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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei senken

Die kleine Martha, die das nicht verstand, fing an zu weinen, wohl erschrocken
über den ungewohnten erregten Ton, mit dem die Mutter uns ansprach, oder wer
weis; aus welcher Ursache. Seltsame Dinge spielen sich hinter dem bunten Vor--
sang der Seele ab. Vielleicht, daß das kleine Wesen, sich selber unbewußt, schon
das schlimme Schicksal beweinte, das sich ihrer Mutter aufzuerlegen im Begriff
war. Ich jedoch jubelte auf, da ich annahm, die alten guten Zeiten brächen nun
wieder an. Der neue Vater war viel jünger als die Tante, ein schöner stattlicher
Mann, heitern Wesens und von angenehmen Manieren, kurz ein Mann, den mau
als eine gute Partie bezeichnen durfte. Er hatte sich das schönste und frischeste
Mädchen aufsuchen können, aber das eigne Haus, über dessen Besitz die Taute so
eifersüchtig gewacht hatte, daß sie wohl lieber verhungert wäre, als daß sie sich
von ihm getrennt hätte, und die gute Wohnungseinrichtung mochten ans ihn einen
starken Eindruck gemacht und ihm die vielen kleinen Fältchen ans dem Gesicht der
Tante verdeckt bilden. Ein eignes Haus ist ein guter Grund zu einem Eheantrag;
ich weiß von einem jungen netten Menschen, der ein bösartiges und sehr wider¬
wärtiges Weib uur darum heiratete, weil es ihn nach dem Sonntngsanzug ihres ver¬
storbnen Mannes gelüstete.

Unser neuer Vater hieß Bauer und war Arbeiter in einer Maschinenfabrik.
wo er einen reichlichen Lohn verdiente. Da die Mutter überdies in verschiednen
guten Däusern die Wäsche besorgte, so ging es uns mit einemmal ausgezeichnet,
sogar die Tante, die ihre Gänge in die Kapelle aufgab, Wohl weil sie durch ihren
weltlichen Sinn Anstoß erregt hatte, wurde von der muntern Weise ihres Mnunes
angesteckt, und es fehlte nicht viel, so wäre sie zuguderletzt noch eine leidlich heitere
Fran geworden. Denn das eine und das andre mal hatte man sie schon dabei
betroffen, wie sie bei den lustigen Geschichten ihres Mannes leise in sich hinein¬
lachte. Unser ganzes Hnnswesen erhielt nun einen fröhlichen Anstrich, der wilde
Wein roch wieder die gewohnten Tabakwölkchen und bekam auch wieder Musik zu
höre", da Bauer ein geübter Klnrinettenspieler war. Auch ich empfing von der
allgemeinen hoffnungsvollen Stimmung meinen Anteil und wurde von der Tante,
in deren Herzen ein linder Tanwind wehte, wieder freundlicher behandelt. Unser
Schifflein schwamm also, nachdem es eine ziemliche Zeit auf einer Sandbank fest¬
gelegen hatte, wieder lustig ins Blaue hinein. Freilich uur auf kurze Zeit, dann
war der Altweibersommer zu Ende.

Der Onkel geriet eines Tags mit einem andern Arbeiter in Streit und wußte
sich, da er vorher getrunken hatte, nicht wie sonst zu benehme". So prügelte er
sich mit dem Kameraden herum, wobei er im Ringen und Stoßen einer glühenden
Eisenstange zu nahe kam und sich übel verbrannte. Das Schlimmste war jedoch,
daß er wegen dieses Streits seine Stelle verlor und überhaupt ein ganz andrer
Mensch wurde. Er hatte schou immer eine starke Leidenschaft für das Herum¬
flanieren in Wald und Feld, und wäre er von Anfang an in die grüne Farbe
hineingekommen, so würde wohl aus ihm ein tüchtiger Jägersmann geworden sein.
Es verging kein Sonntag und kein Feiertag, wo wir nicht schon in aller Frühe in
den Wald hinaufpilgerten oder ans irgend ein Hcckendörfchen, und da der Onkel
ein guter Kenner der Vogelstimmen war, so war es eine Lust, mit ihm zu mar¬
schieren. Zuletzt suchte er gewöhnlich ein verschwiegnes Wasserplätzchen ans. um
dort dem Angelsport zu huldigen und womöglich ein paar Fische für unsern
Abendtisch aus der goldigen Flut herauszuziehn. Währenddessen saß die Tante mit
uns unter einem schattigen Baum in der Nähe und arbeitete, da sie durchaus nicht
unbeschäftigt bleiben konnte, eine Kleinigkeit.

