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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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die Not des Landes, das Fehlen geeigneter Ratgeber. Sie trat nicht in dieses
Gebiet fertig hinein, wie eine Pallas aus dem Haupte des Zeus. Auch sie mußte
fehlen, irren, bereuen und ringen, bis sich in ihr die Pflicht und aus dieser die
Kraft und der Geist entwickelten, die ihre Stellung erheischten. Dann aber
zeigte sie so unerschütterlichen Mut, so uneigennützige Hingebung, griff sie mit
so richtiger, nur dem genialen Menschen eignen Empfindung in das verwickelte
Getriebe der Politik ein, daß sie einen Platz in der ersten Reihe derer verdient,
die den preußischen Staat haben bauen helfen.

Daß das Maß des ihr beschiedner Erfolgs nicht größer war, kann
ihren Ruhm nicht schmälern. Nicht allein der Gedanke an ihr reines, edles
Wesen und tragisches Geschick wird sie deshalb ihrem Volke teuer machen,
auch für das, was es ihr an politischen Taten verdankt, wird es ihr eine
dauernde Erinnerung schuldig sein. ,Jn neuem Lichte erscheint uns jetzt das
Wort Heinrichs von Kleist:


Wir sahn dich Anmut endlos nicderregnen,
Daß du so groß als schön warst, war uns fremd.



Kulturkampf und Schisma
(Schluß)

und über die Gefahren, die bei einer Trennung von Staat und
Kirche für die innerpolitische Lage bevorstehn, kann sich der
Ministerpräsident nicht täuschen. Vielleicht hat er gerade aus
diesem Grunde in der letzten Zeit hier und da Fühlung mit den
Progressisten zu gewinnen gesucht, um auf alle Fülle für die
Stunde der Not seine Reihen im Parlament etwas zu stärken. Er erklärt
jetzt, daß die Trennung tatsächlich bevorstehe. Nehmen wir an. das Konkordat
würde wirklich in den ersten Monaten des nächsten Jahres gekündigt. Das
Recht dazu wird dem Staate nur von einigen Sonderlingen der Rechten be¬
stritten, die das Konkordat als synallagmatischen Vertrag nicht für einseitig
kundbar ansehen. Die Trennung von Staat und Kirche würde dann wohl
unter Zugrundelegung des Entwurfs erfolge", den der sozialistische Abgeordnete
Briand verfaßthat. Was dann? Der Staat kann doch unmöglich eine Orga¬
nisation von der universellen Bedeutung der katholischen Kirche einfach igno¬
rieren, zumal da sich bis auf etliche Hunderttausend Protestanten und die
Juden sämtliche Franzosen wenigstens äußerlich zum römischen Katholizismus
bekennen. Schon vor einem Jahre wurde ein Vermittlungsvorschlag gemacht:
die vierzig Millionen des Kultnsbndgets aus dem Staatsfinanzgesctz zu
streichen und die Sorge für die Kirche den Departements und den politischen
Gemeinden zu überlassen. Auch heute noch wird von radikaler Seite beantragt,
eine gewisse Übergangszeit frei zu lassen, in der ein Teil des Budgets zur
Unterstützung vou Gemeinden verwandt werden soll, die die Kultuskosten auf


die Not des Landes, das Fehlen geeigneter Ratgeber. Sie trat nicht in dieses
Gebiet fertig hinein, wie eine Pallas aus dem Haupte des Zeus. Auch sie mußte
fehlen, irren, bereuen und ringen, bis sich in ihr die Pflicht und aus dieser die
Kraft und der Geist entwickelten, die ihre Stellung erheischten. Dann aber
zeigte sie so unerschütterlichen Mut, so uneigennützige Hingebung, griff sie mit
so richtiger, nur dem genialen Menschen eignen Empfindung in das verwickelte
Getriebe der Politik ein, daß sie einen Platz in der ersten Reihe derer verdient,
die den preußischen Staat haben bauen helfen.

Daß das Maß des ihr beschiedner Erfolgs nicht größer war, kann
ihren Ruhm nicht schmälern. Nicht allein der Gedanke an ihr reines, edles
Wesen und tragisches Geschick wird sie deshalb ihrem Volke teuer machen,
auch für das, was es ihr an politischen Taten verdankt, wird es ihr eine
dauernde Erinnerung schuldig sein. ,Jn neuem Lichte erscheint uns jetzt das
Wort Heinrichs von Kleist:


Wir sahn dich Anmut endlos nicderregnen,
Daß du so groß als schön warst, war uns fremd.



Kulturkampf und Schisma
(Schluß)

und über die Gefahren, die bei einer Trennung von Staat und
Kirche für die innerpolitische Lage bevorstehn, kann sich der
Ministerpräsident nicht täuschen. Vielleicht hat er gerade aus
diesem Grunde in der letzten Zeit hier und da Fühlung mit den
Progressisten zu gewinnen gesucht, um auf alle Fülle für die
Stunde der Not seine Reihen im Parlament etwas zu stärken. Er erklärt
jetzt, daß die Trennung tatsächlich bevorstehe. Nehmen wir an. das Konkordat
würde wirklich in den ersten Monaten des nächsten Jahres gekündigt. Das
Recht dazu wird dem Staate nur von einigen Sonderlingen der Rechten be¬
stritten, die das Konkordat als synallagmatischen Vertrag nicht für einseitig
kundbar ansehen. Die Trennung von Staat und Kirche würde dann wohl
unter Zugrundelegung des Entwurfs erfolge», den der sozialistische Abgeordnete
Briand verfaßthat. Was dann? Der Staat kann doch unmöglich eine Orga¬
nisation von der universellen Bedeutung der katholischen Kirche einfach igno¬
rieren, zumal da sich bis auf etliche Hunderttausend Protestanten und die
Juden sämtliche Franzosen wenigstens äußerlich zum römischen Katholizismus
bekennen. Schon vor einem Jahre wurde ein Vermittlungsvorschlag gemacht:
die vierzig Millionen des Kultnsbndgets aus dem Staatsfinanzgesctz zu
streichen und die Sorge für die Kirche den Departements und den politischen
Gemeinden zu überlassen. Auch heute noch wird von radikaler Seite beantragt,
eine gewisse Übergangszeit frei zu lassen, in der ein Teil des Budgets zur
Unterstützung vou Gemeinden verwandt werden soll, die die Kultuskosten auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/748>, abgerufen am 28.04.2024.