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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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vom Kampfe gegen den Alkohol

Gleichgiltigkeit bei, womit sich eben der Neger der allmächtigen Gegenwart unter¬
ordnet. Diese Gleichgiltigkeit gegenüber dem, was morgen sein wird, artet beim
Neger aber nicht in stumpfsinnige Schwermut aus, sie erzeugt vielmehr die
Fähigkeit, sich in die Verhältnisse zu schicken, macht ihn zum lebensfreudigsten,
sorglosen Anhänger des Horazischen oarvs äisin, weckt eine uns an ihm so
angenehm berührende Eigenschaft: seinen ausgesprochnen Sinn für Humor.
Ungeborne Klugheit, die scharfe Beobachtungsgabe des Naturmenschen und der
Umstand, daß er sich von Jugend auf gegen alle möglichen Übergriffe und
Vergewaltigungen von den verschiedensten Seiten her wehren muß, entwickeln
ferner im Neger ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, befähigen ihn dazu,
sehr wohl zwischen gerechter und ungerechter Behandlung zu unterscheiden.

Das ist in großen Zügen das Charakterbild des Westafrikaners: ein
widerspruchsvolles Gemisch guter und schlechter Eigenschaften. Bald ist er der
kindische materielle Genuß- und Augenblicksmensch, bald ähnelt er aufs Haar
dem klugen, pfiffigen, mißtrauischen Bauern. Daraus ergibt sich die Behandlung.
Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit und Geduld sind die vier Richt¬
punkte. Das ist freilich theoretisch leichter gesagt als in der Praxis draußen
ausgeübt.

Aber nachdem wir einmal das ideale Unrecht begangen haben, störend in
die Bahnen ferner Völkerschaften einzugreifen, haben wir auch die Aufgabe, die
Kulturmission so durchzuführen, wie das allgewaltige Naturgesetz, das dieses
Unrecht zum Recht, ja zur Pflicht macht, es verlangt: das in der Kultur tiefer
stehende Volk herauszuheben auf die in jahrtausendelangem Kampf errungne
Höhe. Die Behandlung muß zugleich Erziehung sein!




Vom Kampfe gegen den Alkohol

Än der Zeit, wo die Ritter, die deutschen Fürsten und respektable
englische Allongeperücken ihre täglichen oder wöchentlichen Räusche,
durchflochten mit erbaulichen Betrachtungen, ins Tagebuch einzu¬
tragen pflegten, und der zum Gesandten am kursächsischen Hofe
bestimmte französische Kavalier im Saufen trainiert werden mußte,
ehe er sein schweres Amt antrat, weil er sonst regelmüßig bewußtlos unter
dein Tische lag, wenn der Kurfürst anfangen wollte, Geschäfte mit ihm zu be¬
sprechen, in dieser wüsten Zeit hat man von einer Bewegung gegen den
Alkohol nichts vernommen. Die Geistlichen donnerten natürlich gegen den
Saufteufcl, aber das hatte nichts zu bedeuten, denn der Teufel kehrt sich
nicht an Predigten, und nicht diese haben ihn später gebannt, sondern die mit
dem Zwange zu besserer Geistesbildung und dem Geschmack an der Literatur
allmählich heranreifende feinere Hofsittc. Wie kommt es nun, daß wir heute,
wo sich der vornehme Mann niemals betrinkt und sich höchstens einmal im
Jahre, oder wenn er außer dem Kaiser noch einen Landesherrn hat, zweimal


vom Kampfe gegen den Alkohol

Gleichgiltigkeit bei, womit sich eben der Neger der allmächtigen Gegenwart unter¬
ordnet. Diese Gleichgiltigkeit gegenüber dem, was morgen sein wird, artet beim
Neger aber nicht in stumpfsinnige Schwermut aus, sie erzeugt vielmehr die
Fähigkeit, sich in die Verhältnisse zu schicken, macht ihn zum lebensfreudigsten,
sorglosen Anhänger des Horazischen oarvs äisin, weckt eine uns an ihm so
angenehm berührende Eigenschaft: seinen ausgesprochnen Sinn für Humor.
Ungeborne Klugheit, die scharfe Beobachtungsgabe des Naturmenschen und der
Umstand, daß er sich von Jugend auf gegen alle möglichen Übergriffe und
Vergewaltigungen von den verschiedensten Seiten her wehren muß, entwickeln
ferner im Neger ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, befähigen ihn dazu,
sehr wohl zwischen gerechter und ungerechter Behandlung zu unterscheiden.

Das ist in großen Zügen das Charakterbild des Westafrikaners: ein
widerspruchsvolles Gemisch guter und schlechter Eigenschaften. Bald ist er der
kindische materielle Genuß- und Augenblicksmensch, bald ähnelt er aufs Haar
dem klugen, pfiffigen, mißtrauischen Bauern. Daraus ergibt sich die Behandlung.
Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit und Geduld sind die vier Richt¬
punkte. Das ist freilich theoretisch leichter gesagt als in der Praxis draußen
ausgeübt.