Das waren für uus glückliche Stunden gewesen. Jetzt, wo der Onkel den
ganzen Tag vor sich hatte, beschränkte er jedoch seine ländlichen Ausflüge nicht auf
den Sonntag, sondern war eigentlich immer unterwegs, nur zu den Eßstunden
stellte er sich daheim mit peinlicher Pünktlichkeit ein. Dieses viele Herumlaufen
machte ihn jedoch durstig, und so war er bald darauf in allen Wirtshäusern ein


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Die kleine Martha, die das nicht verstand, fing an zu weinen, wohl erschrocken
über den ungewohnten erregten Ton, mit dem die Mutter uns ansprach, oder wer
weis; aus welcher Ursache. Seltsame Dinge spielen sich hinter dem bunten Vor--
sang der Seele ab. Vielleicht, daß das kleine Wesen, sich selber unbewußt, schon
das schlimme Schicksal beweinte, das sich ihrer Mutter aufzuerlegen im Begriff
war. Ich jedoch jubelte auf, da ich annahm, die alten guten Zeiten brächen nun
wieder an. Der neue Vater war viel jünger als die Tante, ein schöner stattlicher
Mann, heitern Wesens und von angenehmen Manieren, kurz ein Mann, den mau
als eine gute Partie bezeichnen durfte. Er hatte sich das schönste und frischeste
Mädchen aufsuchen können, aber das eigne Haus, über dessen Besitz die Taute so
eifersüchtig gewacht hatte, daß sie wohl lieber verhungert wäre, als daß sie sich
von ihm getrennt hätte, und die gute Wohnungseinrichtung mochten ans ihn einen
starken Eindruck gemacht und ihm die vielen kleinen Fältchen ans dem Gesicht der
Tante verdeckt bilden. Ein eignes Haus ist ein guter Grund zu einem Eheantrag;
ich weiß von einem jungen netten Menschen, der ein bösartiges und sehr wider¬
wärtiges Weib uur darum heiratete, weil es ihn nach dem Sonntngsanzug ihres ver¬
storbnen Mannes gelüstete.

Unser neuer Vater hieß Bauer und war Arbeiter in einer Maschinenfabrik.
wo er einen reichlichen Lohn verdiente. Da die Mutter überdies in verschiednen
guten Däusern die Wäsche besorgte, so ging es uns mit einemmal ausgezeichnet,
sogar die Tante, die ihre Gänge in die Kapelle aufgab, Wohl weil sie durch ihren
weltlichen Sinn Anstoß erregt hatte, wurde von der muntern Weise ihres Mnunes
angesteckt, und es fehlte nicht viel, so wäre sie zuguderletzt noch eine leidlich heitere
Fran geworden. Denn das eine und das andre mal hatte man sie schon dabei
betroffen, wie sie bei den lustigen Geschichten ihres Mannes leise in sich hinein¬
lachte. Unser ganzes Hnnswesen erhielt nun einen fröhlichen Anstrich, der wilde
Wein roch wieder die gewohnten Tabakwölkchen und bekam auch wieder Musik zu
höre», da Bauer ein geübter Klnrinettenspieler war. Auch ich empfing von der
allgemeinen hoffnungsvollen Stimmung meinen Anteil und wurde von der Tante,
in deren Herzen ein linder Tanwind wehte, wieder freundlicher behandelt. Unser
Schifflein schwamm also, nachdem es eine ziemliche Zeit auf einer Sandbank fest¬
gelegen hatte, wieder lustig ins Blaue hinein. Freilich uur auf kurze Zeit, dann
war der Altweibersommer zu Ende.

Der Onkel geriet eines Tags mit einem andern Arbeiter in Streit und wußte
sich, da er vorher getrunken hatte, nicht wie sonst zu benehme». So prügelte er
sich mit dem Kameraden herum, wobei er im Ringen und Stoßen einer glühenden
Eisenstange zu nahe kam und sich übel verbrannte. Das Schlimmste war jedoch,
daß er wegen dieses Streits seine Stelle verlor und überhaupt ein ganz andrer
Mensch wurde. Er hatte schou immer eine starke Leidenschaft für das Herum¬
flanieren in Wald und Feld, und wäre er von Anfang an in die grüne Farbe
hineingekommen, so würde wohl aus ihm ein tüchtiger Jägersmann geworden sein.
Es verging kein Sonntag und kein Feiertag, wo wir nicht schon in aller Frühe in
den Wald hinaufpilgerten oder ans irgend ein Hcckendörfchen, und da der Onkel
ein guter Kenner der Vogelstimmen war, so war es eine Lust, mit ihm zu mar¬
schieren. Zuletzt suchte er gewöhnlich ein verschwiegnes Wasserplätzchen ans. um
dort dem Angelsport zu huldigen und womöglich ein paar Fische für unsern
Abendtisch aus der goldigen Flut herauszuziehn. Währenddessen saß die Tante mit
uns unter einem schattigen Baum in der Nähe und arbeitete, da sie durchaus nicht
unbeschäftigt bleiben konnte, eine Kleinigkeit.

