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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Uaiser und Aanzler

mehr von diesem Protektorat, das in unsern Tagen ganz sinnlos geworden
ist, emanzipiert. Aber die Fiktion wird in Frankreich eifrig festgehalten, und
der Minister des Äußern Delcasse gehört zu ihren überzeugten Vorkämpfern.
Noch bei den Etatberatungen des letzten Jahres schloß sich die Kammer den
Ausführungen des Ministers an, daß das Protektorat der Grundpfeiler der
moralischen und der wirtschaftlichen Stellung Frankreichs im Orient sei. Dieses
Vorrecht würde mit dem Konkordat nicht notwendigerweise, aber doch höchst¬
wahrscheinlich fallen. Angeblich hat Pius der Zehnte schon jetzt die Missionare
angewiesen, bei ihren nationalen Konsuln Schutz zu suchen. In seiner Unter¬
redung mit dem Vertreter der Neuen Freien Presse wie in Auxerre hat sich
nun Herr Combes sehr wegwerfend über die Protektoratsfrage geäußert. Die
Schutzherrschaft hätte Frankreich nur Lasten gebracht, Frankreich würde in
Zukunft nichts dagegen haben, wenn sich ein andrer Staat mit dieser Bürde
beschweren wolle. Diese Erklärung des Ministerpräsidenten hat hier natürlich
großes Aufsehen erregt, da sie im Widerspruch mit der bisherigen Haltung
des Ministers des Auswärtigen und der Mehrheit in der Kammer steht.
Sollte sie aber im Einverständnis mit Herrn Delcasse erfolgt sein -- was
wir vorläufig bezweifeln möchten --, würde einer der wichtigsten Einwürfe
gegen die Aufhebung des Konkordats beseitigt sein. Ist man in Frankreich
wirklich gleichgiltig gegenüber der Tatsache geworden, daß nach dem Bruch der
Republik mit dem Vatikan eine andre Macht in die Vorzugstellung einrücken
wird, die Frankreich in der Ära Leos des Dreizehnter -- Rampolla bei der
Kurie einnahm? Gerade diese Eifersucht auf die Vormacht beim Heiligen
Stuhl hat bisher noch immer den Opportunisten in der Regierung und der
Kammer Oberwasser gegeben. Sollte das jetzt anders geworden sein, und sollte
man Italien, Österreich oder gar Deutschland den Platz an der päpstlichen
Sonne leichten Herzens lassen? Wir glauben, daß sich Herr Combes über die
Stimmung im Parlament täuscht, und daß gerade die Erwägungen der äußern
Politik den Wünschen der Radikalen im Ministerium noch große Schwierigkeiten
machen werden Schluß folgt) .




Kaiser und Kanzler
(Schluß)

>le Dinge sind wohl noch nicht danach angetan, daß wir schon
in der nächsten Stunde in die Entscheidung hineingezogen werden
müßten, aber die Zeit ist gekommen, wo wir uns fragen müssen:
Sind wir bereit? Der Kaiser und die waffenfähige Jugend gewiß,
Isle werden nicht zögern, ihre ganze Kraft, so weit sie sich eben
unter den innern politischen Verhältnissen entwickeln ließ, für unsre Zukunft
einzusetzen, aber in der Masse der "Gebildeten" ist noch wenig Verständnis für
die Machtfragen der modernen Politik, kaum eine Ahnung von dem Verhängnisc^MM
tzM


Uaiser und Aanzler

mehr von diesem Protektorat, das in unsern Tagen ganz sinnlos geworden
ist, emanzipiert. Aber die Fiktion wird in Frankreich eifrig festgehalten, und
der Minister des Äußern Delcasse gehört zu ihren überzeugten Vorkämpfern.
Noch bei den Etatberatungen des letzten Jahres schloß sich die Kammer den
Ausführungen des Ministers an, daß das Protektorat der Grundpfeiler der
moralischen und der wirtschaftlichen Stellung Frankreichs im Orient sei. Dieses
Vorrecht würde mit dem Konkordat nicht notwendigerweise, aber doch höchst¬
wahrscheinlich fallen. Angeblich hat Pius der Zehnte schon jetzt die Missionare
angewiesen, bei ihren nationalen Konsuln Schutz zu suchen. In seiner Unter¬
redung mit dem Vertreter der Neuen Freien Presse wie in Auxerre hat sich
nun Herr Combes sehr wegwerfend über die Protektoratsfrage geäußert. Die
Schutzherrschaft hätte Frankreich nur Lasten gebracht, Frankreich würde in
Zukunft nichts dagegen haben, wenn sich ein andrer Staat mit dieser Bürde
beschweren wolle. Diese Erklärung des Ministerpräsidenten hat hier natürlich
großes Aufsehen erregt, da sie im Widerspruch mit der bisherigen Haltung
des Ministers des Auswärtigen und der Mehrheit in der Kammer steht.
Sollte sie aber im Einverständnis mit Herrn Delcasse erfolgt sein — was
wir vorläufig bezweifeln möchten —, würde einer der wichtigsten Einwürfe
gegen die Aufhebung des Konkordats beseitigt sein. Ist man in Frankreich
wirklich gleichgiltig gegenüber der Tatsache geworden, daß nach dem Bruch der
Republik mit dem Vatikan eine andre Macht in die Vorzugstellung einrücken
wird, die Frankreich in der Ära Leos des Dreizehnter — Rampolla bei der
Kurie einnahm? Gerade diese Eifersucht auf die Vormacht beim Heiligen
Stuhl hat bisher noch immer den Opportunisten in der Regierung und der
Kammer Oberwasser gegeben. Sollte das jetzt anders geworden sein, und sollte
man Italien, Österreich oder gar Deutschland den Platz an der päpstlichen
Sonne leichten Herzens lassen? Wir glauben, daß sich Herr Combes über die
Stimmung im Parlament täuscht, und daß gerade die Erwägungen der äußern
Politik den Wünschen der Radikalen im Ministerium noch große Schwierigkeiten
machen werden Schluß folgt) .




Kaiser und Kanzler
(Schluß)

>le Dinge sind wohl noch nicht danach angetan, daß wir schon
in der nächsten Stunde in die Entscheidung hineingezogen werden
müßten, aber die Zeit ist gekommen, wo wir uns fragen müssen:
Sind wir bereit? Der Kaiser und die waffenfähige Jugend gewiß,
Isle werden nicht zögern, ihre ganze Kraft, so weit sie sich eben
unter den innern politischen Verhältnissen entwickeln ließ, für unsre Zukunft
einzusetzen, aber in der Masse der „Gebildeten" ist noch wenig Verständnis für
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/684>, abgerufen am 28.04.2024.