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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

Freudentag für das ganze Haus. Wir Kinder bemächtigten uns des Wagens und
streichelten den Braunen, der in einem Holzstall untergebracht wurde. Während¬
dessen hielten die Erwachsnen ein wichtiges Gespräch. Der Onkel, der in guten
Verhältnissen lebte, hatte sich entschlossen, nachdem kleinere Zuschüsse zwecklos ge¬
wesen waren, eben nur ein Tropfen auf den heißen Stein, durch einen tiefen Griff
in seine Kasse unser gründlich verfahrenes Lebensschiff wieder flott zu machen.
Außerdem sprach er die Absicht aus, einen unsrer Sprößlinge in sein kinderloses
Haus zu verpflanzen und rin aller Liebe aufzuziehen. Da war nun Gelegenheit,
jeden Geschmack zu befriedigen, denn bet uns gab es Kinder von jedem Alter und
Temperament, aber Wahl macht Qual. Während die ältern Söhne und Töchter,
die auf die Verwandten wohl einen blöden Eindruck gemacht haben, wie sie denn
auch stumpfe und beschränkte Menschen ihr Leben lang geblieben sind, von vorn¬
herein aus der Wahl fielen, schwankte das Zünglein der Wage lange zwischen mir
und meiner jüngsten Schwester, einem lieblichen Kinde, das trotz des Dunkels,
worin es aufgewachsen war, ein sonnenhelles Gemüt empfangen hatte, freilich auch
eine so zarte Gesundheit, daß ihr niemand eine lange Lebensdauer zutrauen konnte.
Der Onkel wollte dennoch gern das freundliche Röschen mit sich nehmen, meine
Tante hatte dagegen ihre Sehnsucht auf mich gerichtet und feste ihr Verlangen
denn auch mit der Energie durch, die den Menschen dann vor allem zu Gebote
steht, wenn sie etwas recht törichtes vorhaben. Dn sie bemerkte, wie nah es meinem
Vater ging, mich wegzugeben, glaubte sie einen besonders vorteilhafter Griff getan
zu haben, und bestand als eine genaue und mißtrauische Person nun auch noch
darauf, daß über den Handel ein Vertrag aufgesetzt wurde. Das geschah denn
auch nach ihrem Willen, aber sie fühlte sich doch erst dann ihrer Sache völlig
sicher, als sie mich im Wagen verpackt hatte "ut mit mir in die schöne Sommer¬
nacht hineinfuhr. Ich glaube, ich habe meinen Eltern nicht einmal Lebewohl gesagt,
so zufrieden war ich mit der Wendung, die mein Leben genommen hatte; nur
unserm Röschen, wohl als Tröstung für die ihr cmgetcme Zurücksetzung, schenkte ich
meinen Laubfrosch, um dem sie sich freilich wenig Trost, wenn sie dessen überhaupt
bedurfte, geholt haben wird, da sie das Tier von ganzem Herzen verabscheute und
fürchtete. Der Onkel saß vor uns auf dem Bock und rauchte seine Pfeife, die
Tante hielt mich im Arm, so fuhren wir der neuen Heimat zu. Wie oft habe ich
an diese Fahrt gedacht, und wie wunderlich mag es erst der Tante ums Herz ge¬
wesen sein, wenn sie sich ihrer damaligen Gefühlsverirrung erinnerte. Was würde
sie wohl darum gegeben haben, in diesem Falle nicht eigensinnig gewesen zu sein!
Hatte sie unser Röschen genommen, so hätte sie es schon im folgenden Herbst nnter
einem Rosenstrauch betten können. Mich dagegen konnte sie nicht los werden, so
sehr sie mich danach verlangte, sich von dem Kleinod, das ihr zuerst die Augen
verblendet hatte, zu trennen.


3

Es begann für mich nnn ein neues Leben. Ich war gut gekleidet, reichlich
gefüttert, ging rin sauber nngczognen Kindern in eine gute Schule und fühlte mich
ausnehmend Wohl. Der Onkel war ein stiller, friedliebender Mann, der glücklich
war, wenn er zu Hause frohe Gesichter um sich hatte, und sein größtes Glück
darin fand, in einer kleinen, von wildem Wein nmwachsuen Laube sein Pfeifchen
zu rauchen und dazwischen ein Stück ans dem Waldhorn zu blasen. Die Tante
war ehrenhaft und fromm, aber mit einem Stich ins Saure. Die freudige Er¬
regung, die über sie gekommen war, als sie mich eingehandelt hatte, war wie ein
leichter Champagnerransch schnell verraucht und kehrte nur auf Augenblicke wieder,
wenn sie sich in einen der mütterlichen Trimme verloren haben mochte, unter deren
Gewalt auch das kühlste Frauenherz wärmer und weicher als gewöhnlich fühlt.
Eigentlich war sie nie zufrieden, ihr ernstes Gesicht hatte das Lachen ganz ver¬
lernt oder nie gekannt; sie nahm das Leben als eine schwere Pflicht, und wie sie
ihre Mahlzeiten nahrhaft und peinlich sauber, aber auch ohne eine Spur von


