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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

gut seiner Familie Gangloffsömmern, zwei Stunden nördlich von dem uralten
thüringischen Tennstedt, auf dem er im Jahre 1700 geboren war. Zum Besitz
seiner Familie in Sachsen muß man aber auch das kostbare Rittergut und Schloß
Martinskirchen bei Mühlberg an der Elbe rechnen, das sein Bruder Graf Friedrich
Wilhelm Brühl. Landeshauptmann der Niederlausitz, 1739 kaufte und 1754 bis 1756
mit einem Aufwands von mehr als 160000 Talern erbaute. Der große Festsaal
ist in diesem Schlosse nicht rechteckig, sondern eirund, er geht durch zwei Stockwerke,
und die Wände sind mit marmorartigen" mattgeschliffnem Gips bekleidet, Simse,
Vorsprünge und andre Verzierungen aber von echtem Marmor.

Fragt man nach einem Plane, den Brühl bei seinen Güterkäufen befolgte, so scheint
ihm die vorteilhafte Kapitalanlage und der wirtschaftliche Nutzen erst an zweiter Stelle
gestanden zu haben; vor allem wünschte er sie als Absteigequartier bei seinen Reisen
zu benutzen. Nach der Lage ordnen sie sich zunächst in drei Gruppen: die nieder-
lausitzische, bestehend aus deu Herrschaften Forst und Pforten, für Brühl von der
größten Wichtigkeit als Absteigequartier auf der Reise nach Polen; auch den König,
den er von der Außenwelt möglichst isolierte, ließ er regelmäßig hier übernachten;
zweitens die kursächsische Gruppe, bestehend aus Grochwitz, Rahntsdorf, Bollens-
dorf, passende Quartiere auf der Reise nach Berlin oder Hamburg; drittens die
meißnisch-oberlausitzer Gruppe: Seyffersdorf, Putzkau, Gansig, Oberlichtenau und
Lindenau, die teils als Villeggiatur von Dresden ans, teils als Quartier auf der
Reise nach Pforten benutzt werden sollten. Gangloffsömmern wurde als Stamm-
gut der Familie festgehalten, Nischwitz bet Würzen aber diente als Quartier, wenn
Brühl und die Seinen, wie fast alljährlich zweimal, zur Leipziger Messe fuhren.
So gleicht also die Gesamtheit der Güter Brühls etwa dem Villenbesitz eines
römischen Großen zu Cäsars oder Augustus Zeit. Wie der vornehme Römer nicht
gern in einem Gasthause abstieg, sondern in der ländlichen Umgebung Roms, an
der ladinischen Küste, in den Sabiner- oder Volskerbergen und vor allem am Golf
von Neapel je ein Landhaus besaß, so auch der sächsische Sejcm in allen Teilen
des Staates, die er überhaupt besuchte.

