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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zur konfessionellen Lage in Deutschland.

Je länger einer darüber
nachdenkt, wie es möglich gemacht werden könnte, daß der so gründlich "erfahrne
Wagen wieder in das rechte Geleise käme, um so unwahrscheinlicher erscheint es
ihm, daß die heutige Generation das Eude des Streites überhaupt noch erleben
wird. Es scheint sich auch manchmal alles verschworen zu haben, daß sich nur ja
keine friedlichen Zustände im Lande einstellen. Man ist völlig blind, oder man
will es nicht sehen, daß das deutsche Volk nachgerade genug unter diesen Mißver¬
hältnissen gelitten hat. Zwar ertönen hie und da in großen und kleinen Blättern,
und zwar aus beiden Lagern, vereinzelte Friedensstimmen, die auch vorübergehend
Beachtung finden. Aber schon bei der Besprechung solcher Betrachtungen kann man
beobachten, daß man alles das, was behagt und gefällt, herausgreift und das
übrige mit Stillschweigen übergeht. Es ist klar, daß mit dieser Methode keinem
der beiden Teile viel gedient sein kann. Freilich wollen wir auch heute noch nicht
zu viel verlangen. Wir geben uns gern zufrieden mit den ersten kleinen Ansätzen
und können nur wünschen, daß diese nicht mehr versanden und ins Stocken kommen.
Wir geben uns keiner Täuschung darüber hin, daß so lange in weiten Kreisen
Deutschlands eine förmliche Antipathie gegen alles, was konfessioneller Friede heißt,
besteht, so lange dieser Friede als ein Traumgebilde, eine Utopie gilt, nicht viel
zu erreichen ist. Nichtsdestoweniger glauben und hoffen wir, daß man den heutigen
Kriegszustand in nicht zu ferner Zeit für eine seltsame Kinderkrankheit anzusehen
lernen wird, über deren lange Dauer man sich noch einmal wundern wird. Das
alte Gesetz, wonach "alles fließt," alles vorübergeht und einem Neuen Platz macht --
warum sollte es sich denn nicht auch bei dieser Erscheinung bewahrheiten?

Man ist ja leider heute weniger als je gewillt, den Friedensklängen ernstlich
zu lauschen. Die Art des Kampfes, sein Hinüberspielen auf das politische Gebiet,
seine Verquickung mit der leidigen Politik bringt es mit sich, daß die große Masse
auch unter den Gebildeten wenig Lust zeigt, den Frieden herbeizusehnen oder gar
irgend etwas dafür zu tun. Man würde dadurch einen isolierten Standpunkt ein¬
nehmen, den die Freunde nicht teilen oder direkt verurteilen. Warum sollte man
sich da Ungelegenheiten machen? Die Sache ist ja doch aussichtslos. Wie will
der einzelne gegen den Strom schwimmen? Es ist die alte Geschichte von der
suggestiven Wirkung der "Mehreren." Hat man sich einmal dem Gedankenkreis,
den Willensäußerungen eines andern hingegeben, so ist man meist in einen förm¬
lichen Bann geraten, von dem man sich nur schwer befreien kaun. Die Gewohn¬
heit ist ein Tyrann, der uns oft ganz unbewußt in Fesseln schlägt. Das zeigt
sich nirgends stärker als auf dem religiöse", auch auf dem konfessionellen Gebiet.
Beachten wir weiter, daß nach einem Ausspruch Joh. Scherrs "kein andres Motiv
jederzeit die Menschen zu wahnsinnigerer Wut entflammt als der Zwist um die
Götter," dann werden wir uns über die Heftigkeit, über die Leidenschaftlichkeit,
die bei dem heutigen unblutigen Religionskrieg so häufig hervorbricht, nicht allzu¬
sehr wundern dürfen.

Fern sei es, die Schuld an den verfahrnen Zuständen ausschließlich auf einer
Seite suchen zu wollen. Wie bei den meisten Kämpfen, so tragen auch hier beide
Teile die Schuld, und bis zur Stunde gießt man fort und fort Öl ins Feuer,
daß nur ja keine Beruhigung eintrete. Darum sollte es auch die katholische Presse
unterlassen, sich selbst allzeit als den harmlosen Waisenknaben hinzustellen, der kein
Wässerlein trübt. Wer ist es denn, der Dr. Luther, den großen Mann, unaus¬
gesetzt in den Staub zieht? Wer wirft den protestantischen Pastoren vor, die Sorge
für ihre Familien stünde ihnen höher als das Wohl der Gemeinde? Wer erklärt
die gemischte Ehe für Todsünde, die zur Verdammnis führe? Wer trägt den
Zwiespalt sogar in das Militär hinein, wie dort, wo zwei Altäre in weitem Ab¬
stand errichtet wurden, damit nur ja das Bewußtsein eines gemeinsamen Christen¬
glaubens nicht aufkomme? Aber wir unterlassen lieber weitere Andeutungen. Nur
ein Punkt sei herausgegriffen. Zugegeben, daß auch auf evangelischer Seite mehr-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zur konfessionellen Lage in Deutschland.

