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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gräfin Susanna

Hunderts auch viel Liebliches und Schönes erschaffen: in der bewundernswert feinen
Innendekoration der Schlösser Brustfeder Zeit, in den anmutigen plastischen Gruppen
der bessern Bildhauer und in der zierlichen Welt des Meißner Porzellans liegt nicht
nur verwerfliche Wollust und Weichlichkeit, sondern auch sehr viel natürliche Grazie
und sonnige Heiterkeit.

Und wie wir neben den ernsten Statuen des Phidias auch die lieblichen
Figuren aus Tanagra und die zierlichen Gebilde der alexandrinischen Zeit schön
finden, so müssen wir uns mehr und mehr an den Gedanken gewöhnen, daß nicht
nur die Reste der romanischen, gotischen und der Renaissancekunst strengern Stils
einen Anspruch auf Erhaltung haben, sondern ebenso die graziösen Schöpfungen
des Rokoko, einer Kunstrichtung, die sich gerade in Sachsen am eigentümlichsten
entwickelt hat und hier ein besondres Heimatsrecht beanspruchen darf. Auch sie ist
der vollgiltige Ausdruck eines Zeitalters, und keine moderne Nachahmung ist im¬
stande, sie in der Grazie der Linienführung wirklich zu erreichen. Deshalb mich
das wenige Echte, was die Zerstörungen Friedrichs des Großen und die modernen
Umbauten und Abtragungen aus der Zeit der beiden sächsischen Auguste noch
übrig gelassen haben, sorgfältiger als bisher geschont werden, und es ist mit Freuden
zu begrüßen, daß wenigstens der Festsaal des abgebrochnen Brühlschen Palais in
Dresden als Aula der im Bau begriffnen Kunstgewerbeschule wieder auferstehn soll.
Das berühmte Deckenbild des Saals, der Sturz des Bellerophon von Louis Sil-
vestre, ist zu diesem Zwecke durch Professor Donadini sorgfältig abgehoben worden
und wird gegenwärtig in einem besonders dazu erbauten Hause verwahrt, ebenso
die herrlichen Stuckarbeiten des Saales.




Gräfin Susanna
Henry Harland von(Fortsetzung)

>er frisch rasierte, rosigstrahlende Adrian sah forschend, mit etwas
zweifelnder Miene über die mit Rosen gefüllte Schale hinweg, die
mitten auf dem Frühstückstische stand.

^-M-N^Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt
mir völlig unverständlich, verkündete er schließlich in überlegnem
!Ton, wobei er das Löffelchen in sein erstes El tauchte.

Es ist unerhört, es ist geradezu heimtückisch, dachte Anthony, während er seinen
Toast knubberte, wie sie einen verfolgt, von einem Besitz ergreift. Ich sehe sie
vor mir, ich höre ihre Stimme, ihr Lachen, gerade als ob sie da wäre. Ich kann
sie nicht bannen -- ich kann sie nicht los werden.

Da Adrian auf seine Mitteilung keine Antwort erhielt, verkündigte er noch
einmal: Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt mir völlig
unverständlich!

Natürlich, stimmte Anthony freundlich zu, wobei er dachte: Es wird wohl
daher kommen, daß sie das ist, was man eine ausgesprochne Persönlichkeit
nennt -- was zwar keine schmeichelhafte Charakterisierung ist. Ich glaube, sie hat
magnetische Kraft.

Adrian wählte sich ein zweites El aus und setzte es in seinen Eierbecher.

Du lebst, du bewegst dich, du bist eine Art Wesen, sagte er, indem er das
El köpfte, und lebst allem Anschein nach sogar befriedigt. Aber lasse es dir von


Gräfin Susanna

Hunderts auch viel Liebliches und Schönes erschaffen: in der bewundernswert feinen
Innendekoration der Schlösser Brustfeder Zeit, in den anmutigen plastischen Gruppen
der bessern Bildhauer und in der zierlichen Welt des Meißner Porzellans liegt nicht
nur verwerfliche Wollust und Weichlichkeit, sondern auch sehr viel natürliche Grazie
und sonnige Heiterkeit.

Und wie wir neben den ernsten Statuen des Phidias auch die lieblichen
Figuren aus Tanagra und die zierlichen Gebilde der alexandrinischen Zeit schön
finden, so müssen wir uns mehr und mehr an den Gedanken gewöhnen, daß nicht
nur die Reste der romanischen, gotischen und der Renaissancekunst strengern Stils
einen Anspruch auf Erhaltung haben, sondern ebenso die graziösen Schöpfungen
des Rokoko, einer Kunstrichtung, die sich gerade in Sachsen am eigentümlichsten
entwickelt hat und hier ein besondres Heimatsrecht beanspruchen darf. Auch sie ist
der vollgiltige Ausdruck eines Zeitalters, und keine moderne Nachahmung ist im¬
stande, sie in der Grazie der Linienführung wirklich zu erreichen. Deshalb mich
das wenige Echte, was die Zerstörungen Friedrichs des Großen und die modernen
Umbauten und Abtragungen aus der Zeit der beiden sächsischen Auguste noch
übrig gelassen haben, sorgfältiger als bisher geschont werden, und es ist mit Freuden
zu begrüßen, daß wenigstens der Festsaal des abgebrochnen Brühlschen Palais in
Dresden als Aula der im Bau begriffnen Kunstgewerbeschule wieder auferstehn soll.
Das berühmte Deckenbild des Saals, der Sturz des Bellerophon von Louis Sil-
vestre, ist zu diesem Zwecke durch Professor Donadini sorgfältig abgehoben worden
und wird gegenwärtig in einem besonders dazu erbauten Hause verwahrt, ebenso
die herrlichen Stuckarbeiten des Saales.




