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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die kleine Marina und ihr Gemahl

durchreißen. So sank vor einer Reihe von Jahren das russische Schulschiff
Nussalka mit voller Bemannung in der Nähe von Trangsund, und keine
Spur hat man bis zur Stunde trotz jahrelangen Taucherarbeiten davon ge-
(Fortsetzung folgt)




Die kleine Marina und ihr Gemahl
Mathilda Matura von (Fortsetzung)

le Gesellschaft ordnete sich paarweise, als man durch den Labyrinth¬
gang den Weg nach dem Weiher hinab einschlug. Voran schritten
sechs große Lakaien mit brennenden Pechfackcln, die sie so hoch wie
möglich trugen. Der Schein tanzte rauchrot und launenhaft zwischen
den dunkeln wie Zuckerhüte beschnittner Büschen, die den Gang um¬
säumten. Vor sich her, den langsam abfallenden Weg hinab, sah
Marien die großen Hüte der Damen und die Nackenschleifen an den gesenkten
Köpfen der Herren. Hier und da blitzte im Lichtschein das Geschmeide an dem
Gelenk einer in die Höhe gehobnen Hand, die von dem Kavalier hoch empor¬
gehalten wurde.

Meine Gemahlin, hörte sie die Stimme ihres jungen Gatten. Ich bitte Sie,
reichen Sie mir Ihre Hand.

Sie sah auf, und in dem jetzt schwachen Schein der Fackeln begegnete sie
seinen Augen.

Frasquito! murmelte sie leise, fast klagend. Sie begriff nicht recht, weshalb
sie sich so beklommen fühlte, aber sie war sicher, wenn sie jetzt zuhuuse gewesen
Wäre, so hätte sie sich über ihren Betschemel geworfen und wäre in Tränen aus¬
gebrochen.

Das Labyrinth endete in eine Art Tunnel, der mitten durch die breite, dicke
Rosenhecke führte. Marina hörte vor sich das Flüstern der Paare: die durch die
Situation hervorgerufnen recht gewagten Galanterien der Herren -- das Lachen
und Kichern der Damen und ihre kleinen, halb unterdrückten Schreie, wie sie der
Anstand und die Etikette forderten.

Frasquito! murmelte sie von neuem, ängstlich und mit einem wunderlich er¬
stickenden Gefühl von Schamhaftigkeit. Sie waren jetzt fast alle im Tunnel ver¬
schwunden, vor dem die Pechfockeln wieder flammend auftauchten. Manolitos
großen Kopf konnte sie nicht mehr sehen. Jetzt sah sie auch ihrem jungen Gemahl
in die Augen, die so dunkel und so unergründlich tief wie der Abendhimmel über
ihnen waren.

Dona Marina! -- Sie hielten einander an der Hand, an den äußersten
Fingerspitzen, und gingen sehr langsam, sehr weit hinter allen den andern her.

Kannst du unsern Manolito sehen? murmelte sie leise mit niedergeschlagnen
Augen.

Nein, antwortete Frasquito, ich kann ihn nicht sehen.

Aber nach einer Weile sagte er: Ja, jetzt sehe ich ihn. Er trägt die
Herzogin von Bouillon in das Boot hinab.

Trägt? wiederholte Marien. Stimme und Ausdruck verrieten die höchste
Gereiztheit -- das gekränkte Anstandsgefühl einer Frau.


Die kleine Marina und ihr Gemahl

durchreißen. So sank vor einer Reihe von Jahren das russische Schulschiff
Nussalka mit voller Bemannung in der Nähe von Trangsund, und keine
Spur hat man bis zur Stunde trotz jahrelangen Taucherarbeiten davon ge-
(Fortsetzung folgt)




Die kleine Marina und ihr Gemahl
Mathilda Matura von (Fortsetzung)

le Gesellschaft ordnete sich paarweise, als man durch den Labyrinth¬
gang den Weg nach dem Weiher hinab einschlug. Voran schritten
sechs große Lakaien mit brennenden Pechfackcln, die sie so hoch wie
möglich trugen. Der Schein tanzte rauchrot und launenhaft zwischen
den dunkeln wie Zuckerhüte beschnittner Büschen, die den Gang um¬
säumten. Vor sich her, den langsam abfallenden Weg hinab, sah
Marien die großen Hüte der Damen und die Nackenschleifen an den gesenkten
Köpfen der Herren. Hier und da blitzte im Lichtschein das Geschmeide an dem
Gelenk einer in die Höhe gehobnen Hand, die von dem Kavalier hoch empor¬
gehalten wurde.

Meine Gemahlin, hörte sie die Stimme ihres jungen Gatten. Ich bitte Sie,
reichen Sie mir Ihre Hand.

Sie sah auf, und in dem jetzt schwachen Schein der Fackeln begegnete sie
seinen Augen.

Frasquito! murmelte sie leise, fast klagend. Sie begriff nicht recht, weshalb
sie sich so beklommen fühlte, aber sie war sicher, wenn sie jetzt zuhuuse gewesen
Wäre, so hätte sie sich über ihren Betschemel geworfen und wäre in Tränen aus¬
gebrochen.