Das waren für uus glückliche Stunden gewesen. Jetzt, wo der Onkel den
ganzen Tag vor sich hatte, beschränkte er jedoch seine ländlichen Ausflüge nicht auf
den Sonntag, sondern war eigentlich immer unterwegs, nur zu den Eßstunden
stellte er sich daheim mit peinlicher Pünktlichkeit ein. Dieses viele Herumlaufen
machte ihn jedoch durstig, und so war er bald darauf in allen Wirtshäusern ein


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[0065] Zwei senken Die kleine Martha, die das nicht verstand, fing an zu weinen, wohl erschrocken über den ungewohnten erregten Ton, mit dem die Mutter uns ansprach, oder wer weis; aus welcher Ursache. Seltsame Dinge spielen sich hinter dem bunten Vor-- sang der Seele ab. Vielleicht, daß das kleine Wesen, sich selber unbewußt, schon das schlimme Schicksal beweinte, das sich ihrer Mutter aufzuerlegen im Begriff war. Ich jedoch jubelte auf, da ich annahm, die alten guten Zeiten brächen nun wieder an. Der neue Vater war viel jünger als die Tante, ein schöner stattlicher Mann, heitern Wesens und von angenehmen Manieren, kurz ein Mann, den mau als eine gute Partie bezeichnen durfte. Er hatte sich das schönste und frischeste Mädchen aufsuchen können, aber das eigne Haus, über dessen Besitz die Taute so eifersüchtig gewacht hatte, daß sie wohl lieber verhungert wäre, als daß sie sich von ihm getrennt hätte, und die gute Wohnungseinrichtung mochten ans ihn einen starken Eindruck gemacht und ihm die vielen kleinen Fältchen ans dem Gesicht der Tante verdeckt bilden. Ein eignes Haus ist ein guter Grund zu einem Eheantrag; ich weiß von einem jungen netten Menschen, der ein bösartiges und sehr wider¬ wärtiges Weib uur darum heiratete, weil es ihn nach dem Sonntngsanzug ihres ver¬ storbnen Mannes gelüstete. Unser neuer Vater hieß Bauer und war Arbeiter in einer Maschinenfabrik. wo er einen reichlichen Lohn verdiente. Da die Mutter überdies in verschiednen guten Däusern die Wäsche besorgte, so ging es uns mit einemmal ausgezeichnet, sogar die Tante, die ihre Gänge in die Kapelle aufgab, Wohl weil sie durch ihren weltlichen Sinn Anstoß erregt hatte, wurde von der muntern Weise ihres Mnunes angesteckt, und es fehlte nicht viel, so wäre sie zuguderletzt noch eine leidlich heitere Fran geworden. Denn das eine und das andre mal hatte man sie schon dabei betroffen, wie sie bei den lustigen Geschichten ihres Mannes leise in sich hinein¬ lachte. Unser ganzes Hnnswesen erhielt nun einen fröhlichen Anstrich, der wilde Wein roch wieder die gewohnten Tabakwölkchen und bekam auch wieder Musik zu höre», da Bauer ein geübter Klnrinettenspieler war. Auch ich empfing von der allgemeinen hoffnungsvollen Stimmung meinen Anteil und wurde von der Tante, in deren Herzen ein linder Tanwind wehte, wieder freundlicher behandelt. Unser Schifflein schwamm also, nachdem es eine ziemliche Zeit auf einer Sandbank fest¬ gelegen hatte, wieder lustig ins Blaue hinein. Freilich uur auf kurze Zeit, dann war der Altweibersommer zu Ende. Der Onkel geriet eines Tags mit einem andern Arbeiter in Streit und wußte sich, da er vorher getrunken hatte, nicht wie sonst zu benehme». So prügelte er sich mit dem Kameraden herum, wobei er im Ringen und Stoßen einer glühenden Eisenstange zu nahe kam und sich übel verbrannte. Das Schlimmste war jedoch, daß er wegen dieses Streits seine Stelle verlor und überhaupt ein ganz andrer Mensch wurde. Er hatte schou immer eine starke Leidenschaft für das Herum¬ flanieren in Wald und Feld, und wäre er von Anfang an in die grüne Farbe hineingekommen, so würde wohl aus ihm ein tüchtiger Jägersmann geworden sein. Es verging kein Sonntag und kein Feiertag, wo wir nicht schon in aller Frühe in den Wald hinaufpilgerten oder ans irgend ein Hcckendörfchen, und da der Onkel ein guter Kenner der Vogelstimmen war, so war es eine Lust, mit ihm zu mar¬ schieren. Zuletzt suchte er gewöhnlich ein verschwiegnes Wasserplätzchen ans. um dort dem Angelsport zu huldigen und womöglich ein paar Fische für unsern Abendtisch aus der goldigen Flut herauszuziehn. Währenddessen saß die Tante mit uns unter einem schattigen Baum in der Nähe und arbeitete, da sie durchaus nicht unbeschäftigt bleiben konnte, eine Kleinigkeit. Das waren für uus glückliche Stunden gewesen. Jetzt, wo der Onkel den ganzen Tag vor sich hatte, beschränkte er jedoch seine ländlichen Ausflüge nicht auf den Sonntag, sondern war eigentlich immer unterwegs, nur zu den Eßstunden stellte er sich daheim mit peinlicher Pünktlichkeit ein. Dieses viele Herumlaufen machte ihn jedoch durstig, und so war er bald darauf in allen Wirtshäusern ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/65>, abgerufen am 26.05.2024.