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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Zur Bismarcklegende

ständig gehaltne Erwiderung auf den Artikel "Reichsverdrossenheit und Bismarck¬
legende" geschrieben hatte.

Mit der übrigen Schar Angreifer soll summarisch verfahren werden, denn
sie haben, was für die Verhältnisse in einem Teil der deutschen Presse be¬
zeichnend ist, alle mit einem Kalbe gepflügt. Eine Berliner Leitartikelfabrik
hat ein Opus gegen die Grenzboten geleistet, und eine Reihe, wohl meist
nationalliberaler, Blätter hat es ganz oder größtenteils abgedruckt. Es siud
Zeitungen darunter, die sich bisher des Rufes vollständiger Unabhängigkeit und
selbständiger Arbeit erfreuten -- nomina, sunt oäiosg.. Der Fabrikant beginnt
mit dem alten Witz der Kleinjournalistik, es lohne längst nicht mehr der Mühe,
sich mit den politischen Artikeln der Grenzboten zu befassen, er gibt sie sich
aber doch und wahrscheinlich nicht aus dem Grunde, weil seiner reichen Seele
gerade nicht gescheiteres eingefallen ist. Seit einem Dutzend von Jahren zieht
eine Anzahl von Journalisten mit 'einem künstlich aufgeputzten Bismarck durch
das Land und macht damit Geschäfte, diese könnten durch die Grenzboten, die
den "Bismarck im Dienst" wiederherstellen wollen, gestört werden: daher der
Eifer. Der Großfabrikant befaßt sich natürlich gar nicht mit einer ernsthaften
Widerlegung, sondern greift nur zwei "Beispiele" heraus, von denen aber das
erste so dürftig geraten ist, daß es einzelne Blätter, darunter ein Dresdner,
gar nicht mit abdrucken. Im zweiten wird herausgetüftelt, in ihrer Darstellung
der europäischen Machtverhältnisse Hütten die Grenzboten "militärischen und
finanziellen Kleinmut" zu erkennen gegeben, und das sei bei der Stimmung
der Franzosen bedenklich, außerdem Hütten sie sich in Widerspruch mit sich
selbst gesetzt, indem sie an einer Stelle gesagt hätten, bei einem Kriege mit
Frankreich unter den heutigen Machtverhältnissen werde Deutschland einen Teil
der Kriegskosten selbst bezahlen müssen, und an einer andern, es könne seine
Interessen in Marokko auch vor den Toren von Metz verteidigen. Der
Fabrikant scheint Erzeuger von politischen Kinderschuhen zu sein; für erwachsne
Leute und klare Köpfe liegt darin kein Widerspruch. Deutschland hat doch
nicht die Expedition nach China unternommen oder bekämpft nicht heilte die
Hereros, nur um auf seine Kriegskosten zu kommen. Der Fabrikant kann
endlich nicht umhin, mit der feige ausgedrückten Verdächtigung zu schließen:
"Vereinzelte Stimmen hört man davon reden, daß die Grenzboten zu gewissen
Berliner Ministerien Beziehungen unterhalten." Jedermann versteht, was das
heißen soll. Der Fabrikant, der offenbar der eignen Stimme nichts zutraut,
vermutet ohne weiteres, daß Leute, die nicht so klägliches Zeug schreiben wie
er, Beziehungen zu Ministerien haben müßten. Den Abnehmern dieses Fabrikats
nun, die vielleicht daheim mit der Redaktionsschere ans dieses Machwerk ge¬
wartet und jedenfalls unbesehen und ungeprüft die feige Verdächtigung abge¬
druckt haben, einem solchen "Chor der Unmündigen" sei ein für allemal die
Antwort, daß sie samt und sonders, im einzelnen wie im ganzen, gar nicht im¬
stande sind, an die Unabhängigkeit der Mitarbeiter der Grenzboten auch nur
heranzureichen.




GrenzSoten UI 1904
Zur Bismarcklegende

ständig gehaltne Erwiderung auf den Artikel „Reichsverdrossenheit und Bismarck¬
legende" geschrieben hatte.