Der Grundzug seines Wesens war höfische Geschmeidigkeit und frivoler Leicht¬
sinn. Eine strahlende Heiterkeit, unverwüstliche Genußfreudigkeit und Sinnlichkeit
sprechen auch aus dem in Kupfer gestochnen Bilde, das die meisten illustrierten
Geschichtswerke wiedergeben. Ein großes Ölgemälde im Besitze der Grafen Witz-
leben-Altdöbern, ein andres im Schlosse zu Seyffersdorf und ein Pastellbild im
Besitze des Barons von Bischoffshausen auf Bollensdorf zeigen ihn in der Rüstung
des sächsischen Generals mit etwas älteren und ernsteren Gesichtsausdruck. Gute Bilder
Brühls sind überhaupt selten; die Dresdner Galerie hat merkwürdigerweise nicht ein
einziges Bild von ihm. Keine Kunst der Vertuschung vermag aus dem Premierminister
Augusts des Dritten, der sogar die deponierten Gelder der Witwen und Waisen an¬
griff, der in Sachsen Protestant war, sich aber in Polen für einen Katholiken ausgab,
einen Ehrenmann zu machen, aber einen Teil der Schuld trägt natürlich das Zeit¬
alter und die Umgebung: das ganze Leben war den meisten dieser sächsischen Hofleute
aus der Schule Augusts des Starken ein Fest, und sie sahen es als eine gott¬
gewollte Ordnung an, daß das übrige Volk im Schweiße seines Angesichts schaffe
und barbe, damit sie wie glänzende Falter im ewigen Sonnenschein strahlend ein¬
herschwebten. Auch die bildenden Künste schienen zunächst dazu bestimmt zu sein,
die Szenerie des großen Sommerfestes zu weben und zu wirken. Und in der
Tat, wenn uns irgend etwas mit dem gewissenlosen Regisseur dieser leichtfertigen
Feerie aussöhnen könnte, so wäre es die Fülle des Schönen, das mittelbar durch
ihn und seine Gehilfen geschaffen worden ist, dank seiner Bautätigkeit, die der
graziösen Kunst jener Tage so reichliche Aufträge erteilte. Wohl hatte Johann
Joachim Winckelmann ein Recht, die Nachtreter des pomphaften und gespreizten
Bernini zur schlichten Einfalt und stillen Größe der ältern hellenischen Kunst zurück¬
zurufen; aber ueben vielem Überladnen hat doch die Kunst des achtzehnten Jahr-


Wanderungen in der Niederlausitz

gut seiner Familie Gangloffsömmern, zwei Stunden nördlich von dem uralten
thüringischen Tennstedt, auf dem er im Jahre 1700 geboren war. Zum Besitz
seiner Familie in Sachsen muß man aber auch das kostbare Rittergut und Schloß
Martinskirchen bei Mühlberg an der Elbe rechnen, das sein Bruder Graf Friedrich
Wilhelm Brühl. Landeshauptmann der Niederlausitz, 1739 kaufte und 1754 bis 1756
mit einem Aufwands von mehr als 160000 Talern erbaute. Der große Festsaal
ist in diesem Schlosse nicht rechteckig, sondern eirund, er geht durch zwei Stockwerke,
und die Wände sind mit marmorartigen« mattgeschliffnem Gips bekleidet, Simse,
Vorsprünge und andre Verzierungen aber von echtem Marmor.

Fragt man nach einem Plane, den Brühl bei seinen Güterkäufen befolgte, so scheint
ihm die vorteilhafte Kapitalanlage und der wirtschaftliche Nutzen erst an zweiter Stelle
gestanden zu haben; vor allem wünschte er sie als Absteigequartier bei seinen Reisen
zu benutzen. Nach der Lage ordnen sie sich zunächst in drei Gruppen: die nieder-
lausitzische, bestehend aus deu Herrschaften Forst und Pforten, für Brühl von der
größten Wichtigkeit als Absteigequartier auf der Reise nach Polen; auch den König,
den er von der Außenwelt möglichst isolierte, ließ er regelmäßig hier übernachten;
zweitens die kursächsische Gruppe, bestehend aus Grochwitz, Rahntsdorf, Bollens-
dorf, passende Quartiere auf der Reise nach Berlin oder Hamburg; drittens die
meißnisch-oberlausitzer Gruppe: Seyffersdorf, Putzkau, Gansig, Oberlichtenau und
Lindenau, die teils als Villeggiatur von Dresden ans, teils als Quartier auf der
Reise nach Pforten benutzt werden sollten. Gangloffsömmern wurde als Stamm-
gut der Familie festgehalten, Nischwitz bet Würzen aber diente als Quartier, wenn
Brühl und die Seinen, wie fast alljährlich zweimal, zur Leipziger Messe fuhren.
So gleicht also die Gesamtheit der Güter Brühls etwa dem Villenbesitz eines
römischen Großen zu Cäsars oder Augustus Zeit. Wie der vornehme Römer nicht
gern in einem Gasthause abstieg, sondern in der ländlichen Umgebung Roms, an
der ladinischen Küste, in den Sabiner- oder Volskerbergen und vor allem am Golf
von Neapel je ein Landhaus besaß, so auch der sächsische Sejcm in allen Teilen
des Staates, die er überhaupt besuchte.

