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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Umänderungen in der Niederlausitz

ist. Es gab doch auch um 1520 schon Lauten- und Clavichordienmacher in der
Stadt, während der Rat z. B. zwischen 1510 und 1530 alle neuen Blnsinstru-
mente für die Stadtpfeifer aus Nürnberg bezog und 1555 einen großen Posten
aus Breslau.

Alles in allem erhalten wir den Eindruck: in Leipzig, einer Knnfmanns-
und Studeutenstadt, deren Wohlstand und Bildung sich günstig entwickelten,
dem ersehnten Mittelpunkt tüchtiger junger Kräfte namentlich aus dein lieder¬
treuen Thüringen, dem singlustigeu Vogelart und der böhmisch-sächsischen
Musikantenheimat des Erzgebirges, war im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts
-- von Kirchenmusik ganz abgesehen -- ein zwar nicht durch bedeutende heimische
Meister eigentümlich ausgeprägtes, aber doch fröhliches musikalisches Treiben
im Schwange.




Wanderungen in der Niederlausitz
Otto Eduard Schmidt von7, Dobrilugk

M
M^.-^seher die zahllosen Kiefernwurzeln, die wie verhärtete Schlangen quer
über dem graufarbigen Weg lagen, schlich müde und matt ein Rö߬
lein, das einen Reiter trug. Mißmut lagerte auf den offnen, edeln
Zügen des Mannes, und ungeduldig durchforschten seine blauen
Augen den endlosen Wald, worin er seit Mittag dahinritt, nach deu
Spuren einer Ansiedlung. Ein tüchtiges Schwert an der Seite
kündete den Mann ritterlichen Standes, die Laute auf dem Rücken den fahrenden
Sänger. Es war kein Geringerer als Herr Walther von der Vogelweide, der im
Herbst des Jahres 1212 im Dienst des Markgrafen Dietrich von Meißen nach
dem Lausitzer Kloster Dobrilugk ritt, dem Abt eine geheime Botschaft zu bringen.
Endlich beendete der dünne Ton eines Glöckleins, das zur Vesper läutete, die Un¬
geduld des Reisenden; der Wald öffnete sich, und inmitten einer weiten, grünen
Wiesenfläche, auf der die Rinder weideten, lag umgeben von hölzernen Ställen und
Scheuern ein romanisches Kirchlein und ein bescheidnes Wohnhaus der Klosterleute.
Noch war die ganze Anlage unfertig; die weißröcktgen Zisterzienser, die herbeiliefen,
den Fremdling zu sehen, waren bestäubt wie Maurer und Ackersleute, die von
hartem Tagewerke heimkehren. Die Abendkost um Tisch des Abts war derb und
schlicht, der Wein verriet seinen nordischen Ursprung, die Nachtruhe auf härtern
Lager war durch das Heulen des Wolfs und das Rauschen des Regens getrübt,
die Rückreise am nächsten Morgen durch Nebel und grundlose Wege.

Als Herr Walther im Winter darauf im kalten Turmzimmer der Burg zu
Meißen den Schnee fallen sah und auf den gegenüberliegenden Feldern des Lehm¬
berges den heisern Schrei der Nebelkrähe vernahm, als er sich fröstelnd ins Stroh
seines Bettes verkroch, und ein inbrünstiges Lied der Sehnsucht nach dem Früh¬
linge von seinen Lippen floß, da trat ihm als das kläglichste, was er auf seinen
Reisen gesehen hatte, Dobrilugk vor die Seele, und so entstand die Strophe:


Umänderungen in der Niederlausitz

ist. Es gab doch auch um 1520 schon Lauten- und Clavichordienmacher in der
Stadt, während der Rat z. B. zwischen 1510 und 1530 alle neuen Blnsinstru-
mente für die Stadtpfeifer aus Nürnberg bezog und 1555 einen großen Posten
aus Breslau.

Alles in allem erhalten wir den Eindruck: in Leipzig, einer Knnfmanns-
und Studeutenstadt, deren Wohlstand und Bildung sich günstig entwickelten,
dem ersehnten Mittelpunkt tüchtiger junger Kräfte namentlich aus dein lieder¬
treuen Thüringen, dem singlustigeu Vogelart und der böhmisch-sächsischen
Musikantenheimat des Erzgebirges, war im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts
— von Kirchenmusik ganz abgesehen — ein zwar nicht durch bedeutende heimische
Meister eigentümlich ausgeprägtes, aber doch fröhliches musikalisches Treiben
im Schwange.




