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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Napoleon im Zenit und im Niedergang
von Gottlob Lgelhaaf
(Vgl, Grenzboten 1903, II, S23 bis 628.)

eit 1887, also seit siebzehn Jahren, arbeitet Albert Sorel, Mit¬
glied der Akademie, an seinem großen Werk I/Huroxs et 1"
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hervorragendsten Geschichtschreibern, und was seinen Stoff im
besondern betrifft, den Platz neben Heinrich von Sybel errungen
hat. Was Sorel kennzeichnet, was auch den zwei neusten Bänden, dem sechsten
und dem siebenten, ihr Gepräge gibt, das ist ein gewisser Kassandrnton, der
immer und immer wieder erklingt. Sorel erkennt wohl die großen Seiten der
Revolution an, und er sagt, daß die Nationalversammlung, so unfähig sie war,
Frankreich und sich selbst zu beherrschen, doch in acht Monaten ein großes
Werk vollführte, daß sie die Menschen wie das Land befreite und die Bürger
auf diese Art mit engern Banden an den Boden fesselte, als dieses vorher der
Fall gewesen war; sie machte den großen Begriff des Vaterlandes, den die
Jahrhunderte vorher langsam in die Seelen gesenkt hatten, allgemein und
volkstümlich. Aber sie vollendete damit nur, was das Königtum begonnen
hatte, und weihte sein Werk. Hierfür ist die Anekdote bezeichnend, nach der
Bonaparte 1797 nach der Heimkehr aus Italien zu Sieyes gesagt hat: "Ich
habe die große Nation geschaffen." "Allerdings, antwortete Sieyes, aber nur,
weil wir vorher die Nation geschaffen hatten" (II, 7). Sie brüsteten sich beide
und vergriffen sich an der Geschichte, die alles das vorbereitet und ermöglicht
hatte, die Siege des Feldherrn und die Gesetzgebung der Revolution. Mit
der Neugestaltung Frankreichs aber verband sich der Drang, sie sicher zu stelle"
gegen die Gewalten, die sonst in Enropa die alten Ordnungen verkörperten,
die Revolution auf die Nachbarstaaten zu übertragen und so Frankreich mit
einem Kranz von Vorwerken zu umgeben, die das Heiligtum der Freiheit und
der Gleichheit gegen den Angriff der Tyrannei beschützten. Die Grundsätze,
denen man in Frankreich zum Siege verholfen hatte, sollten auch anderswo
triumphieren zum Beweis ihrer sieghaften Kraft und zu ihrer eignen Sicherung.
Damit vereinigte sich die Erinnerung an die alten Zeiten, wo Gallien un¬
abhängig gewesen war und bis an die zwei Meere, die Pyrenäen und den
Rhein gereicht hatte, und es ist nicht zufällig, daß 1795 gerade die Jakobiner
die Losung von den liimtss ug-tursllss ausgaben, die Frankreich als Preis
seiner Opfer und als Lohn seiner Siege haben müsse. Damit war das Verhängnis
Frankreichs und Europas entschieden; die Revolution lenkte ein in die Bahnen



*) "Europa und die französische Revolution." Von Albert Sorel. Paris. Plon. Band 6
und 7. 1903 und 1904.


Napoleon im Zenit und im Niedergang
von Gottlob Lgelhaaf
(Vgl, Grenzboten 1903, II, S23 bis 628.)

eit 1887, also seit siebzehn Jahren, arbeitet Albert Sorel, Mit¬
glied der Akademie, an seinem großen Werk I/Huroxs et 1»
rsvowtion trg,n,<Mös/') durch das er sich einen Platz unter den
hervorragendsten Geschichtschreibern, und was seinen Stoff im
besondern betrifft, den Platz neben Heinrich von Sybel errungen
hat. Was Sorel kennzeichnet, was auch den zwei neusten Bänden, dem sechsten
und dem siebenten, ihr Gepräge gibt, das ist ein gewisser Kassandrnton, der
immer und immer wieder erklingt. Sorel erkennt wohl die großen Seiten der
Revolution an, und er sagt, daß die Nationalversammlung, so unfähig sie war,
Frankreich und sich selbst zu beherrschen, doch in acht Monaten ein großes
Werk vollführte, daß sie die Menschen wie das Land befreite und die Bürger
auf diese Art mit engern Banden an den Boden fesselte, als dieses vorher der
Fall gewesen war; sie machte den großen Begriff des Vaterlandes, den die
Jahrhunderte vorher langsam in die Seelen gesenkt hatten, allgemein und
volkstümlich. Aber sie vollendete damit nur, was das Königtum begonnen
hatte, und weihte sein Werk. Hierfür ist die Anekdote bezeichnend, nach der
Bonaparte 1797 nach der Heimkehr aus Italien zu Sieyes gesagt hat: „Ich
habe die große Nation geschaffen." „Allerdings, antwortete Sieyes, aber nur,
weil wir vorher die Nation geschaffen hatten" (II, 7). Sie brüsteten sich beide
und vergriffen sich an der Geschichte, die alles das vorbereitet und ermöglicht
hatte, die Siege des Feldherrn und die Gesetzgebung der Revolution. Mit
der Neugestaltung Frankreichs aber verband sich der Drang, sie sicher zu stelle»
gegen die Gewalten, die sonst in Enropa die alten Ordnungen verkörperten,
die Revolution auf die Nachbarstaaten zu übertragen und so Frankreich mit
einem Kranz von Vorwerken zu umgeben, die das Heiligtum der Freiheit und
der Gleichheit gegen den Angriff der Tyrannei beschützten. Die Grundsätze,
denen man in Frankreich zum Siege verholfen hatte, sollten auch anderswo
triumphieren zum Beweis ihrer sieghaften Kraft und zu ihrer eignen Sicherung.
Damit vereinigte sich die Erinnerung an die alten Zeiten, wo Gallien un¬
abhängig gewesen war und bis an die zwei Meere, die Pyrenäen und den
Rhein gereicht hatte, und es ist nicht zufällig, daß 1795 gerade die Jakobiner
die Losung von den liimtss ug-tursllss ausgaben, die Frankreich als Preis
seiner Opfer und als Lohn seiner Siege haben müsse. Damit war das Verhängnis
Frankreichs und Europas entschieden; die Revolution lenkte ein in die Bahnen