Der Grundzug seines Wesens war höfische Geschmeidigkeit und frivoler Leicht¬
sinn. Eine strahlende Heiterkeit, unverwüstliche Genußfreudigkeit und Sinnlichkeit
sprechen auch aus dem in Kupfer gestochnen Bilde, das die meisten illustrierten
Geschichtswerke wiedergeben. Ein großes Ölgemälde im Besitze der Grafen Witz-
leben-Altdöbern, ein andres im Schlosse zu Seyffersdorf und ein Pastellbild im
Besitze des Barons von Bischoffshausen auf Bollensdorf zeigen ihn in der Rüstung
des sächsischen Generals mit etwas älteren und ernsteren Gesichtsausdruck. Gute Bilder
Brühls sind überhaupt selten; die Dresdner Galerie hat merkwürdigerweise nicht ein
einziges Bild von ihm. Keine Kunst der Vertuschung vermag aus dem Premierminister
Augusts des Dritten, der sogar die deponierten Gelder der Witwen und Waisen an¬
griff, der in Sachsen Protestant war, sich aber in Polen für einen Katholiken ausgab,
einen Ehrenmann zu machen, aber einen Teil der Schuld trägt natürlich das Zeit¬
alter und die Umgebung: das ganze Leben war den meisten dieser sächsischen Hofleute
aus der Schule Augusts des Starken ein Fest, und sie sahen es als eine gott¬
gewollte Ordnung an, daß das übrige Volk im Schweiße seines Angesichts schaffe
und barbe, damit sie wie glänzende Falter im ewigen Sonnenschein strahlend ein¬
herschwebten. Auch die bildenden Künste schienen zunächst dazu bestimmt zu sein,
die Szenerie des großen Sommerfestes zu weben und zu wirken. Und in der
Tat, wenn uns irgend etwas mit dem gewissenlosen Regisseur dieser leichtfertigen
Feerie aussöhnen könnte, so wäre es die Fülle des Schönen, das mittelbar durch
ihn und seine Gehilfen geschaffen worden ist, dank seiner Bautätigkeit, die der
graziösen Kunst jener Tage so reichliche Aufträge erteilte. Wohl hatte Johann
Joachim Winckelmann ein Recht, die Nachtreter des pomphaften und gespreizten
Bernini zur schlichten Einfalt und stillen Größe der ältern hellenischen Kunst zurück¬
zurufen; aber ueben vielem Überladnen hat doch die Kunst des achtzehnten Jahr-


