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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

einem Seekriege zweier großer Mächte nicht "Kriegführender," das englische Publikum
vermag sich deshalb, einschließlich des Unterhauses, in die ihm ungewohnte Rolle
eines neutralen Leidtragenden nur schwer hineinzufinden, wobei dann auch noch die
traditionelle Vorstellung von der Unantastbarkeit der englischen Flagge eine Rolle
spielt. Die englische Regierung sieht etwas weiter und erkennt sehr wohl, daß der
Krieg zur See mit seinen vielen Eigenheiten und Unberechenbarkeiten England
leicht in die Lage bringen kann, das selbst zu tun und gut zu heißen, was es
heute tadelt und doch in seinen frühern Kriegen unzcihligemale gut geheißen hat.
Am allerwenigsten, meinen wir, liegt für Deutschland eine Veranlassung vor, zu
einer Seerechtskonferenz die Initiative zu ergreifen. Übergriffe einzelner Schiffs¬
befehlshaber, soweit sich Übergriffe schließlich herausstellen sollten, werden doch durch
keinen Paragraphen aus der Welt zu schaffen sein, und das Versenken von Konter¬
bande, mit oder ohne Schiff, wird allezeit zum Selbsterhaltungsrecht und zur
Notwehr gehören. Die europäischen Nationen sind sämtlich unter der Herrschaft
einer hochentwickelten Kultur und einer Verkehrsentwicklung, die keine andern
Grenzen mehr zu kennen scheint als die von den Elementen und der Technik ge¬
zognen, stark verweichlicht und haben dank den Wohltaten eines langen Friedens
die harten Gebote des Kriegs verlernt. Schon Bismarck klagte im Jahre 1870.
daß wir das Kriegführen verlernt hätten, nämlich in bezug auf die Behandlung
des feindlichen Landes. Um wieviel mehr wird das heute, vierunddreißig Jahre
später, der Fall sein, wo die Neigung, auch die Kriegführung durch juristische
Paragraphen und Haftpflichtbestimmungen einzuengen, immer deutlicher zutage tritt.
Wenn Fichte in den Jahren vor den Befreiungskriegen klagte: "Wir haben vor
Gerechtigkeiten keine Gerechtigkeit und vor Rechten kein Recht," so könnte dieser
Satz in vielleicht nicht ferner Zeit im entgegengesetzten Sinne auf die hochgespannter
Rechtsansprüche des Individuums gegenüber dem Staate und der Allgemeinheit
Anwendung finden. Genau auf dieser Erscheinung beruht auch die Entrüstung
über Vorgänge im Seekriege, die von diesem allezeit unzertrennlich gewesen und
im jetzigen Kriege bisher immer noch recht vereinzelt aufgetreten sind. Wir glauben,
daß ein englischer, französischer oder amerikanischer Kreuzerkrieg viel mehr Anlässe
zu Beschwerden geben würde.

Dieselbe Presse in Deutschland, die gegenwärtig nicht genug tun kann, die
öffentliche Meinung gegen Rußland zu erregen, sehr gegen unser deutsches Interesse,
ist es auch gewesen, die mit großer Emphase zu verkünden und mit tausend Argu¬
menten nachzuweisen wußte, daß Graf Bülow keinen Handelsvertrag mit Rußland,
ja überhaupt keinen Handelsvertrag zustande bringen werde. Nun ist der russische
Vertrag unterzeichnet, und es liegt aller Grund zu der Annahme vor, daß sich
die noch zurückstehender Mächte beeilen werden, vor Jahresschluß unter Dach und
Fach zu kommen. In unsrer deutschen Publizistik nimmt das viele Lärmen um
nichts in geradezu beängstigender Weise zu, und die Wertschätzung der Presse dem¬
gemäß in entsprechender Weise ab. Das bekannte Wort: Ich kenne die Absichten
der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie, hat selten eine so ausgedehnte An¬
wendung in Deutschland gefunden wie in den letzten Jahren, wo unsre Presse
immer mehr in den von der Sozialdemokratie angeschlagnen Ton einstimmt und
das Verhalten der Regierung in jedem einzelnen Falle zunächst auf seine Schlechtig¬
keit und auf die damit verbundne schändliche Absicht untersucht. Das ist nicht
mehr eine Betätigung, die die Aufgabe hat, ein Korrektiv unsers öffentlichen Lebens
zu sein. Die Presse, die die Akten, die Geschäftslage, die verschiednen Gegen¬
wirkungen im Auslande nicht kennt und namentlich vom Auslande her nicht selten
absichtlich irregeführt wird, gerät damit in die Lage eines Wandrers, der wegen
mangelnden Orientierungssinnes an jedem Kreuzweg irregeht und schließlich an
einer seinen Absichten ganz entgegengesetzten Stelle ankommt. Das kann weder
unter ruhigen, noch weniger aber unter bewegten und gespannten Verhältnissen
zum Frommen des Landes sei ",55 n



