und zugleich die hauptsächliche Er¬
nährerin der Familie, hatte auf ihrem Schein bestanden, nicht als ob sie kein Gefühl
für mich gehabt hätte, sondern weil sie mich bei den Verwandten besser gebettet
wähnte, als im kümmerlichen Vaterhause, und weil sie im stillen darauf rechnete,
der liebe Gott werde die zarte Herbstblüte, das zarte und schwache Mädchen, dessen
Erscheinen - mir so hinderlich geworden war, wieder in die Welt des ewigen Früh¬
lings zurücknehmen.

So kamen denn wieder knappere Tage für mich, die kärgliche Pension, von
der meine Tante als Bcamtenwitwe leben sollte, reichte nicht aus, und sie mußte
erst eine Weile darben, ehe sie sich nnter den neuen Verhältnissen hatte einrichten
lernen. Da kamen nun auch Tage, wo wir uns hungrig zu Bett legen mußten,
was mich um so tiefer kränkte, als ich sah, daß für die kleine Martha noch immer
in der gewöhnlichen Weise gesorgt wurde. Daß ich nun eine geringere Schule
besuchen mußte, bereitete mir weniger Kummer, da ich auch jetzt viel mehr zu
lernen hatte, als mir lieb war, und unter der Gesellschaft meiner Mitschüler
ein lustigerer Geist herrschte als unter der frühern.


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Eines Tags kam die Mutter aufgeregt nach Hans und rief mit einer fliegenden
Röte in dem sonst blassen Gesicht: Kinder, ihr bekommt wieder einen neuen Vater.


Zwei Seelen

lockender Würze bereitete, so richtete sie auch ihr Leben reiz- und duftlos zu, als
eine Art Krankensüpplein pflichtmäßig nach Borschrist bereitet. Dazu war ihr Um¬
gang nicht dazu angetan, sie vergnüglicher zu bestimmen. Sie besuchte sonntäglich die
Kapelle einer kleinen aber ausgewählten Sekte, deren Aufgabe hauptsächlich darin
bestand, darüber zu klagen, daß die Welt, natürlich mit Ausnahme ihres kleinen
Kreises von Auserwählten, der Verderbnis verfallen wäre. Da sich nun auch die
einzigen Guten auf dieser Erde unter soviel Sündern unmöglich behaglich fühlen
konnten, so war in der Tat kein Grund vorhanden, auf dieser Welt vergnügt zu
sein. So lag also über ihrem Wesen immer eine leichte Trauer, ein sanftes, stilles
Sommerwölkchen, das alle Sonnenstrahlen brach. Gleichwohl waren wir zufrieden,
denn wir lebten im eignen Hause, hatten ein hübsches Gärtchen und gingen friedlich
miteinander um. Unter solchen Verhältnissen verlebte ich zwei glückliche Jahre, in
deren Verlauf ich Eltern, Geschwister und die alte Heimat fast völlig vergaß und
mich in den Gedanken einlebte, dermaleinst unter den Menschen eine bevorzugte
Rolle zu spielen.

Bald darauf bereitete sich jedoch ein Wetterumschlag vor. Meine Tante fing
an, mich merklich kühler zu behandeln. Die Ursache davon verstand ich freilich nicht,
sie wurde mir erst von Nachbarsleuten klar gemacht, als ich eines Morgens bei
uns ein kleines schreiendes Mädchen vorgefunden und die Kunde davon mit strah¬
lenden Mienen in der Nachbarschaft herumgetragen hatte. Armer Junge, sagte
jemand, das kleine Ding wird dich aus dem warmen Nest herausschmeißen. Paß
auf, jetzt wird dir ein andres Windchen um die Nase wehen! Das tat es auch,
doch um gerecht zu sein, der Onkel bewahrte mir noch einen großen Teil seiner
Zuneigung, wohl weil in seinen Adern dasselbe Blut floß wie in den meinigen.
Aber auch deshalb, weil er ein ganzer Mann, und obwohl er nicht zu dem Kreis
der auserwählten Gerechten gehörte, dennoch von ganzem Herzen gerecht war, wo¬
gegen meine Tante, wie manche Frauen von sonst peinlich genauer Gewissen¬
haftigkeit und von untadelhafter Gesinnung im Punkte der Gerechtigkeit gleichsam
einen Sprung in ihrem Wesen haben. Sie gefror nnn innerlich zu Eis und be¬
handelte mich als einen lästigen Ausländer; sie vergaß, daß sie mich selber in ihre
Welt hineingerufeu hatte, und als ihr Mann plötzlich starb, traf sie sofort An¬
stalten, mich nach Hause zu schicken. Meine Eltern winkten jedoch entschieden ab
und beriefen sich dabei ans die eigenste Schöpfung meiner unglücklichen Tante, den
Vertrag.

Wie ich später erfuhr, war mein Vater sogleich willens gewesen, mich heim¬
zuholen, die Mutter jedoch, als die weltklügere und zugleich die hauptsächliche Er¬
nährerin der Familie, hatte auf ihrem Schein bestanden, nicht als ob sie kein Gefühl
für mich gehabt hätte, sondern weil sie mich bei den Verwandten besser gebettet
wähnte, als im kümmerlichen Vaterhause, und weil sie im stillen darauf rechnete,
der liebe Gott werde die zarte Herbstblüte, das zarte und schwache Mädchen, dessen
Erscheinen - mir so hinderlich geworden war, wieder in die Welt des ewigen Früh¬
lings zurücknehmen.

