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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Neue Nietzschebücher

entschädigt und für den Fortbestand der kostspieligen Einrichtungen durch An¬
sammlung eines Fonds Vorsorge getroffen werden konnte. Erst am letzten
Dezember 1872 wurden die Spielbanken zu Homburg, Wiesbaden und Ems
geschlossen.




Neue Nietzschebücher

cum Professoren der Philosophie dicke Bücher über Nietzsches
I Philosophie schreiben, an der Leipziger Universität Vorlesungen
über ihn gehalten werden, und wenn ein Gelehrter von dem
Ansehen Vaihingers einen jüngern Gelehrten (Oester) veranlaßt,
!das Verhältnis Nietzsches zur vorsokratischen Philosophie zu
untersuchen, so ist damit der große Aphoristiker amtlich in die erlauchte
Körperschaft der verewigten praöekxtorss OsruiMiAs aufgenommen, und es
ziemt sich, von Zeit zu Zeit über die Erklärer zu berichten, durch die er,
mehr als unmittelbar durch seine Werke, sein Lehramt ausübt. Die Er¬
forscher Nietzsches haben drei Fragen zu beantworten: Wie ist seine tragische
Persönlichkeit zu verstehn? Was hat er eigentlich gelehrt? Was hat von
seinem Lebenswerk bleibenden Wert? Den unten genannten Büchern*) und
Schriften entnehmen wir einige Beiträge zur Beantwortung dieser Fragen.

Rittelmeyer erklärt die Widersprüche des Denkens und des Lebens in
Nietzsche damit, daß seine weibliche Seele an einen männlichen Willen gefesselt
gewesen sei. Seine empfindliche und reizbare Seele litt unendlich unter den
Rücksichtlosigkeiten der Wirklichkeit und am eignen Denken, sodaß sie sich zu
Pessimistischer Lebensstunde gedrängt fühlte; sein heroischer Wille dagegen
zwang sie zur triumphierenden Lebensbejahung. Das Weibliche in Nietzsche
betont auch Drews; er sieht es jedoch vorzugsweise in der kritiklosen Ver¬
ehrung, die er seinen Vorbildern widmet, und führt zustimmend folgendes
Geständnis eines Nictzschcverehrers, Wilhelm Weigand, an: "Dieser Jünger
der tätigen Weltweisheit gibt sich hin mit einer Inbrunst, wie sich ein Weib,
das reif ist zur Empfängnis, dein Manne hingibt, den es aus der Fülle
seiner Seele liebt." Die Ursache des auffälligen Umschlags maßloser Liebe



*) Friedrich Nietzsche und die Religion. Vier Vorträge von Dr. Mil. Fr.
Rittelmeyer, Pfarrer in Nürnberg. Ulm, Heinrich Kerker, 1904. -- Nietzsches Philo¬
sophie von Dr. Arthur Drews, a. o. Professor der Philosophie an der Technischen
Hochschule in Karlsruhe. Heidelberg, Karl Winter, 1904. -- Friedrich Nietzsche. Eine
Gesamtschildcrung von Rudolf Willy. Zürich, Schultheß ü. Co., 1904. -- Friedrich
Nietzsche. Sein Leben und sein Werk. Fünfzehn Vorlesungen, gehalten an der Universität
ZU Leipzig von Raoul Richter, Privatdozent an der Universität Leipzig. Leipzig, Dürrsche
Buchhandlung, 1903. -- Friedrich Nietzsche. Darstellung und Kritik. Von Dr. MI,
Jakob I. Hollitscher. Mit einem Titelbild: M. Kleins Nietzschestatue. Wien und Leipzig,
Wilhelm Braumüller, 1904. -- Friedrich Nietzsche und die Vorsokratiker von Dr.
Richard Oester. Leipzig, Dürrsche Buchhandlung, 1904.
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entschädigt und für den Fortbestand der kostspieligen Einrichtungen durch An¬
sammlung eines Fonds Vorsorge getroffen werden konnte. Erst am letzten
Dezember 1872 wurden die Spielbanken zu Homburg, Wiesbaden und Ems
geschlossen.




Neue Nietzschebücher

cum Professoren der Philosophie dicke Bücher über Nietzsches
I Philosophie schreiben, an der Leipziger Universität Vorlesungen
über ihn gehalten werden, und wenn ein Gelehrter von dem
Ansehen Vaihingers einen jüngern Gelehrten (Oester) veranlaßt,
!das Verhältnis Nietzsches zur vorsokratischen Philosophie zu
untersuchen, so ist damit der große Aphoristiker amtlich in die erlauchte
Körperschaft der verewigten praöekxtorss OsruiMiAs aufgenommen, und es
ziemt sich, von Zeit zu Zeit über die Erklärer zu berichten, durch die er,
mehr als unmittelbar durch seine Werke, sein Lehramt ausübt. Die Er¬
forscher Nietzsches haben drei Fragen zu beantworten: Wie ist seine tragische
Persönlichkeit zu verstehn? Was hat er eigentlich gelehrt? Was hat von
seinem Lebenswerk bleibenden Wert? Den unten genannten Büchern*) und
Schriften entnehmen wir einige Beiträge zur Beantwortung dieser Fragen.