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[0476] Wanderungen in der Niederlausitz gut seiner Familie Gangloffsömmern, zwei Stunden nördlich von dem uralten thüringischen Tennstedt, auf dem er im Jahre 1700 geboren war. Zum Besitz seiner Familie in Sachsen muß man aber auch das kostbare Rittergut und Schloß Martinskirchen bei Mühlberg an der Elbe rechnen, das sein Bruder Graf Friedrich Wilhelm Brühl. Landeshauptmann der Niederlausitz, 1739 kaufte und 1754 bis 1756 mit einem Aufwands von mehr als 160000 Talern erbaute. Der große Festsaal ist in diesem Schlosse nicht rechteckig, sondern eirund, er geht durch zwei Stockwerke, und die Wände sind mit marmorartigen« mattgeschliffnem Gips bekleidet, Simse, Vorsprünge und andre Verzierungen aber von echtem Marmor. Fragt man nach einem Plane, den Brühl bei seinen Güterkäufen befolgte, so scheint ihm die vorteilhafte Kapitalanlage und der wirtschaftliche Nutzen erst an zweiter Stelle gestanden zu haben; vor allem wünschte er sie als Absteigequartier bei seinen Reisen zu benutzen. Nach der Lage ordnen sie sich zunächst in drei Gruppen: die nieder- lausitzische, bestehend aus deu Herrschaften Forst und Pforten, für Brühl von der größten Wichtigkeit als Absteigequartier auf der Reise nach Polen; auch den König, den er von der Außenwelt möglichst isolierte, ließ er regelmäßig hier übernachten; zweitens die kursächsische Gruppe, bestehend aus Grochwitz, Rahntsdorf, Bollens- dorf, passende Quartiere auf der Reise nach Berlin oder Hamburg; drittens die meißnisch-oberlausitzer Gruppe: Seyffersdorf, Putzkau, Gansig, Oberlichtenau und Lindenau, die teils als Villeggiatur von Dresden ans, teils als Quartier auf der Reise nach Pforten benutzt werden sollten. Gangloffsömmern wurde als Stamm- gut der Familie festgehalten, Nischwitz bet Würzen aber diente als Quartier, wenn Brühl und die Seinen, wie fast alljährlich zweimal, zur Leipziger Messe fuhren. So gleicht also die Gesamtheit der Güter Brühls etwa dem Villenbesitz eines römischen Großen zu Cäsars oder Augustus Zeit. Wie der vornehme Römer nicht gern in einem Gasthause abstieg, sondern in der ländlichen Umgebung Roms, an der ladinischen Küste, in den Sabiner- oder Volskerbergen und vor allem am Golf von Neapel je ein Landhaus besaß, so auch der sächsische Sejcm in allen Teilen des Staates, die er überhaupt besuchte. Der Grundzug seines Wesens war höfische Geschmeidigkeit und frivoler Leicht¬ sinn. Eine strahlende Heiterkeit, unverwüstliche Genußfreudigkeit und Sinnlichkeit sprechen auch aus dem in Kupfer gestochnen Bilde, das die meisten illustrierten Geschichtswerke wiedergeben. Ein großes Ölgemälde im Besitze der Grafen Witz- leben-Altdöbern, ein andres im Schlosse zu Seyffersdorf und ein Pastellbild im Besitze des Barons von Bischoffshausen auf Bollensdorf zeigen ihn in der Rüstung des sächsischen Generals mit etwas älteren und ernsteren Gesichtsausdruck. Gute Bilder Brühls sind überhaupt selten; die Dresdner Galerie hat merkwürdigerweise nicht ein einziges Bild von ihm. Keine Kunst der Vertuschung vermag aus dem Premierminister Augusts des Dritten, der sogar die deponierten Gelder der Witwen und Waisen an¬ griff, der in Sachsen Protestant war, sich aber in Polen für einen Katholiken ausgab, einen Ehrenmann zu machen, aber einen Teil der Schuld trägt natürlich das Zeit¬ alter und die Umgebung: das ganze Leben war den meisten dieser sächsischen Hofleute aus der Schule Augusts des Starken ein Fest, und sie sahen es als eine gott¬ gewollte Ordnung an, daß das übrige Volk im Schweiße seines Angesichts schaffe und barbe, damit sie wie glänzende Falter im ewigen Sonnenschein strahlend ein¬ herschwebten. Auch die bildenden Künste schienen zunächst dazu bestimmt zu sein, die Szenerie des großen Sommerfestes zu weben und zu wirken. Und in der Tat, wenn uns irgend etwas mit dem gewissenlosen Regisseur dieser leichtfertigen Feerie aussöhnen könnte, so wäre es die Fülle des Schönen, das mittelbar durch ihn und seine Gehilfen geschaffen worden ist, dank seiner Bautätigkeit, die der graziösen Kunst jener Tage so reichliche Aufträge erteilte. Wohl hatte Johann Joachim Winckelmann ein Recht, die Nachtreter des pomphaften und gespreizten Bernini zur schlichten Einfalt und stillen Größe der ältern hellenischen Kunst zurück¬ zurufen; aber ueben vielem Überladnen hat doch die Kunst des achtzehnten Jahr-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/476>, abgerufen am 12.05.2024.