So kamen denn wieder knappere Tage für mich, die kärgliche Pension, von
der meine Tante als Bcamtenwitwe leben sollte, reichte nicht aus, und sie mußte
erst eine Weile darben, ehe sie sich nnter den neuen Verhältnissen hatte einrichten
lernen. Da kamen nun auch Tage, wo wir uns hungrig zu Bett legen mußten,
was mich um so tiefer kränkte, als ich sah, daß für die kleine Martha noch immer
in der gewöhnlichen Weise gesorgt wurde. Daß ich nun eine geringere Schule
besuchen mußte, bereitete mir weniger Kummer, da ich auch jetzt viel mehr zu
lernen hatte, als mir lieb war, und unter der Gesellschaft meiner Mitschüler
ein lustigerer Geist herrschte als unter der frühern.


4

Eines Tags kam die Mutter aufgeregt nach Hans und rief mit einer fliegenden
Röte in dem sonst blassen Gesicht: Kinder, ihr bekommt wieder einen neuen Vater.


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[0064] Zwei Seelen lockender Würze bereitete, so richtete sie auch ihr Leben reiz- und duftlos zu, als eine Art Krankensüpplein pflichtmäßig nach Borschrist bereitet. Dazu war ihr Um¬ gang nicht dazu angetan, sie vergnüglicher zu bestimmen. Sie besuchte sonntäglich die Kapelle einer kleinen aber ausgewählten Sekte, deren Aufgabe hauptsächlich darin bestand, darüber zu klagen, daß die Welt, natürlich mit Ausnahme ihres kleinen Kreises von Auserwählten, der Verderbnis verfallen wäre. Da sich nun auch die einzigen Guten auf dieser Erde unter soviel Sündern unmöglich behaglich fühlen konnten, so war in der Tat kein Grund vorhanden, auf dieser Welt vergnügt zu sein. So lag also über ihrem Wesen immer eine leichte Trauer, ein sanftes, stilles Sommerwölkchen, das alle Sonnenstrahlen brach. Gleichwohl waren wir zufrieden, denn wir lebten im eignen Hause, hatten ein hübsches Gärtchen und gingen friedlich miteinander um. Unter solchen Verhältnissen verlebte ich zwei glückliche Jahre, in deren Verlauf ich Eltern, Geschwister und die alte Heimat fast völlig vergaß und mich in den Gedanken einlebte, dermaleinst unter den Menschen eine bevorzugte Rolle zu spielen. Bald darauf bereitete sich jedoch ein Wetterumschlag vor. Meine Tante fing an, mich merklich kühler zu behandeln. Die Ursache davon verstand ich freilich nicht, sie wurde mir erst von Nachbarsleuten klar gemacht, als ich eines Morgens bei uns ein kleines schreiendes Mädchen vorgefunden und die Kunde davon mit strah¬ lenden Mienen in der Nachbarschaft herumgetragen hatte. Armer Junge, sagte jemand, das kleine Ding wird dich aus dem warmen Nest herausschmeißen. Paß auf, jetzt wird dir ein andres Windchen um die Nase wehen! Das tat es auch, doch um gerecht zu sein, der Onkel bewahrte mir noch einen großen Teil seiner Zuneigung, wohl weil in seinen Adern dasselbe Blut floß wie in den meinigen. Aber auch deshalb, weil er ein ganzer Mann, und obwohl er nicht zu dem Kreis der auserwählten Gerechten gehörte, dennoch von ganzem Herzen gerecht war, wo¬ gegen meine Tante, wie manche Frauen von sonst peinlich genauer Gewissen¬ haftigkeit und von untadelhafter Gesinnung im Punkte der Gerechtigkeit gleichsam einen Sprung in ihrem Wesen haben. Sie gefror nnn innerlich zu Eis und be¬ handelte mich als einen lästigen Ausländer; sie vergaß, daß sie mich selber in ihre Welt hineingerufeu hatte, und als ihr Mann plötzlich starb, traf sie sofort An¬ stalten, mich nach Hause zu schicken. Meine Eltern winkten jedoch entschieden ab und beriefen sich dabei ans die eigenste Schöpfung meiner unglücklichen Tante, den Vertrag. Wie ich später erfuhr, war mein Vater sogleich willens gewesen, mich heim¬ zuholen, die Mutter jedoch, als die weltklügere und zugleich die hauptsächliche Er¬ nährerin der Familie, hatte auf ihrem Schein bestanden, nicht als ob sie kein Gefühl für mich gehabt hätte, sondern weil sie mich bei den Verwandten besser gebettet wähnte, als im kümmerlichen Vaterhause, und weil sie im stillen darauf rechnete, der liebe Gott werde die zarte Herbstblüte, das zarte und schwache Mädchen, dessen Erscheinen - mir so hinderlich geworden war, wieder in die Welt des ewigen Früh¬ lings zurücknehmen. So kamen denn wieder knappere Tage für mich, die kärgliche Pension, von der meine Tante als Bcamtenwitwe leben sollte, reichte nicht aus, und sie mußte erst eine Weile darben, ehe sie sich nnter den neuen Verhältnissen hatte einrichten lernen. Da kamen nun auch Tage, wo wir uns hungrig zu Bett legen mußten, was mich um so tiefer kränkte, als ich sah, daß für die kleine Martha noch immer in der gewöhnlichen Weise gesorgt wurde. Daß ich nun eine geringere Schule besuchen mußte, bereitete mir weniger Kummer, da ich auch jetzt viel mehr zu lernen hatte, als mir lieb war, und unter der Gesellschaft meiner Mitschüler ein lustigerer Geist herrschte als unter der frühern. 4 Eines Tags kam die Mutter aufgeregt nach Hans und rief mit einer fliegenden Röte in dem sonst blassen Gesicht: Kinder, ihr bekommt wieder einen neuen Vater.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/64>, abgerufen am 05.05.2024.