Je länger einer darüber
nachdenkt, wie es möglich gemacht werden könnte, daß der so gründlich «erfahrne
Wagen wieder in das rechte Geleise käme, um so unwahrscheinlicher erscheint es
ihm, daß die heutige Generation das Eude des Streites überhaupt noch erleben
wird. Es scheint sich auch manchmal alles verschworen zu haben, daß sich nur ja
keine friedlichen Zustände im Lande einstellen. Man ist völlig blind, oder man
will es nicht sehen, daß das deutsche Volk nachgerade genug unter diesen Mißver¬
hältnissen gelitten hat. Zwar ertönen hie und da in großen und kleinen Blättern,
und zwar aus beiden Lagern, vereinzelte Friedensstimmen, die auch vorübergehend
Beachtung finden. Aber schon bei der Besprechung solcher Betrachtungen kann man
beobachten, daß man alles das, was behagt und gefällt, herausgreift und das
übrige mit Stillschweigen übergeht. Es ist klar, daß mit dieser Methode keinem
der beiden Teile viel gedient sein kann. Freilich wollen wir auch heute noch nicht
zu viel verlangen. Wir geben uns gern zufrieden mit den ersten kleinen Ansätzen
und können nur wünschen, daß diese nicht mehr versanden und ins Stocken kommen.
Wir geben uns keiner Täuschung darüber hin, daß so lange in weiten Kreisen
Deutschlands eine förmliche Antipathie gegen alles, was konfessioneller Friede heißt,
besteht, so lange dieser Friede als ein Traumgebilde, eine Utopie gilt, nicht viel
zu erreichen ist. Nichtsdestoweniger glauben und hoffen wir, daß man den heutigen
Kriegszustand in nicht zu ferner Zeit für eine seltsame Kinderkrankheit anzusehen
lernen wird, über deren lange Dauer man sich noch einmal wundern wird. Das
alte Gesetz, wonach „alles fließt," alles vorübergeht und einem Neuen Platz macht —
warum sollte es sich denn nicht auch bei dieser Erscheinung bewahrheiten?

Man ist ja leider heute weniger als je gewillt, den Friedensklängen ernstlich
zu lauschen. Die Art des Kampfes, sein Hinüberspielen auf das politische Gebiet,
seine Verquickung mit der leidigen Politik bringt es mit sich, daß die große Masse
auch unter den Gebildeten wenig Lust zeigt, den Frieden herbeizusehnen oder gar
irgend etwas dafür zu tun. Man würde dadurch einen isolierten Standpunkt ein¬
nehmen, den die Freunde nicht teilen oder direkt verurteilen. Warum sollte man
sich da Ungelegenheiten machen? Die Sache ist ja doch aussichtslos. Wie will
der einzelne gegen den Strom schwimmen? Es ist die alte Geschichte von der
suggestiven Wirkung der „Mehreren." Hat man sich einmal dem Gedankenkreis,
den Willensäußerungen eines andern hingegeben, so ist man meist in einen förm¬
lichen Bann geraten, von dem man sich nur schwer befreien kaun. Die Gewohn¬
heit ist ein Tyrann, der uns oft ganz unbewußt in Fesseln schlägt. Das zeigt
sich nirgends stärker als auf dem religiöse«, auch auf dem konfessionellen Gebiet.
Beachten wir weiter, daß nach einem Ausspruch Joh. Scherrs „kein andres Motiv
jederzeit die Menschen zu wahnsinnigerer Wut entflammt als der Zwist um die
Götter," dann werden wir uns über die Heftigkeit, über die Leidenschaftlichkeit,
die bei dem heutigen unblutigen Religionskrieg so häufig hervorbricht, nicht allzu¬
sehr wundern dürfen.

Fern sei es, die Schuld an den verfahrnen Zuständen ausschließlich auf einer
Seite suchen zu wollen. Wie bei den meisten Kämpfen, so tragen auch hier beide
Teile die Schuld, und bis zur Stunde gießt man fort und fort Öl ins Feuer,
daß nur ja keine Beruhigung eintrete. Darum sollte es auch die katholische Presse
unterlassen, sich selbst allzeit als den harmlosen Waisenknaben hinzustellen, der kein
Wässerlein trübt. Wer ist es denn, der Dr. Luther, den großen Mann, unaus¬
gesetzt in den Staub zieht? Wer wirft den protestantischen Pastoren vor, die Sorge
für ihre Familien stünde ihnen höher als das Wohl der Gemeinde? Wer erklärt
die gemischte Ehe für Todsünde, die zur Verdammnis führe? Wer trägt den
Zwiespalt sogar in das Militär hinein, wie dort, wo zwei Altäre in weitem Ab¬
stand errichtet wurden, damit nur ja das Bewußtsein eines gemeinsamen Christen¬
glaubens nicht aufkomme? Aber wir unterlassen lieber weitere Andeutungen. Nur
ein Punkt sei herausgegriffen. Zugegeben, daß auch auf evangelischer Seite mehr-