Maßgebliches und Unmaßgebliches

einem Seekriege zweier großer Mächte nicht „Kriegführender," das englische Publikum
vermag sich deshalb, einschließlich des Unterhauses, in die ihm ungewohnte Rolle
eines neutralen Leidtragenden nur schwer hineinzufinden, wobei dann auch noch die
traditionelle Vorstellung von der Unantastbarkeit der englischen Flagge eine Rolle
spielt. Die englische Regierung sieht etwas weiter und erkennt sehr wohl, daß der
Krieg zur See mit seinen vielen Eigenheiten und Unberechenbarkeiten England
leicht in die Lage bringen kann, das selbst zu tun und gut zu heißen, was es
heute tadelt und doch in seinen frühern Kriegen unzcihligemale gut geheißen hat.
Am allerwenigsten, meinen wir, liegt für Deutschland eine Veranlassung vor, zu
einer Seerechtskonferenz die Initiative zu ergreifen. Übergriffe einzelner Schiffs¬
befehlshaber, soweit sich Übergriffe schließlich herausstellen sollten, werden doch durch
keinen Paragraphen aus der Welt zu schaffen sein, und das Versenken von Konter¬
bande, mit oder ohne Schiff, wird allezeit zum Selbsterhaltungsrecht und zur
Notwehr gehören. Die europäischen Nationen sind sämtlich unter der Herrschaft
einer hochentwickelten Kultur und einer Verkehrsentwicklung, die keine andern
Grenzen mehr zu kennen scheint als die von den Elementen und der Technik ge¬
zognen, stark verweichlicht und haben dank den Wohltaten eines langen Friedens
die harten Gebote des Kriegs verlernt. Schon Bismarck klagte im Jahre 1870.
daß wir das Kriegführen verlernt hätten, nämlich in bezug auf die Behandlung
des feindlichen Landes. Um wieviel mehr wird das heute, vierunddreißig Jahre
später, der Fall sein, wo die Neigung, auch die Kriegführung durch juristische
Paragraphen und Haftpflichtbestimmungen einzuengen, immer deutlicher zutage tritt.
Wenn Fichte in den Jahren vor den Befreiungskriegen klagte: „Wir haben vor
Gerechtigkeiten keine Gerechtigkeit und vor Rechten kein Recht," so könnte dieser
Satz in vielleicht nicht ferner Zeit im entgegengesetzten Sinne auf die hochgespannter
Rechtsansprüche des Individuums gegenüber dem Staate und der Allgemeinheit
Anwendung finden. Genau auf dieser Erscheinung beruht auch die Entrüstung
über Vorgänge im Seekriege, die von diesem allezeit unzertrennlich gewesen und
im jetzigen Kriege bisher immer noch recht vereinzelt aufgetreten sind. Wir glauben,
daß ein englischer, französischer oder amerikanischer Kreuzerkrieg viel mehr Anlässe
zu Beschwerden geben würde.

Dieselbe Presse in Deutschland, die gegenwärtig nicht genug tun kann, die
öffentliche Meinung gegen Rußland zu erregen, sehr gegen unser deutsches Interesse,
ist es auch gewesen, die mit großer Emphase zu verkünden und mit tausend Argu¬
menten nachzuweisen wußte, daß Graf Bülow keinen Handelsvertrag mit Rußland,
ja überhaupt keinen Handelsvertrag zustande bringen werde. Nun ist der russische
Vertrag unterzeichnet, und es liegt aller Grund zu der Annahme vor, daß sich
die noch zurückstehender Mächte beeilen werden, vor Jahresschluß unter Dach und
Fach zu kommen. In unsrer deutschen Publizistik nimmt das viele Lärmen um
nichts in geradezu beängstigender Weise zu, und die Wertschätzung der Presse dem¬
gemäß in entsprechender Weise ab. Das bekannte Wort: Ich kenne die Absichten
der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie, hat selten eine so ausgedehnte An¬
wendung in Deutschland gefunden wie in den letzten Jahren, wo unsre Presse
immer mehr in den von der Sozialdemokratie angeschlagnen Ton einstimmt und
das Verhalten der Regierung in jedem einzelnen Falle zunächst auf seine Schlechtig¬
keit und auf die damit verbundne schändliche Absicht untersucht. Das ist nicht
mehr eine Betätigung, die die Aufgabe hat, ein Korrektiv unsers öffentlichen Lebens
zu sein. Die Presse, die die Akten, die Geschäftslage, die verschiednen Gegen¬
wirkungen im Auslande nicht kennt und namentlich vom Auslande her nicht selten
absichtlich irregeführt wird, gerät damit in die Lage eines Wandrers, der wegen
mangelnden Orientierungssinnes an jedem Kreuzweg irregeht und schließlich an
einer seinen Absichten ganz entgegengesetzten Stelle ankommt. Das kann weder
unter ruhigen, noch weniger aber unter bewegten und gespannten Verhältnissen
zum Frommen des Landes sei »,55 n