Mit der übrigen Schar Angreifer soll summarisch verfahren werden, denn
sie haben, was für die Verhältnisse in einem Teil der deutschen Presse be¬
zeichnend ist, alle mit einem Kalbe gepflügt. Eine Berliner Leitartikelfabrik
hat ein Opus gegen die Grenzboten geleistet, und eine Reihe, wohl meist
nationalliberaler, Blätter hat es ganz oder größtenteils abgedruckt. Es siud
Zeitungen darunter, die sich bisher des Rufes vollständiger Unabhängigkeit und
selbständiger Arbeit erfreuten — nomina, sunt oäiosg.. Der Fabrikant beginnt
mit dem alten Witz der Kleinjournalistik, es lohne längst nicht mehr der Mühe,
sich mit den politischen Artikeln der Grenzboten zu befassen, er gibt sie sich
aber doch und wahrscheinlich nicht aus dem Grunde, weil seiner reichen Seele
gerade nicht gescheiteres eingefallen ist. Seit einem Dutzend von Jahren zieht
eine Anzahl von Journalisten mit 'einem künstlich aufgeputzten Bismarck durch
das Land und macht damit Geschäfte, diese könnten durch die Grenzboten, die
den „Bismarck im Dienst" wiederherstellen wollen, gestört werden: daher der
Eifer. Der Großfabrikant befaßt sich natürlich gar nicht mit einer ernsthaften
Widerlegung, sondern greift nur zwei „Beispiele" heraus, von denen aber das
erste so dürftig geraten ist, daß es einzelne Blätter, darunter ein Dresdner,
gar nicht mit abdrucken. Im zweiten wird herausgetüftelt, in ihrer Darstellung
der europäischen Machtverhältnisse Hütten die Grenzboten „militärischen und
finanziellen Kleinmut" zu erkennen gegeben, und das sei bei der Stimmung
der Franzosen bedenklich, außerdem Hütten sie sich in Widerspruch mit sich
selbst gesetzt, indem sie an einer Stelle gesagt hätten, bei einem Kriege mit
Frankreich unter den heutigen Machtverhältnissen werde Deutschland einen Teil
der Kriegskosten selbst bezahlen müssen, und an einer andern, es könne seine
Interessen in Marokko auch vor den Toren von Metz verteidigen. Der
Fabrikant scheint Erzeuger von politischen Kinderschuhen zu sein; für erwachsne
Leute und klare Köpfe liegt darin kein Widerspruch. Deutschland hat doch
nicht die Expedition nach China unternommen oder bekämpft nicht heilte die
Hereros, nur um auf seine Kriegskosten zu kommen. Der Fabrikant kann
endlich nicht umhin, mit der feige ausgedrückten Verdächtigung zu schließen:
»Vereinzelte Stimmen hört man davon reden, daß die Grenzboten zu gewissen
Berliner Ministerien Beziehungen unterhalten." Jedermann versteht, was das
heißen soll. Der Fabrikant, der offenbar der eignen Stimme nichts zutraut,
vermutet ohne weiteres, daß Leute, die nicht so klägliches Zeug schreiben wie
er, Beziehungen zu Ministerien haben müßten. Den Abnehmern dieses Fabrikats
nun, die vielleicht daheim mit der Redaktionsschere ans dieses Machwerk ge¬
wartet und jedenfalls unbesehen und ungeprüft die feige Verdächtigung abge¬
druckt haben, einem solchen „Chor der Unmündigen" sei ein für allemal die
Antwort, daß sie samt und sonders, im einzelnen wie im ganzen, gar nicht im¬
stande sind, an die Unabhängigkeit der Mitarbeiter der Grenzboten auch nur
heranzureichen.




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[0443] Zur Bismarcklegende ständig gehaltne Erwiderung auf den Artikel „Reichsverdrossenheit und Bismarck¬ legende" geschrieben hatte. Mit der übrigen Schar Angreifer soll summarisch verfahren werden, denn sie haben, was für die Verhältnisse in einem Teil der deutschen Presse be¬ zeichnend ist, alle mit einem Kalbe gepflügt. Eine Berliner Leitartikelfabrik hat ein Opus gegen die Grenzboten geleistet, und eine Reihe, wohl meist nationalliberaler, Blätter hat es ganz oder größtenteils abgedruckt. Es siud Zeitungen darunter, die sich bisher des Rufes vollständiger Unabhängigkeit und selbständiger Arbeit erfreuten — nomina, sunt oäiosg.. Der Fabrikant beginnt mit dem alten Witz der Kleinjournalistik, es lohne längst nicht mehr der Mühe, sich mit den politischen Artikeln der Grenzboten zu befassen, er gibt sie sich aber doch und wahrscheinlich nicht aus dem Grunde, weil seiner reichen Seele gerade nicht gescheiteres eingefallen ist. Seit einem Dutzend von Jahren zieht eine Anzahl von Journalisten mit 'einem künstlich aufgeputzten Bismarck durch das Land und macht damit Geschäfte, diese könnten durch die Grenzboten, die den „Bismarck im Dienst" wiederherstellen wollen, gestört werden: daher der Eifer. Der Großfabrikant befaßt sich natürlich gar nicht mit einer ernsthaften Widerlegung, sondern greift nur zwei „Beispiele" heraus, von denen aber das erste so dürftig geraten ist, daß es einzelne Blätter, darunter ein Dresdner, gar nicht mit abdrucken. Im zweiten wird herausgetüftelt, in ihrer Darstellung der europäischen Machtverhältnisse Hütten die Grenzboten „militärischen und finanziellen Kleinmut" zu erkennen gegeben, und das sei bei der Stimmung der Franzosen bedenklich, außerdem Hütten sie sich in Widerspruch mit sich selbst gesetzt, indem sie an einer Stelle gesagt hätten, bei einem Kriege mit Frankreich unter den heutigen Machtverhältnissen werde Deutschland einen Teil der Kriegskosten selbst bezahlen müssen, und an einer andern, es könne seine Interessen in Marokko auch vor den Toren von Metz verteidigen. Der Fabrikant scheint Erzeuger von politischen Kinderschuhen zu sein; für erwachsne Leute und klare Köpfe liegt darin kein Widerspruch. Deutschland hat doch nicht die Expedition nach China unternommen oder bekämpft nicht heilte die Hereros, nur um auf seine Kriegskosten zu kommen. Der Fabrikant kann endlich nicht umhin, mit der feige ausgedrückten Verdächtigung zu schließen: »Vereinzelte Stimmen hört man davon reden, daß die Grenzboten zu gewissen Berliner Ministerien Beziehungen unterhalten." Jedermann versteht, was das heißen soll. Der Fabrikant, der offenbar der eignen Stimme nichts zutraut, vermutet ohne weiteres, daß Leute, die nicht so klägliches Zeug schreiben wie er, Beziehungen zu Ministerien haben müßten. Den Abnehmern dieses Fabrikats nun, die vielleicht daheim mit der Redaktionsschere ans dieses Machwerk ge¬ wartet und jedenfalls unbesehen und ungeprüft die feige Verdächtigung abge¬ druckt haben, einem solchen „Chor der Unmündigen" sei ein für allemal die Antwort, daß sie samt und sonders, im einzelnen wie im ganzen, gar nicht im¬ stande sind, an die Unabhängigkeit der Mitarbeiter der Grenzboten auch nur heranzureichen. GrenzSoten UI 1904

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/443>, abgerufen am 14.05.2024.