Wanderungen in der Niederlausitz
Otto Eduard Schmidt von7, Dobrilugk

M
M^.-^seher die zahllosen Kiefernwurzeln, die wie verhärtete Schlangen quer
über dem graufarbigen Weg lagen, schlich müde und matt ein Rö߬
lein, das einen Reiter trug. Mißmut lagerte auf den offnen, edeln
Zügen des Mannes, und ungeduldig durchforschten seine blauen
Augen den endlosen Wald, worin er seit Mittag dahinritt, nach deu
Spuren einer Ansiedlung. Ein tüchtiges Schwert an der Seite
kündete den Mann ritterlichen Standes, die Laute auf dem Rücken den fahrenden
Sänger. Es war kein Geringerer als Herr Walther von der Vogelweide, der im
Herbst des Jahres 1212 im Dienst des Markgrafen Dietrich von Meißen nach
dem Lausitzer Kloster Dobrilugk ritt, dem Abt eine geheime Botschaft zu bringen.
Endlich beendete der dünne Ton eines Glöckleins, das zur Vesper läutete, die Un¬
geduld des Reisenden; der Wald öffnete sich, und inmitten einer weiten, grünen
Wiesenfläche, auf der die Rinder weideten, lag umgeben von hölzernen Ställen und
Scheuern ein romanisches Kirchlein und ein bescheidnes Wohnhaus der Klosterleute.
Noch war die ganze Anlage unfertig; die weißröcktgen Zisterzienser, die herbeiliefen,
den Fremdling zu sehen, waren bestäubt wie Maurer und Ackersleute, die von
hartem Tagewerke heimkehren. Die Abendkost um Tisch des Abts war derb und
schlicht, der Wein verriet seinen nordischen Ursprung, die Nachtruhe auf härtern
Lager war durch das Heulen des Wolfs und das Rauschen des Regens getrübt,
die Rückreise am nächsten Morgen durch Nebel und grundlose Wege.

Als Herr Walther im Winter darauf im kalten Turmzimmer der Burg zu
Meißen den Schnee fallen sah und auf den gegenüberliegenden Feldern des Lehm¬
berges den heisern Schrei der Nebelkrähe vernahm, als er sich fröstelnd ins Stroh
seines Bettes verkroch, und ein inbrünstiges Lied der Sehnsucht nach dem Früh¬
linge von seinen Lippen floß, da trat ihm als das kläglichste, was er auf seinen
Reisen gesehen hatte, Dobrilugk vor die Seele, und so entstand die Strophe:


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[0593] Umänderungen in der Niederlausitz ist. Es gab doch auch um 1520 schon Lauten- und Clavichordienmacher in der Stadt, während der Rat z. B. zwischen 1510 und 1530 alle neuen Blnsinstru- mente für die Stadtpfeifer aus Nürnberg bezog und 1555 einen großen Posten aus Breslau. Alles in allem erhalten wir den Eindruck: in Leipzig, einer Knnfmanns- und Studeutenstadt, deren Wohlstand und Bildung sich günstig entwickelten, dem ersehnten Mittelpunkt tüchtiger junger Kräfte namentlich aus dein lieder¬ treuen Thüringen, dem singlustigeu Vogelart und der böhmisch-sächsischen Musikantenheimat des Erzgebirges, war im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts — von Kirchenmusik ganz abgesehen — ein zwar nicht durch bedeutende heimische Meister eigentümlich ausgeprägtes, aber doch fröhliches musikalisches Treiben im Schwange. Wanderungen in der Niederlausitz Otto Eduard Schmidt von7, Dobrilugk M M^.-^seher die zahllosen Kiefernwurzeln, die wie verhärtete Schlangen quer über dem graufarbigen Weg lagen, schlich müde und matt ein Rö߬ lein, das einen Reiter trug. Mißmut lagerte auf den offnen, edeln Zügen des Mannes, und ungeduldig durchforschten seine blauen Augen den endlosen Wald, worin er seit Mittag dahinritt, nach deu Spuren einer Ansiedlung. Ein tüchtiges Schwert an der Seite kündete den Mann ritterlichen Standes, die Laute auf dem Rücken den fahrenden Sänger. Es war kein Geringerer als Herr Walther von der Vogelweide, der im Herbst des Jahres 1212 im Dienst des Markgrafen Dietrich von Meißen nach dem Lausitzer Kloster Dobrilugk ritt, dem Abt eine geheime Botschaft zu bringen. Endlich beendete der dünne Ton eines Glöckleins, das zur Vesper läutete, die Un¬ geduld des Reisenden; der Wald öffnete sich, und inmitten einer weiten, grünen Wiesenfläche, auf der die Rinder weideten, lag umgeben von hölzernen Ställen und Scheuern ein romanisches Kirchlein und ein bescheidnes Wohnhaus der Klosterleute. Noch war die ganze Anlage unfertig; die weißröcktgen Zisterzienser, die herbeiliefen, den Fremdling zu sehen, waren bestäubt wie Maurer und Ackersleute, die von hartem Tagewerke heimkehren. Die Abendkost um Tisch des Abts war derb und schlicht, der Wein verriet seinen nordischen Ursprung, die Nachtruhe auf härtern Lager war durch das Heulen des Wolfs und das Rauschen des Regens getrübt, die Rückreise am nächsten Morgen durch Nebel und grundlose Wege. Als Herr Walther im Winter darauf im kalten Turmzimmer der Burg zu Meißen den Schnee fallen sah und auf den gegenüberliegenden Feldern des Lehm¬ berges den heisern Schrei der Nebelkrähe vernahm, als er sich fröstelnd ins Stroh seines Bettes verkroch, und ein inbrünstiges Lied der Sehnsucht nach dem Früh¬ linge von seinen Lippen floß, da trat ihm als das kläglichste, was er auf seinen Reisen gesehen hatte, Dobrilugk vor die Seele, und so entstand die Strophe:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/593>, abgerufen am 28.04.2024.