Das Labyrinth endete in eine Art Tunnel, der mitten durch die breite, dicke
Rosenhecke führte. Marina hörte vor sich das Flüstern der Paare: die durch die
Situation hervorgerufnen recht gewagten Galanterien der Herren — das Lachen
und Kichern der Damen und ihre kleinen, halb unterdrückten Schreie, wie sie der
Anstand und die Etikette forderten.

Frasquito! murmelte sie von neuem, ängstlich und mit einem wunderlich er¬
stickenden Gefühl von Schamhaftigkeit. Sie waren jetzt fast alle im Tunnel ver¬
schwunden, vor dem die Pechfockeln wieder flammend auftauchten. Manolitos
großen Kopf konnte sie nicht mehr sehen. Jetzt sah sie auch ihrem jungen Gemahl
in die Augen, die so dunkel und so unergründlich tief wie der Abendhimmel über
ihnen waren.

Dona Marina! — Sie hielten einander an der Hand, an den äußersten
Fingerspitzen, und gingen sehr langsam, sehr weit hinter allen den andern her.

Kannst du unsern Manolito sehen? murmelte sie leise mit niedergeschlagnen
Augen.

Nein, antwortete Frasquito, ich kann ihn nicht sehen.

Aber nach einer Weile sagte er: Ja, jetzt sehe ich ihn. Er trägt die
Herzogin von Bouillon in das Boot hinab.

Trägt? wiederholte Marien. Stimme und Ausdruck verrieten die höchste
Gereiztheit — das gekränkte Anstandsgefühl einer Frau.


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[0116] Die kleine Marina und ihr Gemahl durchreißen. So sank vor einer Reihe von Jahren das russische Schulschiff Nussalka mit voller Bemannung in der Nähe von Trangsund, und keine Spur hat man bis zur Stunde trotz jahrelangen Taucherarbeiten davon ge- (Fortsetzung folgt) Die kleine Marina und ihr Gemahl Mathilda Matura von (Fortsetzung) le Gesellschaft ordnete sich paarweise, als man durch den Labyrinth¬ gang den Weg nach dem Weiher hinab einschlug. Voran schritten sechs große Lakaien mit brennenden Pechfackcln, die sie so hoch wie möglich trugen. Der Schein tanzte rauchrot und launenhaft zwischen den dunkeln wie Zuckerhüte beschnittner Büschen, die den Gang um¬ säumten. Vor sich her, den langsam abfallenden Weg hinab, sah Marien die großen Hüte der Damen und die Nackenschleifen an den gesenkten Köpfen der Herren. Hier und da blitzte im Lichtschein das Geschmeide an dem Gelenk einer in die Höhe gehobnen Hand, die von dem Kavalier hoch empor¬ gehalten wurde. Meine Gemahlin, hörte sie die Stimme ihres jungen Gatten. Ich bitte Sie, reichen Sie mir Ihre Hand. Sie sah auf, und in dem jetzt schwachen Schein der Fackeln begegnete sie seinen Augen. Frasquito! murmelte sie leise, fast klagend. Sie begriff nicht recht, weshalb sie sich so beklommen fühlte, aber sie war sicher, wenn sie jetzt zuhuuse gewesen Wäre, so hätte sie sich über ihren Betschemel geworfen und wäre in Tränen aus¬ gebrochen. Das Labyrinth endete in eine Art Tunnel, der mitten durch die breite, dicke Rosenhecke führte. Marina hörte vor sich das Flüstern der Paare: die durch die Situation hervorgerufnen recht gewagten Galanterien der Herren — das Lachen und Kichern der Damen und ihre kleinen, halb unterdrückten Schreie, wie sie der Anstand und die Etikette forderten. Frasquito! murmelte sie von neuem, ängstlich und mit einem wunderlich er¬ stickenden Gefühl von Schamhaftigkeit. Sie waren jetzt fast alle im Tunnel ver¬ schwunden, vor dem die Pechfockeln wieder flammend auftauchten. Manolitos großen Kopf konnte sie nicht mehr sehen. Jetzt sah sie auch ihrem jungen Gemahl in die Augen, die so dunkel und so unergründlich tief wie der Abendhimmel über ihnen waren. Dona Marina! — Sie hielten einander an der Hand, an den äußersten Fingerspitzen, und gingen sehr langsam, sehr weit hinter allen den andern her. Kannst du unsern Manolito sehen? murmelte sie leise mit niedergeschlagnen Augen. Nein, antwortete Frasquito, ich kann ihn nicht sehen. Aber nach einer Weile sagte er: Ja, jetzt sehe ich ihn. Er trägt die Herzogin von Bouillon in das Boot hinab. Trägt? wiederholte Marien. Stimme und Ausdruck verrieten die höchste Gereiztheit — das gekränkte Anstandsgefühl einer Frau.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/116>, abgerufen am 28.04.2024.