Zwei Seelen

Freudentag für das ganze Haus. Wir Kinder bemächtigten uns des Wagens und
streichelten den Braunen, der in einem Holzstall untergebracht wurde. Während¬
dessen hielten die Erwachsnen ein wichtiges Gespräch. Der Onkel, der in guten
Verhältnissen lebte, hatte sich entschlossen, nachdem kleinere Zuschüsse zwecklos ge¬
wesen waren, eben nur ein Tropfen auf den heißen Stein, durch einen tiefen Griff
in seine Kasse unser gründlich verfahrenes Lebensschiff wieder flott zu machen.
Außerdem sprach er die Absicht aus, einen unsrer Sprößlinge in sein kinderloses
Haus zu verpflanzen und rin aller Liebe aufzuziehen. Da war nun Gelegenheit,
jeden Geschmack zu befriedigen, denn bet uns gab es Kinder von jedem Alter und
Temperament, aber Wahl macht Qual. Während die ältern Söhne und Töchter,
die auf die Verwandten wohl einen blöden Eindruck gemacht haben, wie sie denn
auch stumpfe und beschränkte Menschen ihr Leben lang geblieben sind, von vorn¬
herein aus der Wahl fielen, schwankte das Zünglein der Wage lange zwischen mir
und meiner jüngsten Schwester, einem lieblichen Kinde, das trotz des Dunkels,
worin es aufgewachsen war, ein sonnenhelles Gemüt empfangen hatte, freilich auch
eine so zarte Gesundheit, daß ihr niemand eine lange Lebensdauer zutrauen konnte.
Der Onkel wollte dennoch gern das freundliche Röschen mit sich nehmen, meine
Tante hatte dagegen ihre Sehnsucht auf mich gerichtet und feste ihr Verlangen
denn auch mit der Energie durch, die den Menschen dann vor allem zu Gebote
steht, wenn sie etwas recht törichtes vorhaben. Dn sie bemerkte, wie nah es meinem
Vater ging, mich wegzugeben, glaubte sie einen besonders vorteilhafter Griff getan
zu haben, und bestand als eine genaue und mißtrauische Person nun auch noch
darauf, daß über den Handel ein Vertrag aufgesetzt wurde. Das geschah denn
auch nach ihrem Willen, aber sie fühlte sich doch erst dann ihrer Sache völlig
sicher, als sie mich im Wagen verpackt hatte »ut mit mir in die schöne Sommer¬
nacht hineinfuhr. Ich glaube, ich habe meinen Eltern nicht einmal Lebewohl gesagt,
so zufrieden war ich mit der Wendung, die mein Leben genommen hatte; nur
unserm Röschen, wohl als Tröstung für die ihr cmgetcme Zurücksetzung, schenkte ich
meinen Laubfrosch, um dem sie sich freilich wenig Trost, wenn sie dessen überhaupt
bedurfte, geholt haben wird, da sie das Tier von ganzem Herzen verabscheute und
fürchtete. Der Onkel saß vor uns auf dem Bock und rauchte seine Pfeife, die
Tante hielt mich im Arm, so fuhren wir der neuen Heimat zu. Wie oft habe ich
an diese Fahrt gedacht, und wie wunderlich mag es erst der Tante ums Herz ge¬
wesen sein, wenn sie sich ihrer damaligen Gefühlsverirrung erinnerte. Was würde
sie wohl darum gegeben haben, in diesem Falle nicht eigensinnig gewesen zu sein!
Hatte sie unser Röschen genommen, so hätte sie es schon im folgenden Herbst nnter
einem Rosenstrauch betten können. Mich dagegen konnte sie nicht los werden, so
sehr sie mich danach verlangte, sich von dem Kleinod, das ihr zuerst die Augen
verblendet hatte, zu trennen.


3

Es begann für mich nnn ein neues Leben. Ich war gut gekleidet, reichlich
gefüttert, ging rin sauber nngczognen Kindern in eine gute Schule und fühlte mich
ausnehmend Wohl. Der Onkel war ein stiller, friedliebender Mann, der glücklich
war, wenn er zu Hause frohe Gesichter um sich hatte, und sein größtes Glück
darin fand, in einer kleinen, von wildem Wein nmwachsuen Laube sein Pfeifchen
zu rauchen und dazwischen ein Stück ans dem Waldhorn zu blasen. Die Tante
war ehrenhaft und fromm, aber mit einem Stich ins Saure. Die freudige Er¬
regung, die über sie gekommen war, als sie mich eingehandelt hatte, war wie ein
leichter Champagnerransch schnell verraucht und kehrte nur auf Augenblicke wieder,
wenn sie sich in einen der mütterlichen Trimme verloren haben mochte, unter deren
Gewalt auch das kühlste Frauenherz wärmer und weicher als gewöhnlich fühlt.
Eigentlich war sie nie zufrieden, ihr ernstes Gesicht hatte das Lachen ganz ver¬
lernt oder nie gekannt; sie nahm das Leben als eine schwere Pflicht, und wie sie
ihre Mahlzeiten nahrhaft und peinlich sauber, aber auch ohne eine Spur von


