Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


(Lhamberlains britische Reichspolitik
L. O. Brandt i von n Düsseldorf
(Fortsetzung)

. le Grenzstreitigkeiten zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten
sind noch nicht beendet; und schon taucht ein neuer Konflikt
jaus um die Hudsonbai. Die Hudsonbai, dieses gewaltige Mittel-
^ meer Nordamerikas, das 9,26 Millionen Quadratkilometer Fläche
! und eine mittlere Tiefe von 140 Metern hat, ist verhältnismäßig
leicht zugängig und passierbar; der Zugang zu ihr bietet für die Schiffahrt
bessere Verhältnisse als die wichtige Straße von Belle-Jsle zwischen Neufund¬
land und Labrador. Ganz abgesehen von dem Fischreichtum der Bai reicht sie
so tief in den Kontinent und bespült Randländer von so großer zukünftiger
wirtschaftlicher Bedeutung, daß ihr Wert ohne weiteres einleuchtet. Diese See¬
wasserstraße tritt auch mit einer wichtigen Eisenbahnlinie in Verbindung, nämlich
mit der geplanten Bahn von Port Churchill an der Hudsonbai nach Port
Simpson am Großen Ozean, und auch mit der künftigen zweiten kanadischen
Überlandbahn wird nach Osten leicht ein Zusammenhang herzustellen sein. Die
Bedeutung dieser Sachlage ist von den Vereinigten Staaten natürlich längst
erkannt worden, und sie bestreiten Kanada das Recht, die Hudsonbai als ein
ihm gehörendes geschlossenes Meer zu behandeln. Amerikanische Walfischfänger
haben sich in der Westbai angesiedelt, und dieser Umstand sowie die Frage,
ob diese Fischer unter kanadischer Aufsicht stehn, rufen den Streit hervor.

Alle diese Auseinandersetzungen der beiden nordameriknnischen Großstaaten
sind nun für die Union nicht nur Zweck an sich, sondern zugleich Mittel zu
einem Nebenzwecke, da die Entscheidungen darüber, wenn sie ungünstig für
Kanada sind -- und das waren sie bisher immer --, der Union nicht nur
Vorteile bringen, sondern auch in Kanada gegen das England, das ihm in
solchen Fällen nicht hilft, sondern ihm bisher entgegengearbeitet hat, eine
wachsende Verstimmung nährt. Und so schlagen die Vereinigten Staaten zwei
Fliegen mit einer Klappe.

Neuerdings mehren sich auch in der Union die Stimmen hauptsächlich in
demokratischen Kreisen, die den etwaigen Wirkungen einer Chamberlainschen
Reformpolitik durch ein engeres handelspolitisches Verhältnis zu Kanada die
Spitze abbrechen wollen; und diesen Stimmen antworten solche aus Kanada.
Der dortige Minister des Innern hat am 7. Dezember 1903 im kanadischen
Klub in Ottawa gesagt, es werde die Zeit kommen, wo die beiden Staaten
England und Kanada unabhängig voneinander Handelsverträge mit fremden
Staaten abschließen würden. Der kanadische Handelsminister hat sogar am




(Lhamberlains britische Reichspolitik
L. O. Brandt i von n Düsseldorf
(Fortsetzung)

. le Grenzstreitigkeiten zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten
sind noch nicht beendet; und schon taucht ein neuer Konflikt
jaus um die Hudsonbai. Die Hudsonbai, dieses gewaltige Mittel-
^ meer Nordamerikas, das 9,26 Millionen Quadratkilometer Fläche
! und eine mittlere Tiefe von 140 Metern hat, ist verhältnismäßig
leicht zugängig und passierbar; der Zugang zu ihr bietet für die Schiffahrt
bessere Verhältnisse als die wichtige Straße von Belle-Jsle zwischen Neufund¬
land und Labrador. Ganz abgesehen von dem Fischreichtum der Bai reicht sie
so tief in den Kontinent und bespült Randländer von so großer zukünftiger
wirtschaftlicher Bedeutung, daß ihr Wert ohne weiteres einleuchtet. Diese See¬
wasserstraße tritt auch mit einer wichtigen Eisenbahnlinie in Verbindung, nämlich
mit der geplanten Bahn von Port Churchill an der Hudsonbai nach Port
Simpson am Großen Ozean, und auch mit der künftigen zweiten kanadischen
Überlandbahn wird nach Osten leicht ein Zusammenhang herzustellen sein. Die
Bedeutung dieser Sachlage ist von den Vereinigten Staaten natürlich längst
erkannt worden, und sie bestreiten Kanada das Recht, die Hudsonbai als ein
ihm gehörendes geschlossenes Meer zu behandeln. Amerikanische Walfischfänger
haben sich in der Westbai angesiedelt, und dieser Umstand sowie die Frage,
ob diese Fischer unter kanadischer Aufsicht stehn, rufen den Streit hervor.