Aber nachdem wir einmal das ideale Unrecht begangen haben, störend in
die Bahnen ferner Völkerschaften einzugreifen, haben wir auch die Aufgabe, die
Kulturmission so durchzuführen, wie das allgewaltige Naturgesetz, das dieses
Unrecht zum Recht, ja zur Pflicht macht, es verlangt: das in der Kultur tiefer
stehende Volk herauszuheben auf die in jahrtausendelangem Kampf errungne
Höhe. Die Behandlung muß zugleich Erziehung sein!




Vom Kampfe gegen den Alkohol

Än der Zeit, wo die Ritter, die deutschen Fürsten und respektable
englische Allongeperücken ihre täglichen oder wöchentlichen Räusche,
durchflochten mit erbaulichen Betrachtungen, ins Tagebuch einzu¬
tragen pflegten, und der zum Gesandten am kursächsischen Hofe
bestimmte französische Kavalier im Saufen trainiert werden mußte,
ehe er sein schweres Amt antrat, weil er sonst regelmüßig bewußtlos unter
dein Tische lag, wenn der Kurfürst anfangen wollte, Geschäfte mit ihm zu be¬
sprechen, in dieser wüsten Zeit hat man von einer Bewegung gegen den
Alkohol nichts vernommen. Die Geistlichen donnerten natürlich gegen den
Saufteufcl, aber das hatte nichts zu bedeuten, denn der Teufel kehrt sich
nicht an Predigten, und nicht diese haben ihn später gebannt, sondern die mit
dem Zwange zu besserer Geistesbildung und dem Geschmack an der Literatur
allmählich heranreifende feinere Hofsittc. Wie kommt es nun, daß wir heute,
wo sich der vornehme Mann niemals betrinkt und sich höchstens einmal im
Jahre, oder wenn er außer dem Kaiser noch einen Landesherrn hat, zweimal


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[0027] vom Kampfe gegen den Alkohol Gleichgiltigkeit bei, womit sich eben der Neger der allmächtigen Gegenwart unter¬ ordnet. Diese Gleichgiltigkeit gegenüber dem, was morgen sein wird, artet beim Neger aber nicht in stumpfsinnige Schwermut aus, sie erzeugt vielmehr die Fähigkeit, sich in die Verhältnisse zu schicken, macht ihn zum lebensfreudigsten, sorglosen Anhänger des Horazischen oarvs äisin, weckt eine uns an ihm so angenehm berührende Eigenschaft: seinen ausgesprochnen Sinn für Humor. Ungeborne Klugheit, die scharfe Beobachtungsgabe des Naturmenschen und der Umstand, daß er sich von Jugend auf gegen alle möglichen Übergriffe und Vergewaltigungen von den verschiedensten Seiten her wehren muß, entwickeln ferner im Neger ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, befähigen ihn dazu, sehr wohl zwischen gerechter und ungerechter Behandlung zu unterscheiden. Das ist in großen Zügen das Charakterbild des Westafrikaners: ein widerspruchsvolles Gemisch guter und schlechter Eigenschaften. Bald ist er der kindische materielle Genuß- und Augenblicksmensch, bald ähnelt er aufs Haar dem klugen, pfiffigen, mißtrauischen Bauern. Daraus ergibt sich die Behandlung. Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit und Geduld sind die vier Richt¬ punkte. Das ist freilich theoretisch leichter gesagt als in der Praxis draußen ausgeübt. Aber nachdem wir einmal das ideale Unrecht begangen haben, störend in die Bahnen ferner Völkerschaften einzugreifen, haben wir auch die Aufgabe, die Kulturmission so durchzuführen, wie das allgewaltige Naturgesetz, das dieses Unrecht zum Recht, ja zur Pflicht macht, es verlangt: das in der Kultur tiefer stehende Volk herauszuheben auf die in jahrtausendelangem Kampf errungne Höhe. Die Behandlung muß zugleich Erziehung sein! Vom Kampfe gegen den Alkohol Än der Zeit, wo die Ritter, die deutschen Fürsten und respektable englische Allongeperücken ihre täglichen oder wöchentlichen Räusche, durchflochten mit erbaulichen Betrachtungen, ins Tagebuch einzu¬ tragen pflegten, und der zum Gesandten am kursächsischen Hofe bestimmte französische Kavalier im Saufen trainiert werden mußte, ehe er sein schweres Amt antrat, weil er sonst regelmüßig bewußtlos unter dein Tische lag, wenn der Kurfürst anfangen wollte, Geschäfte mit ihm zu be¬ sprechen, in dieser wüsten Zeit hat man von einer Bewegung gegen den Alkohol nichts vernommen. Die Geistlichen donnerten natürlich gegen den Saufteufcl, aber das hatte nichts zu bedeuten, denn der Teufel kehrt sich nicht an Predigten, und nicht diese haben ihn später gebannt, sondern die mit dem Zwange zu besserer Geistesbildung und dem Geschmack an der Literatur allmählich heranreifende feinere Hofsittc. Wie kommt es nun, daß wir heute, wo sich der vornehme Mann niemals betrinkt und sich höchstens einmal im Jahre, oder wenn er außer dem Kaiser noch einen Landesherrn hat, zweimal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/27>, abgerufen am 28.04.2024.