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[0063] Zwei Seelen Freudentag für das ganze Haus. Wir Kinder bemächtigten uns des Wagens und streichelten den Braunen, der in einem Holzstall untergebracht wurde. Während¬ dessen hielten die Erwachsnen ein wichtiges Gespräch. Der Onkel, der in guten Verhältnissen lebte, hatte sich entschlossen, nachdem kleinere Zuschüsse zwecklos ge¬ wesen waren, eben nur ein Tropfen auf den heißen Stein, durch einen tiefen Griff in seine Kasse unser gründlich verfahrenes Lebensschiff wieder flott zu machen. Außerdem sprach er die Absicht aus, einen unsrer Sprößlinge in sein kinderloses Haus zu verpflanzen und rin aller Liebe aufzuziehen. Da war nun Gelegenheit, jeden Geschmack zu befriedigen, denn bet uns gab es Kinder von jedem Alter und Temperament, aber Wahl macht Qual. Während die ältern Söhne und Töchter, die auf die Verwandten wohl einen blöden Eindruck gemacht haben, wie sie denn auch stumpfe und beschränkte Menschen ihr Leben lang geblieben sind, von vorn¬ herein aus der Wahl fielen, schwankte das Zünglein der Wage lange zwischen mir und meiner jüngsten Schwester, einem lieblichen Kinde, das trotz des Dunkels, worin es aufgewachsen war, ein sonnenhelles Gemüt empfangen hatte, freilich auch eine so zarte Gesundheit, daß ihr niemand eine lange Lebensdauer zutrauen konnte. Der Onkel wollte dennoch gern das freundliche Röschen mit sich nehmen, meine Tante hatte dagegen ihre Sehnsucht auf mich gerichtet und feste ihr Verlangen denn auch mit der Energie durch, die den Menschen dann vor allem zu Gebote steht, wenn sie etwas recht törichtes vorhaben. Dn sie bemerkte, wie nah es meinem Vater ging, mich wegzugeben, glaubte sie einen besonders vorteilhafter Griff getan zu haben, und bestand als eine genaue und mißtrauische Person nun auch noch darauf, daß über den Handel ein Vertrag aufgesetzt wurde. Das geschah denn auch nach ihrem Willen, aber sie fühlte sich doch erst dann ihrer Sache völlig sicher, als sie mich im Wagen verpackt hatte »ut mit mir in die schöne Sommer¬ nacht hineinfuhr. Ich glaube, ich habe meinen Eltern nicht einmal Lebewohl gesagt, so zufrieden war ich mit der Wendung, die mein Leben genommen hatte; nur unserm Röschen, wohl als Tröstung für die ihr cmgetcme Zurücksetzung, schenkte ich meinen Laubfrosch, um dem sie sich freilich wenig Trost, wenn sie dessen überhaupt bedurfte, geholt haben wird, da sie das Tier von ganzem Herzen verabscheute und fürchtete. Der Onkel saß vor uns auf dem Bock und rauchte seine Pfeife, die Tante hielt mich im Arm, so fuhren wir der neuen Heimat zu. Wie oft habe ich an diese Fahrt gedacht, und wie wunderlich mag es erst der Tante ums Herz ge¬ wesen sein, wenn sie sich ihrer damaligen Gefühlsverirrung erinnerte. Was würde sie wohl darum gegeben haben, in diesem Falle nicht eigensinnig gewesen zu sein! Hatte sie unser Röschen genommen, so hätte sie es schon im folgenden Herbst nnter einem Rosenstrauch betten können. Mich dagegen konnte sie nicht los werden, so sehr sie mich danach verlangte, sich von dem Kleinod, das ihr zuerst die Augen verblendet hatte, zu trennen. 3 Es begann für mich nnn ein neues Leben. Ich war gut gekleidet, reichlich gefüttert, ging rin sauber nngczognen Kindern in eine gute Schule und fühlte mich ausnehmend Wohl. Der Onkel war ein stiller, friedliebender Mann, der glücklich war, wenn er zu Hause frohe Gesichter um sich hatte, und sein größtes Glück darin fand, in einer kleinen, von wildem Wein nmwachsuen Laube sein Pfeifchen zu rauchen und dazwischen ein Stück ans dem Waldhorn zu blasen. Die Tante war ehrenhaft und fromm, aber mit einem Stich ins Saure. Die freudige Er¬ regung, die über sie gekommen war, als sie mich eingehandelt hatte, war wie ein leichter Champagnerransch schnell verraucht und kehrte nur auf Augenblicke wieder, wenn sie sich in einen der mütterlichen Trimme verloren haben mochte, unter deren Gewalt auch das kühlste Frauenherz wärmer und weicher als gewöhnlich fühlt. Eigentlich war sie nie zufrieden, ihr ernstes Gesicht hatte das Lachen ganz ver¬ lernt oder nie gekannt; sie nahm das Leben als eine schwere Pflicht, und wie sie ihre Mahlzeiten nahrhaft und peinlich sauber, aber auch ohne eine Spur von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/63>, abgerufen am 26.05.2024.