Gräfin Susanna
Henry Harland von(Fortsetzung)

>er frisch rasierte, rosigstrahlende Adrian sah forschend, mit etwas
zweifelnder Miene über die mit Rosen gefüllte Schale hinweg, die
mitten auf dem Frühstückstische stand.

^-M-N^Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt
mir völlig unverständlich, verkündete er schließlich in überlegnem
!Ton, wobei er das Löffelchen in sein erstes El tauchte.

Es ist unerhört, es ist geradezu heimtückisch, dachte Anthony, während er seinen
Toast knubberte, wie sie einen verfolgt, von einem Besitz ergreift. Ich sehe sie
vor mir, ich höre ihre Stimme, ihr Lachen, gerade als ob sie da wäre. Ich kann
sie nicht bannen — ich kann sie nicht los werden.

Da Adrian auf seine Mitteilung keine Antwort erhielt, verkündigte er noch
einmal: Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt mir völlig
unverständlich!

Natürlich, stimmte Anthony freundlich zu, wobei er dachte: Es wird wohl
daher kommen, daß sie das ist, was man eine ausgesprochne Persönlichkeit
nennt — was zwar keine schmeichelhafte Charakterisierung ist. Ich glaube, sie hat
magnetische Kraft.

Adrian wählte sich ein zweites El aus und setzte es in seinen Eierbecher.

Du lebst, du bewegst dich, du bist eine Art Wesen, sagte er, indem er das
El köpfte, und lebst allem Anschein nach sogar befriedigt. Aber lasse es dir von


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[0477] Gräfin Susanna Hunderts auch viel Liebliches und Schönes erschaffen: in der bewundernswert feinen Innendekoration der Schlösser Brustfeder Zeit, in den anmutigen plastischen Gruppen der bessern Bildhauer und in der zierlichen Welt des Meißner Porzellans liegt nicht nur verwerfliche Wollust und Weichlichkeit, sondern auch sehr viel natürliche Grazie und sonnige Heiterkeit. Und wie wir neben den ernsten Statuen des Phidias auch die lieblichen Figuren aus Tanagra und die zierlichen Gebilde der alexandrinischen Zeit schön finden, so müssen wir uns mehr und mehr an den Gedanken gewöhnen, daß nicht nur die Reste der romanischen, gotischen und der Renaissancekunst strengern Stils einen Anspruch auf Erhaltung haben, sondern ebenso die graziösen Schöpfungen des Rokoko, einer Kunstrichtung, die sich gerade in Sachsen am eigentümlichsten entwickelt hat und hier ein besondres Heimatsrecht beanspruchen darf. Auch sie ist der vollgiltige Ausdruck eines Zeitalters, und keine moderne Nachahmung ist im¬ stande, sie in der Grazie der Linienführung wirklich zu erreichen. Deshalb mich das wenige Echte, was die Zerstörungen Friedrichs des Großen und die modernen Umbauten und Abtragungen aus der Zeit der beiden sächsischen Auguste noch übrig gelassen haben, sorgfältiger als bisher geschont werden, und es ist mit Freuden zu begrüßen, daß wenigstens der Festsaal des abgebrochnen Brühlschen Palais in Dresden als Aula der im Bau begriffnen Kunstgewerbeschule wieder auferstehn soll. Das berühmte Deckenbild des Saals, der Sturz des Bellerophon von Louis Sil- vestre, ist zu diesem Zwecke durch Professor Donadini sorgfältig abgehoben worden und wird gegenwärtig in einem besonders dazu erbauten Hause verwahrt, ebenso die herrlichen Stuckarbeiten des Saales. Gräfin Susanna Henry Harland von(Fortsetzung) >er frisch rasierte, rosigstrahlende Adrian sah forschend, mit etwas zweifelnder Miene über die mit Rosen gefüllte Schale hinweg, die mitten auf dem Frühstückstische stand. ^-M-N^Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt mir völlig unverständlich, verkündete er schließlich in überlegnem !Ton, wobei er das Löffelchen in sein erstes El tauchte. Es ist unerhört, es ist geradezu heimtückisch, dachte Anthony, während er seinen Toast knubberte, wie sie einen verfolgt, von einem Besitz ergreift. Ich sehe sie vor mir, ich höre ihre Stimme, ihr Lachen, gerade als ob sie da wäre. Ich kann sie nicht bannen — ich kann sie nicht los werden. Da Adrian auf seine Mitteilung keine Antwort erhielt, verkündigte er noch einmal: Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt mir völlig unverständlich! Natürlich, stimmte Anthony freundlich zu, wobei er dachte: Es wird wohl daher kommen, daß sie das ist, was man eine ausgesprochne Persönlichkeit nennt — was zwar keine schmeichelhafte Charakterisierung ist. Ich glaube, sie hat magnetische Kraft. Adrian wählte sich ein zweites El aus und setzte es in seinen Eierbecher. Du lebst, du bewegst dich, du bist eine Art Wesen, sagte er, indem er das El köpfte, und lebst allem Anschein nach sogar befriedigt. Aber lasse es dir von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/477>, abgerufen am 28.04.2024.