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[0369] Maßgebliches und Unmaßgebliches einem Seekriege zweier großer Mächte nicht „Kriegführender," das englische Publikum vermag sich deshalb, einschließlich des Unterhauses, in die ihm ungewohnte Rolle eines neutralen Leidtragenden nur schwer hineinzufinden, wobei dann auch noch die traditionelle Vorstellung von der Unantastbarkeit der englischen Flagge eine Rolle spielt. Die englische Regierung sieht etwas weiter und erkennt sehr wohl, daß der Krieg zur See mit seinen vielen Eigenheiten und Unberechenbarkeiten England leicht in die Lage bringen kann, das selbst zu tun und gut zu heißen, was es heute tadelt und doch in seinen frühern Kriegen unzcihligemale gut geheißen hat. Am allerwenigsten, meinen wir, liegt für Deutschland eine Veranlassung vor, zu einer Seerechtskonferenz die Initiative zu ergreifen. Übergriffe einzelner Schiffs¬ befehlshaber, soweit sich Übergriffe schließlich herausstellen sollten, werden doch durch keinen Paragraphen aus der Welt zu schaffen sein, und das Versenken von Konter¬ bande, mit oder ohne Schiff, wird allezeit zum Selbsterhaltungsrecht und zur Notwehr gehören. Die europäischen Nationen sind sämtlich unter der Herrschaft einer hochentwickelten Kultur und einer Verkehrsentwicklung, die keine andern Grenzen mehr zu kennen scheint als die von den Elementen und der Technik ge¬ zognen, stark verweichlicht und haben dank den Wohltaten eines langen Friedens die harten Gebote des Kriegs verlernt. Schon Bismarck klagte im Jahre 1870. daß wir das Kriegführen verlernt hätten, nämlich in bezug auf die Behandlung des feindlichen Landes. Um wieviel mehr wird das heute, vierunddreißig Jahre später, der Fall sein, wo die Neigung, auch die Kriegführung durch juristische Paragraphen und Haftpflichtbestimmungen einzuengen, immer deutlicher zutage tritt. Wenn Fichte in den Jahren vor den Befreiungskriegen klagte: „Wir haben vor Gerechtigkeiten keine Gerechtigkeit und vor Rechten kein Recht," so könnte dieser Satz in vielleicht nicht ferner Zeit im entgegengesetzten Sinne auf die hochgespannter Rechtsansprüche des Individuums gegenüber dem Staate und der Allgemeinheit Anwendung finden. Genau auf dieser Erscheinung beruht auch die Entrüstung über Vorgänge im Seekriege, die von diesem allezeit unzertrennlich gewesen und im jetzigen Kriege bisher immer noch recht vereinzelt aufgetreten sind. Wir glauben, daß ein englischer, französischer oder amerikanischer Kreuzerkrieg viel mehr Anlässe zu Beschwerden geben würde. Dieselbe Presse in Deutschland, die gegenwärtig nicht genug tun kann, die öffentliche Meinung gegen Rußland zu erregen, sehr gegen unser deutsches Interesse, ist es auch gewesen, die mit großer Emphase zu verkünden und mit tausend Argu¬ menten nachzuweisen wußte, daß Graf Bülow keinen Handelsvertrag mit Rußland, ja überhaupt keinen Handelsvertrag zustande bringen werde. Nun ist der russische Vertrag unterzeichnet, und es liegt aller Grund zu der Annahme vor, daß sich die noch zurückstehender Mächte beeilen werden, vor Jahresschluß unter Dach und Fach zu kommen. In unsrer deutschen Publizistik nimmt das viele Lärmen um nichts in geradezu beängstigender Weise zu, und die Wertschätzung der Presse dem¬ gemäß in entsprechender Weise ab. Das bekannte Wort: Ich kenne die Absichten der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie, hat selten eine so ausgedehnte An¬ wendung in Deutschland gefunden wie in den letzten Jahren, wo unsre Presse immer mehr in den von der Sozialdemokratie angeschlagnen Ton einstimmt und das Verhalten der Regierung in jedem einzelnen Falle zunächst auf seine Schlechtig¬ keit und auf die damit verbundne schändliche Absicht untersucht. Das ist nicht mehr eine Betätigung, die die Aufgabe hat, ein Korrektiv unsers öffentlichen Lebens zu sein. Die Presse, die die Akten, die Geschäftslage, die verschiednen Gegen¬ wirkungen im Auslande nicht kennt und namentlich vom Auslande her nicht selten absichtlich irregeführt wird, gerät damit in die Lage eines Wandrers, der wegen mangelnden Orientierungssinnes an jedem Kreuzweg irregeht und schließlich an einer seinen Absichten ganz entgegengesetzten Stelle ankommt. Das kann weder unter ruhigen, noch weniger aber unter bewegten und gespannten Verhältnissen zum Frommen des Landes sei »,55 n

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/369>, abgerufen am 09.05.2024.