Alle diese Auseinandersetzungen der beiden nordameriknnischen Großstaaten
sind nun für die Union nicht nur Zweck an sich, sondern zugleich Mittel zu
einem Nebenzwecke, da die Entscheidungen darüber, wenn sie ungünstig für
Kanada sind — und das waren sie bisher immer —, der Union nicht nur
Vorteile bringen, sondern auch in Kanada gegen das England, das ihm in
solchen Fällen nicht hilft, sondern ihm bisher entgegengearbeitet hat, eine
wachsende Verstimmung nährt. Und so schlagen die Vereinigten Staaten zwei
Fliegen mit einer Klappe.

Neuerdings mehren sich auch in der Union die Stimmen hauptsächlich in
demokratischen Kreisen, die den etwaigen Wirkungen einer Chamberlainschen
Reformpolitik durch ein engeres handelspolitisches Verhältnis zu Kanada die
Spitze abbrechen wollen; und diesen Stimmen antworten solche aus Kanada.
Der dortige Minister des Innern hat am 7. Dezember 1903 im kanadischen
Klub in Ottawa gesagt, es werde die Zeit kommen, wo die beiden Staaten
England und Kanada unabhängig voneinander Handelsverträge mit fremden
Staaten abschließen würden. Der kanadische Handelsminister hat sogar am


