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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gräfin Susanna

Ursprünglich bestimmt, den Tromderosieg des Herzogs von Nngouleme zu ver¬
herrlichen, wurde er nach dem Ende der bourbonischen Herrlichkeit im wesentlichen
den Siegen Napoleons des Ersten geweiht. Während des zweiten Kaiserreichs
trug er eine Widmung an den dritten Napoleon und heute wieder die Inschrift:


Der Republik das dankbare Marseille.

Treue Pflege der Reliquien einer vergangnen Zeit darf man also bei diesen
Menschen nicht voraussetzen: mit dem Christentum haben sie die Erinnerung
an das Heidentum, die an das Kaisertum mit der Republik getilgt.

Aber es ist ihnen nur äußerlich gelungen; die griechische Vergangenheit
ist zu stark, als daß sie nicht immer wieder ans dem Dunkel emporstiege. So
ist das größte Werk, das im vorigen Jahrhundert von der Stadt Marseille
geschaffen worden ist, ein wenn auch unbeabsichtigtes, so doch unbestreitbares
Denkmal der ersten griechischen Ansiedler aus Photaa. Inmitten der beiden
großen Palastmuseen von Longchamps, auf derselben Höhe, zu der die wasser¬
holenden Frauen auf Puvis de Chavcmnes Bild emporwandeln, erhebt sich,
durch stolze Säulenhallen mit ihnen verbunden, ein hochragendes Ehrentor.
Es ist der Eintrittsbau der gewaltigen Wasserleitung, die auf fast hundert
Kilometer Entfernung das Alpenwasser der Durance nach Marseille holt. Durch
den Bogen zieht zwischen zwei Frauengestalten, die durch ihre Attribute als
Wein und Weizen kenntlich sind, die Göttin ein, auf einem von vier Stieren
gezognen Triumphwagen. Diese Stiere erinnern den Kundigen sogleich an
einen Stier auf der Kehrseite alter Mcissalischer Münzen. Noch redet die Be¬
wegung von dem angebornen Ungestüm des Tieres; aber seine Stärke ist ge¬
bändigt, besiegt fällt es ins Vorderknie: ein Symbol der Wasserkraft, über
die der Mensch Herr geworden ist. Lebhafter aber noch denken wir beim
Anblick des andern Denkmals daran, daß die Phoküer als wertvollstes Geschenk
zwei Kulturgewächse in die neue Heimat mitbrachten, zwei Gaben, die noch
heute Frankreichs Reichtum und zum wesentlichen Teile auch Marseilles Handel
ausmachen: den Wein und den Weizen.




Gräfin Husanna
Henry Harland von (Fortsetzung)

usanna, die gegen den rauhen Stamm ihrer Ulme gelehnt saß, sah
die lange schattige Allee hinunter und schien nachzudenken. Hier und
da warf die Sonne, wo sie in einem deutlich durch die Dämmerung
gleitenden Lichtstrahl einen Weg durch das Blättergewirr fand, goldige
Flecken auf den braunen Boden. In ihrem weißen Kleid, mit dem
ihre Stirn lose umgebenden Lockengewirr, einer leichten Röte auf
ihren Wangen, mit den nachdenklichen Augen -- halb nachdenklich und halb lächelnd,
>ah sie sehr lieblich, sehr anziehend, sehr warm und verheißend weiblich, sehr liebens-
und begehrenswert aus, und es ist kein Wunder, daß Anthony, dessen Augen auf
ehr ruhten und sie verzehrten, eine heftige Bewegung in seinem Herzen empfand.


Gräfin Susanna

Ursprünglich bestimmt, den Tromderosieg des Herzogs von Nngouleme zu ver¬
herrlichen, wurde er nach dem Ende der bourbonischen Herrlichkeit im wesentlichen
den Siegen Napoleons des Ersten geweiht. Während des zweiten Kaiserreichs
trug er eine Widmung an den dritten Napoleon und heute wieder die Inschrift:


Der Republik das dankbare Marseille.

Treue Pflege der Reliquien einer vergangnen Zeit darf man also bei diesen
Menschen nicht voraussetzen: mit dem Christentum haben sie die Erinnerung
an das Heidentum, die an das Kaisertum mit der Republik getilgt.

Aber es ist ihnen nur äußerlich gelungen; die griechische Vergangenheit
ist zu stark, als daß sie nicht immer wieder ans dem Dunkel emporstiege. So
ist das größte Werk, das im vorigen Jahrhundert von der Stadt Marseille
geschaffen worden ist, ein wenn auch unbeabsichtigtes, so doch unbestreitbares
Denkmal der ersten griechischen Ansiedler aus Photaa. Inmitten der beiden
großen Palastmuseen von Longchamps, auf derselben Höhe, zu der die wasser¬
holenden Frauen auf Puvis de Chavcmnes Bild emporwandeln, erhebt sich,
durch stolze Säulenhallen mit ihnen verbunden, ein hochragendes Ehrentor.
Es ist der Eintrittsbau der gewaltigen Wasserleitung, die auf fast hundert
Kilometer Entfernung das Alpenwasser der Durance nach Marseille holt. Durch
den Bogen zieht zwischen zwei Frauengestalten, die durch ihre Attribute als
Wein und Weizen kenntlich sind, die Göttin ein, auf einem von vier Stieren
gezognen Triumphwagen. Diese Stiere erinnern den Kundigen sogleich an
einen Stier auf der Kehrseite alter Mcissalischer Münzen. Noch redet die Be¬
wegung von dem angebornen Ungestüm des Tieres; aber seine Stärke ist ge¬
bändigt, besiegt fällt es ins Vorderknie: ein Symbol der Wasserkraft, über
die der Mensch Herr geworden ist. Lebhafter aber noch denken wir beim
Anblick des andern Denkmals daran, daß die Phoküer als wertvollstes Geschenk
zwei Kulturgewächse in die neue Heimat mitbrachten, zwei Gaben, die noch
heute Frankreichs Reichtum und zum wesentlichen Teile auch Marseilles Handel
ausmachen: den Wein und den Weizen.




