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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Rußlands Kritiker

as Katastrophenurteil des Regierungsrath Martin über die
russischen Staatsfinanzen kaun für die Presse als abgetan gelten.
Auch über die beipflichtende" Äußerungen Professor Delbrücks
sin den Preußischen Jahrbüchern) zu den Martinschen Schlu߬
folgerungen könnte hinweggegangen werden, da diese durch Del¬
brücks Zustimmung um keine Spur beweiskräftiger werden. Ich möchte trotzdem
auf einige Bemerkungen Professor Delbrücks zurückgreifen. Er beklagt sich
nämlich darüber, daß seit Jahren in der Öffentlichkeit konsequent die Artikel
der Preußischen Jahrbücher totgeschwiegen werden, in denen lange vor Martin,
durch Kritiker wie zum Beispiel Rohrbach, das deutsche Publikum über die
Brüchigkeit der russischen Finanzwirtschaft aufgeklärt worden wäre. Gerade
deshalb sei das Buch Martins "eine gar nicht hoch genug zu wertende
politische Tat," denn dieses habe sich "Gehör erzwungen," und sein Warnruf
werde dem deutschen Volksvermögen einmal Hunderte von Millionen, vielleicht
Milliarden ersparen. In der Sache habe nämlich Martin unleugbar Recht;
Rußland müsse bankerott werden, weil es ans die Dauer seinen ausländischen
Zinspflichten schlechterdings nicht nachkommen könne. Wer andrer Meinung
sei, solle nachweisen, wie Rußland in Zukunft seine Zahlungsbilanz aus¬
gleichen wolle, ohne sich durch einen Staatsbankerott Erleichterung geschafft,
also seine Zinszahlungen entweder eingestellt oder selbstherrlich herabgesetzt
zu haben.

Professor Delbrück verlangt also den Nachweis der Kraftelemente, mit
deren Hilfe Rußland in Anbetracht seiner gewaltigen auswärtigen Verschuldung,
zumal nach einem opferreichen Kriege, seine schier erdrückende ausländische
Zinsenlast künftighin werde bewältigen können. Diesen Nachweis vermag
meines Erachtens zurzeit kein deutscher oder russischer Fiuanzpolitiker zu liefern.
Denn es ist vorläufig noch gar nicht abzusehen, inwieweit die Belebung des
Ausfuhrhandels und ein erneutes Anziehen der Steuerschraube die durch den
Krieg verursachten Mchrlasten an Schuldzinsen werden tragen helfen. Sollte
sich die für den "Auslandstribut" nötige Golddecke als zu kurz erweisen, so
wird die Ausnutzung des Auslandes mit neuen Anleihen nicht zu umgehn
sein. Ich bin nicht im Zweifel, daß sich Rußland zur Befriedigung seiner
Reichshaushaltsbedürfnisse, also auch seiner Schuldzinsen, wie bisher so auch
in Zukunft an die ausländischen Anleihemärkte wird wenden müssen. Ich
zweifle aber auch nicht im mindesten, daß das internationale Leihkapital, allen
beweglichen Warnungen zum Trotz, deu russischen Geldansprüchen noch auf
lange hinaus in außerordentlichem Maße zu Gefallen sein wird. Dem Ver¬
trauen des Auslandes auf die Kreditreife und die Zahlungsfähigkeit Rußlands




Rußlands Kritiker

as Katastrophenurteil des Regierungsrath Martin über die
russischen Staatsfinanzen kaun für die Presse als abgetan gelten.
Auch über die beipflichtende» Äußerungen Professor Delbrücks
sin den Preußischen Jahrbüchern) zu den Martinschen Schlu߬
folgerungen könnte hinweggegangen werden, da diese durch Del¬
brücks Zustimmung um keine Spur beweiskräftiger werden. Ich möchte trotzdem
auf einige Bemerkungen Professor Delbrücks zurückgreifen. Er beklagt sich
nämlich darüber, daß seit Jahren in der Öffentlichkeit konsequent die Artikel
der Preußischen Jahrbücher totgeschwiegen werden, in denen lange vor Martin,
durch Kritiker wie zum Beispiel Rohrbach, das deutsche Publikum über die
Brüchigkeit der russischen Finanzwirtschaft aufgeklärt worden wäre. Gerade
deshalb sei das Buch Martins „eine gar nicht hoch genug zu wertende
politische Tat," denn dieses habe sich „Gehör erzwungen," und sein Warnruf
werde dem deutschen Volksvermögen einmal Hunderte von Millionen, vielleicht
Milliarden ersparen. In der Sache habe nämlich Martin unleugbar Recht;
Rußland müsse bankerott werden, weil es ans die Dauer seinen ausländischen
Zinspflichten schlechterdings nicht nachkommen könne. Wer andrer Meinung
sei, solle nachweisen, wie Rußland in Zukunft seine Zahlungsbilanz aus¬
gleichen wolle, ohne sich durch einen Staatsbankerott Erleichterung geschafft,
also seine Zinszahlungen entweder eingestellt oder selbstherrlich herabgesetzt
zu haben.

Professor Delbrück verlangt also den Nachweis der Kraftelemente, mit
deren Hilfe Rußland in Anbetracht seiner gewaltigen auswärtigen Verschuldung,
zumal nach einem opferreichen Kriege, seine schier erdrückende ausländische
Zinsenlast künftighin werde bewältigen können. Diesen Nachweis vermag
meines Erachtens zurzeit kein deutscher oder russischer Fiuanzpolitiker zu liefern.
Denn es ist vorläufig noch gar nicht abzusehen, inwieweit die Belebung des
Ausfuhrhandels und ein erneutes Anziehen der Steuerschraube die durch den
Krieg verursachten Mchrlasten an Schuldzinsen werden tragen helfen. Sollte
sich die für den „Auslandstribut" nötige Golddecke als zu kurz erweisen, so
wird die Ausnutzung des Auslandes mit neuen Anleihen nicht zu umgehn
sein. Ich bin nicht im Zweifel, daß sich Rußland zur Befriedigung seiner
Reichshaushaltsbedürfnisse, also auch seiner Schuldzinsen, wie bisher so auch
in Zukunft an die ausländischen Anleihemärkte wird wenden müssen. Ich
zweifle aber auch nicht im mindesten, daß das internationale Leihkapital, allen
beweglichen Warnungen zum Trotz, deu russischen Geldansprüchen noch auf
lange hinaus in außerordentlichem Maße zu Gefallen sein wird. Dem Ver¬
trauen des Auslandes auf die Kreditreife und die Zahlungsfähigkeit Rußlands


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/188>, abgerufen am 07.05.2024.