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294737"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341879_294416/figures/grenzboten_341879_294416_294737_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> (Lhamberlains britische Reichspolitik<lb/><note type="byline"> L. O. Brandt i</note> von n Düsseldorf<lb/>
(Fortsetzung)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1384"> . le Grenzstreitigkeiten zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten<lb/>
sind noch nicht beendet; und schon taucht ein neuer Konflikt<lb/>
jaus um die Hudsonbai. Die Hudsonbai, dieses gewaltige Mittel-<lb/>
^ meer Nordamerikas, das 9,26 Millionen Quadratkilometer Fläche<lb/>
! und eine mittlere Tiefe von 140 Metern hat, ist verhältnismäßig<lb/>
leicht zugängig und passierbar; der Zugang zu ihr bietet für die Schiffahrt<lb/>
bessere Verhältnisse als die wichtige Straße von Belle-Jsle zwischen Neufund¬<lb/>
land und Labrador. Ganz abgesehen von dem Fischreichtum der Bai reicht sie<lb/>
so tief in den Kontinent und bespült Randländer von so großer zukünftiger<lb/>
wirtschaftlicher Bedeutung, daß ihr Wert ohne weiteres einleuchtet. Diese See¬<lb/>
wasserstraße tritt auch mit einer wichtigen Eisenbahnlinie in Verbindung, nämlich<lb/>
mit der geplanten Bahn von Port Churchill an der Hudsonbai nach Port<lb/>
Simpson am Großen Ozean, und auch mit der künftigen zweiten kanadischen<lb/>
Überlandbahn wird nach Osten leicht ein Zusammenhang herzustellen sein. Die<lb/>
Bedeutung dieser Sachlage ist von den Vereinigten Staaten natürlich längst<lb/>
erkannt worden, und sie bestreiten Kanada das Recht, die Hudsonbai als ein<lb/>
ihm gehörendes geschlossenes Meer zu behandeln. Amerikanische Walfischfänger<lb/>
haben sich in der Westbai angesiedelt, und dieser Umstand sowie die Frage,<lb/>
ob diese Fischer unter kanadischer Aufsicht stehn, rufen den Streit hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1385"> Alle diese Auseinandersetzungen der beiden nordameriknnischen Großstaaten<lb/>
sind nun für die Union nicht nur Zweck an sich, sondern zugleich Mittel zu<lb/>
einem Nebenzwecke, da die Entscheidungen darüber, wenn sie ungünstig für<lb/>
Kanada sind &#x2014; und das waren sie bisher immer &#x2014;, der Union nicht nur<lb/>
Vorteile bringen, sondern auch in Kanada gegen das England, das ihm in<lb/>
solchen Fällen nicht hilft, sondern ihm bisher entgegengearbeitet hat, eine<lb/>
wachsende Verstimmung nährt. Und so schlagen die Vereinigten Staaten zwei<lb/>
Fliegen mit einer Klappe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1386" next="#ID_1387"> Neuerdings mehren sich auch in der Union die Stimmen hauptsächlich in<lb/>
demokratischen Kreisen, die den etwaigen Wirkungen einer Chamberlainschen<lb/>
Reformpolitik durch ein engeres handelspolitisches Verhältnis zu Kanada die<lb/>
Spitze abbrechen wollen; und diesen Stimmen antworten solche aus Kanada.<lb/>
Der dortige Minister des Innern hat am 7. Dezember 1903 im kanadischen<lb/>
Klub in Ottawa gesagt, es werde die Zeit kommen, wo die beiden Staaten<lb/>
England und Kanada unabhängig voneinander Handelsverträge mit fremden<lb/>
Staaten abschließen würden.  Der kanadische Handelsminister hat sogar am</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] [Abbildung] (Lhamberlains britische Reichspolitik L. O. Brandt i von n Düsseldorf (Fortsetzung) . le Grenzstreitigkeiten zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten sind noch nicht beendet; und schon taucht ein neuer Konflikt jaus um die Hudsonbai. Die Hudsonbai, dieses gewaltige Mittel- ^ meer Nordamerikas, das 9,26 Millionen Quadratkilometer Fläche ! und eine mittlere Tiefe von 140 Metern hat, ist verhältnismäßig leicht zugängig und passierbar; der Zugang zu ihr bietet für die Schiffahrt bessere Verhältnisse als die wichtige Straße von Belle-Jsle zwischen Neufund¬ land und Labrador. Ganz abgesehen von dem Fischreichtum der Bai reicht sie so tief in den Kontinent und bespült Randländer von so großer zukünftiger wirtschaftlicher Bedeutung, daß ihr Wert ohne weiteres einleuchtet. Diese See¬ wasserstraße tritt auch mit einer wichtigen Eisenbahnlinie in Verbindung, nämlich mit der geplanten Bahn von Port Churchill an der Hudsonbai nach Port Simpson am Großen Ozean, und auch mit der künftigen zweiten kanadischen Überlandbahn wird nach Osten leicht ein Zusammenhang herzustellen sein. Die Bedeutung dieser Sachlage ist von den Vereinigten Staaten natürlich längst erkannt worden, und sie bestreiten Kanada das Recht, die Hudsonbai als ein ihm gehörendes geschlossenes Meer zu behandeln. Amerikanische Walfischfänger haben sich in der Westbai angesiedelt, und dieser Umstand sowie die Frage, ob diese Fischer unter kanadischer Aufsicht stehn, rufen den Streit hervor. Alle diese Auseinandersetzungen der beiden nordameriknnischen Großstaaten sind nun für die Union nicht nur Zweck an sich, sondern zugleich Mittel zu einem Nebenzwecke, da die Entscheidungen darüber, wenn sie ungünstig für Kanada sind — und das waren sie bisher immer —, der Union nicht nur Vorteile bringen, sondern auch in Kanada gegen das England, das ihm in solchen Fällen nicht hilft, sondern ihm bisher entgegengearbeitet hat, eine wachsende Verstimmung nährt. Und so schlagen die Vereinigten Staaten zwei Fliegen mit einer Klappe. Neuerdings mehren sich auch in der Union die Stimmen hauptsächlich in demokratischen Kreisen, die den etwaigen Wirkungen einer Chamberlainschen Reformpolitik durch ein engeres handelspolitisches Verhältnis zu Kanada die Spitze abbrechen wollen; und diesen Stimmen antworten solche aus Kanada. Der dortige Minister des Innern hat am 7. Dezember 1903 im kanadischen Klub in Ottawa gesagt, es werde die Zeit kommen, wo die beiden Staaten England und Kanada unabhängig voneinander Handelsverträge mit fremden Staaten abschließen würden. Der kanadische Handelsminister hat sogar am

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/320>, abgerufen am 28.04.2024.