*) „Europa und die französische Revolution." Von Albert Sorel. Paris. Plon. Band 6
und 7. 1903 und 1904.
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[0444] [Abbildung] Napoleon im Zenit und im Niedergang von Gottlob Lgelhaaf (Vgl, Grenzboten 1903, II, S23 bis 628.) eit 1887, also seit siebzehn Jahren, arbeitet Albert Sorel, Mit¬ glied der Akademie, an seinem großen Werk I/Huroxs et 1» rsvowtion trg,n,<Mös/') durch das er sich einen Platz unter den hervorragendsten Geschichtschreibern, und was seinen Stoff im besondern betrifft, den Platz neben Heinrich von Sybel errungen hat. Was Sorel kennzeichnet, was auch den zwei neusten Bänden, dem sechsten und dem siebenten, ihr Gepräge gibt, das ist ein gewisser Kassandrnton, der immer und immer wieder erklingt. Sorel erkennt wohl die großen Seiten der Revolution an, und er sagt, daß die Nationalversammlung, so unfähig sie war, Frankreich und sich selbst zu beherrschen, doch in acht Monaten ein großes Werk vollführte, daß sie die Menschen wie das Land befreite und die Bürger auf diese Art mit engern Banden an den Boden fesselte, als dieses vorher der Fall gewesen war; sie machte den großen Begriff des Vaterlandes, den die Jahrhunderte vorher langsam in die Seelen gesenkt hatten, allgemein und volkstümlich. Aber sie vollendete damit nur, was das Königtum begonnen hatte, und weihte sein Werk. Hierfür ist die Anekdote bezeichnend, nach der Bonaparte 1797 nach der Heimkehr aus Italien zu Sieyes gesagt hat: „Ich habe die große Nation geschaffen." „Allerdings, antwortete Sieyes, aber nur, weil wir vorher die Nation geschaffen hatten" (II, 7). Sie brüsteten sich beide und vergriffen sich an der Geschichte, die alles das vorbereitet und ermöglicht hatte, die Siege des Feldherrn und die Gesetzgebung der Revolution. Mit der Neugestaltung Frankreichs aber verband sich der Drang, sie sicher zu stelle» gegen die Gewalten, die sonst in Enropa die alten Ordnungen verkörperten, die Revolution auf die Nachbarstaaten zu übertragen und so Frankreich mit einem Kranz von Vorwerken zu umgeben, die das Heiligtum der Freiheit und der Gleichheit gegen den Angriff der Tyrannei beschützten. Die Grundsätze, denen man in Frankreich zum Siege verholfen hatte, sollten auch anderswo triumphieren zum Beweis ihrer sieghaften Kraft und zu ihrer eignen Sicherung. Damit vereinigte sich die Erinnerung an die alten Zeiten, wo Gallien un¬ abhängig gewesen war und bis an die zwei Meere, die Pyrenäen und den Rhein gereicht hatte, und es ist nicht zufällig, daß 1795 gerade die Jakobiner die Losung von den liimtss ug-tursllss ausgaben, die Frankreich als Preis seiner Opfer und als Lohn seiner Siege haben müsse. Damit war das Verhängnis Frankreichs und Europas entschieden; die Revolution lenkte ein in die Bahnen *) „Europa und die französische Revolution." Von Albert Sorel. Paris. Plon. Band 6 und 7. 1903 und 1904.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/444>, abgerufen am 28.04.2024.