Rittelmeyer erklärt die Widersprüche des Denkens und des Lebens in
Nietzsche damit, daß seine weibliche Seele an einen männlichen Willen gefesselt
gewesen sei. Seine empfindliche und reizbare Seele litt unendlich unter den
Rücksichtlosigkeiten der Wirklichkeit und am eignen Denken, sodaß sie sich zu
Pessimistischer Lebensstunde gedrängt fühlte; sein heroischer Wille dagegen
zwang sie zur triumphierenden Lebensbejahung. Das Weibliche in Nietzsche
betont auch Drews; er sieht es jedoch vorzugsweise in der kritiklosen Ver¬
ehrung, die er seinen Vorbildern widmet, und führt zustimmend folgendes
Geständnis eines Nictzschcverehrers, Wilhelm Weigand, an: „Dieser Jünger
der tätigen Weltweisheit gibt sich hin mit einer Inbrunst, wie sich ein Weib,
das reif ist zur Empfängnis, dein Manne hingibt, den es aus der Fülle
seiner Seele liebt." Die Ursache des auffälligen Umschlags maßloser Liebe



*) Friedrich Nietzsche und die Religion. Vier Vorträge von Dr. Mil. Fr.
Rittelmeyer, Pfarrer in Nürnberg. Ulm, Heinrich Kerker, 1904. — Nietzsches Philo¬
sophie von Dr. Arthur Drews, a. o. Professor der Philosophie an der Technischen
Hochschule in Karlsruhe. Heidelberg, Karl Winter, 1904. — Friedrich Nietzsche. Eine
Gesamtschildcrung von Rudolf Willy. Zürich, Schultheß ü. Co., 1904. — Friedrich
Nietzsche. Sein Leben und sein Werk. Fünfzehn Vorlesungen, gehalten an der Universität
ZU Leipzig von Raoul Richter, Privatdozent an der Universität Leipzig. Leipzig, Dürrsche
Buchhandlung, 1903. — Friedrich Nietzsche. Darstellung und Kritik. Von Dr. MI,
Jakob I. Hollitscher. Mit einem Titelbild: M. Kleins Nietzschestatue. Wien und Leipzig,
Wilhelm Braumüller, 1904. — Friedrich Nietzsche und die Vorsokratiker von Dr.
Richard Oester. Leipzig, Dürrsche Buchhandlung, 1904.
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[0279] Neue Nietzschebücher entschädigt und für den Fortbestand der kostspieligen Einrichtungen durch An¬ sammlung eines Fonds Vorsorge getroffen werden konnte. Erst am letzten Dezember 1872 wurden die Spielbanken zu Homburg, Wiesbaden und Ems geschlossen. Neue Nietzschebücher cum Professoren der Philosophie dicke Bücher über Nietzsches I Philosophie schreiben, an der Leipziger Universität Vorlesungen über ihn gehalten werden, und wenn ein Gelehrter von dem Ansehen Vaihingers einen jüngern Gelehrten (Oester) veranlaßt, !das Verhältnis Nietzsches zur vorsokratischen Philosophie zu untersuchen, so ist damit der große Aphoristiker amtlich in die erlauchte Körperschaft der verewigten praöekxtorss OsruiMiAs aufgenommen, und es ziemt sich, von Zeit zu Zeit über die Erklärer zu berichten, durch die er, mehr als unmittelbar durch seine Werke, sein Lehramt ausübt. Die Er¬ forscher Nietzsches haben drei Fragen zu beantworten: Wie ist seine tragische Persönlichkeit zu verstehn? Was hat er eigentlich gelehrt? Was hat von seinem Lebenswerk bleibenden Wert? Den unten genannten Büchern*) und Schriften entnehmen wir einige Beiträge zur Beantwortung dieser Fragen. Rittelmeyer erklärt die Widersprüche des Denkens und des Lebens in Nietzsche damit, daß seine weibliche Seele an einen männlichen Willen gefesselt gewesen sei. Seine empfindliche und reizbare Seele litt unendlich unter den Rücksichtlosigkeiten der Wirklichkeit und am eignen Denken, sodaß sie sich zu Pessimistischer Lebensstunde gedrängt fühlte; sein heroischer Wille dagegen zwang sie zur triumphierenden Lebensbejahung. Das Weibliche in Nietzsche betont auch Drews; er sieht es jedoch vorzugsweise in der kritiklosen Ver¬ ehrung, die er seinen Vorbildern widmet, und führt zustimmend folgendes Geständnis eines Nictzschcverehrers, Wilhelm Weigand, an: „Dieser Jünger der tätigen Weltweisheit gibt sich hin mit einer Inbrunst, wie sich ein Weib, das reif ist zur Empfängnis, dein Manne hingibt, den es aus der Fülle seiner Seele liebt." Die Ursache des auffälligen Umschlags maßloser Liebe *) Friedrich Nietzsche und die Religion. Vier Vorträge von Dr. Mil. Fr. Rittelmeyer, Pfarrer in Nürnberg. Ulm, Heinrich Kerker, 1904. — Nietzsches Philo¬ sophie von Dr. Arthur Drews, a. o. Professor der Philosophie an der Technischen Hochschule in Karlsruhe. Heidelberg, Karl Winter, 1904. — Friedrich Nietzsche. Eine Gesamtschildcrung von Rudolf Willy. Zürich, Schultheß ü. Co., 1904. — Friedrich Nietzsche. Sein Leben und sein Werk. Fünfzehn Vorlesungen, gehalten an der Universität ZU Leipzig von Raoul Richter, Privatdozent an der Universität Leipzig. Leipzig, Dürrsche Buchhandlung, 1903. — Friedrich Nietzsche. Darstellung und Kritik. Von Dr. MI, Jakob I. Hollitscher. Mit einem Titelbild: M. Kleins Nietzschestatue. Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1904. — Friedrich Nietzsche und die Vorsokratiker von Dr. Richard Oester. Leipzig, Dürrsche Buchhandlung, 1904.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/279>, abgerufen am 28.04.2024.