Gräfin Husanna
Henry Harland von (Fortsetzung)

usanna, die gegen den rauhen Stamm ihrer Ulme gelehnt saß, sah
die lange schattige Allee hinunter und schien nachzudenken. Hier und
da warf die Sonne, wo sie in einem deutlich durch die Dämmerung
gleitenden Lichtstrahl einen Weg durch das Blättergewirr fand, goldige
Flecken auf den braunen Boden. In ihrem weißen Kleid, mit dem
ihre Stirn lose umgebenden Lockengewirr, einer leichten Röte auf
ihren Wangen, mit den nachdenklichen Augen — halb nachdenklich und halb lächelnd,
>ah sie sehr lieblich, sehr anziehend, sehr warm und verheißend weiblich, sehr liebens-
und begehrenswert aus, und es ist kein Wunder, daß Anthony, dessen Augen auf
ehr ruhten und sie verzehrten, eine heftige Bewegung in seinem Herzen empfand.


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[0660] Gräfin Susanna Ursprünglich bestimmt, den Tromderosieg des Herzogs von Nngouleme zu ver¬ herrlichen, wurde er nach dem Ende der bourbonischen Herrlichkeit im wesentlichen den Siegen Napoleons des Ersten geweiht. Während des zweiten Kaiserreichs trug er eine Widmung an den dritten Napoleon und heute wieder die Inschrift: Der Republik das dankbare Marseille. Treue Pflege der Reliquien einer vergangnen Zeit darf man also bei diesen Menschen nicht voraussetzen: mit dem Christentum haben sie die Erinnerung an das Heidentum, die an das Kaisertum mit der Republik getilgt. Aber es ist ihnen nur äußerlich gelungen; die griechische Vergangenheit ist zu stark, als daß sie nicht immer wieder ans dem Dunkel emporstiege. So ist das größte Werk, das im vorigen Jahrhundert von der Stadt Marseille geschaffen worden ist, ein wenn auch unbeabsichtigtes, so doch unbestreitbares Denkmal der ersten griechischen Ansiedler aus Photaa. Inmitten der beiden großen Palastmuseen von Longchamps, auf derselben Höhe, zu der die wasser¬ holenden Frauen auf Puvis de Chavcmnes Bild emporwandeln, erhebt sich, durch stolze Säulenhallen mit ihnen verbunden, ein hochragendes Ehrentor. Es ist der Eintrittsbau der gewaltigen Wasserleitung, die auf fast hundert Kilometer Entfernung das Alpenwasser der Durance nach Marseille holt. Durch den Bogen zieht zwischen zwei Frauengestalten, die durch ihre Attribute als Wein und Weizen kenntlich sind, die Göttin ein, auf einem von vier Stieren gezognen Triumphwagen. Diese Stiere erinnern den Kundigen sogleich an einen Stier auf der Kehrseite alter Mcissalischer Münzen. Noch redet die Be¬ wegung von dem angebornen Ungestüm des Tieres; aber seine Stärke ist ge¬ bändigt, besiegt fällt es ins Vorderknie: ein Symbol der Wasserkraft, über die der Mensch Herr geworden ist. Lebhafter aber noch denken wir beim Anblick des andern Denkmals daran, daß die Phoküer als wertvollstes Geschenk zwei Kulturgewächse in die neue Heimat mitbrachten, zwei Gaben, die noch heute Frankreichs Reichtum und zum wesentlichen Teile auch Marseilles Handel ausmachen: den Wein und den Weizen. Gräfin Husanna Henry Harland von (Fortsetzung) usanna, die gegen den rauhen Stamm ihrer Ulme gelehnt saß, sah die lange schattige Allee hinunter und schien nachzudenken. Hier und da warf die Sonne, wo sie in einem deutlich durch die Dämmerung gleitenden Lichtstrahl einen Weg durch das Blättergewirr fand, goldige Flecken auf den braunen Boden. In ihrem weißen Kleid, mit dem ihre Stirn lose umgebenden Lockengewirr, einer leichten Röte auf ihren Wangen, mit den nachdenklichen Augen — halb nachdenklich und halb lächelnd, >ah sie sehr lieblich, sehr anziehend, sehr warm und verheißend weiblich, sehr liebens- und begehrenswert aus, und es ist kein Wunder, daß Anthony, dessen Augen auf ehr ruhten und sie verzehrten, eine heftige Bewegung in seinem Herzen empfand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/660>, abgerufen am 28.04.2024.