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[0370] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur konfessionellen Lage in Deutschland. Je länger einer darüber nachdenkt, wie es möglich gemacht werden könnte, daß der so gründlich «erfahrne Wagen wieder in das rechte Geleise käme, um so unwahrscheinlicher erscheint es ihm, daß die heutige Generation das Eude des Streites überhaupt noch erleben wird. Es scheint sich auch manchmal alles verschworen zu haben, daß sich nur ja keine friedlichen Zustände im Lande einstellen. Man ist völlig blind, oder man will es nicht sehen, daß das deutsche Volk nachgerade genug unter diesen Mißver¬ hältnissen gelitten hat. Zwar ertönen hie und da in großen und kleinen Blättern, und zwar aus beiden Lagern, vereinzelte Friedensstimmen, die auch vorübergehend Beachtung finden. Aber schon bei der Besprechung solcher Betrachtungen kann man beobachten, daß man alles das, was behagt und gefällt, herausgreift und das übrige mit Stillschweigen übergeht. Es ist klar, daß mit dieser Methode keinem der beiden Teile viel gedient sein kann. Freilich wollen wir auch heute noch nicht zu viel verlangen. Wir geben uns gern zufrieden mit den ersten kleinen Ansätzen und können nur wünschen, daß diese nicht mehr versanden und ins Stocken kommen. Wir geben uns keiner Täuschung darüber hin, daß so lange in weiten Kreisen Deutschlands eine förmliche Antipathie gegen alles, was konfessioneller Friede heißt, besteht, so lange dieser Friede als ein Traumgebilde, eine Utopie gilt, nicht viel zu erreichen ist. Nichtsdestoweniger glauben und hoffen wir, daß man den heutigen Kriegszustand in nicht zu ferner Zeit für eine seltsame Kinderkrankheit anzusehen lernen wird, über deren lange Dauer man sich noch einmal wundern wird. Das alte Gesetz, wonach „alles fließt," alles vorübergeht und einem Neuen Platz macht — warum sollte es sich denn nicht auch bei dieser Erscheinung bewahrheiten? Man ist ja leider heute weniger als je gewillt, den Friedensklängen ernstlich zu lauschen. Die Art des Kampfes, sein Hinüberspielen auf das politische Gebiet, seine Verquickung mit der leidigen Politik bringt es mit sich, daß die große Masse auch unter den Gebildeten wenig Lust zeigt, den Frieden herbeizusehnen oder gar irgend etwas dafür zu tun. Man würde dadurch einen isolierten Standpunkt ein¬ nehmen, den die Freunde nicht teilen oder direkt verurteilen. Warum sollte man sich da Ungelegenheiten machen? Die Sache ist ja doch aussichtslos. Wie will der einzelne gegen den Strom schwimmen? Es ist die alte Geschichte von der suggestiven Wirkung der „Mehreren." Hat man sich einmal dem Gedankenkreis, den Willensäußerungen eines andern hingegeben, so ist man meist in einen förm¬ lichen Bann geraten, von dem man sich nur schwer befreien kaun. Die Gewohn¬ heit ist ein Tyrann, der uns oft ganz unbewußt in Fesseln schlägt. Das zeigt sich nirgends stärker als auf dem religiöse«, auch auf dem konfessionellen Gebiet. Beachten wir weiter, daß nach einem Ausspruch Joh. Scherrs „kein andres Motiv jederzeit die Menschen zu wahnsinnigerer Wut entflammt als der Zwist um die Götter," dann werden wir uns über die Heftigkeit, über die Leidenschaftlichkeit, die bei dem heutigen unblutigen Religionskrieg so häufig hervorbricht, nicht allzu¬ sehr wundern dürfen. Fern sei es, die Schuld an den verfahrnen Zuständen ausschließlich auf einer Seite suchen zu wollen. Wie bei den meisten Kämpfen, so tragen auch hier beide Teile die Schuld, und bis zur Stunde gießt man fort und fort Öl ins Feuer, daß nur ja keine Beruhigung eintrete. Darum sollte es auch die katholische Presse unterlassen, sich selbst allzeit als den harmlosen Waisenknaben hinzustellen, der kein Wässerlein trübt. Wer ist es denn, der Dr. Luther, den großen Mann, unaus¬ gesetzt in den Staub zieht? Wer wirft den protestantischen Pastoren vor, die Sorge für ihre Familien stünde ihnen höher als das Wohl der Gemeinde? Wer erklärt die gemischte Ehe für Todsünde, die zur Verdammnis führe? Wer trägt den Zwiespalt sogar in das Militär hinein, wie dort, wo zwei Altäre in weitem Ab¬ stand errichtet wurden, damit nur ja das Bewußtsein eines gemeinsamen Christen¬ glaubens nicht aufkomme? Aber wir unterlassen lieber weitere Andeutungen. Nur ein Punkt sei herausgegriffen. Zugegeben, daß auch auf evangelischer Seite mehr-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/370>, abgerufen am 27.04.2024.