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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz

dem großen Zwecke der Ncichsfinanzreform zuliebe müssen und können sie getrost
in den Kauf genommen werden.

Und nun die große Schicksalsfrage: Was wird der Reichstag tun? Durch
den Höllenlärm der Sozialdemokratie wird sich kein verständiger Mann beirren
lassen. Gewiß sind insbesondre Bier- und Tabaksteuer für ihr Geschäft der
Volksaufwiegelung vorzügliche Agitationsmittel. Um so ernster tritt an die
übrigen Parteien gerade unter den heutigen Umständen die Pflicht heran, in
der Beurteilung der Regierungsvorschläge die gewissenhafteste Sachlichkeit walten
zu lassen. Die von der Vorlage am nächsten berührten Interessenten werden
in der bekannten übertriebnen Weise die übliche Abwehrbewegung ins Werk zu
setzen suchen. Dem gegenüber ist vor allem ein zwar nicht herausforderndes,
aber unbedingt festes und geschlossenes Auftreten der Regierungen nötig. Eine
Abweisung der Vorlage a liminiz ist vom Reichstage schlechterdings nicht zu be¬
fürchten. Dagegen droht die Gefahr nachteiliger Abänderungen und der Ab¬
lehnung einzelner Teile. Offiziös ist angekündigt worden, daß man jede wirk¬
liche Verbesserung annehmen, eine Herausbrechung des einen oder des andern
Teils der Gesamtvorlage aber nicht zulassen werde. Hoffentlich wird die Herein-
ziehung der Abkömmlinge und der Ehegatten in die Erbschaftssteuerpflicht, wofür
sich im Reichstage, allem germanischen Gefühl zum Trotz, vielleicht eine Mehr¬
heit fände, nicht als Verbesserung angesehen. Und weiter ist zu wünschen, daß sich
die Abneigung der Regierungen gegen das Herausbrechen einzelner Teile auch
auf das Vertauschen einer Steuer mit einer in dem Entwurf nicht enthaltenen
andern, etwa der Quittungssteuer mit der Wehrsteuer, erstreckte.

Auch im günstigsten Falle allerdings wird es im Reichstage heiße Kämpfe
geben. Einen starken Bundesgenossen aber hat die Finanzreform in dem außer¬
gewöhnlichen Ernst der allgemeinen Lage. Er wird dazu beitragen, daß mau
sich auch hier zu der vollen Höhe der Aufgabe emporschwingt.




Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz
Lügen Josef i von(Schluß)

" W. er Ausspruch der Pandekten, jeder Rechtsstreit sei eine res äiM-
äs pörioulosa, gilt sonach nicht für Parteien, denen das
K^^^Wtzl Armenrecht bewilligt ist. So erklärt es sich, daß die Rechts-
wohltat des Armenrechts sehr gesucht, viel begehrt ist; um ihrer
zu werden, genügt schon ein obrigkeitliches (polizei¬
liches) Zeugnis, daß der Antragsteller ohne Beeinträchtigung des für ihn und
seine Familie nötigen Unterhalts zur Bestreitung von Prozeßkosten außer¬
stande ist. Wie die Obrigkeit sich die zur Ausstellung des Zeugnisses nötigen
Grundlagen verschafft, ist ihre Sache; in kleinen Städten und auf dem
Platten Lande mag die Polizei zur Nachprüfung der Angaben der angeblich


Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz

dem großen Zwecke der Ncichsfinanzreform zuliebe müssen und können sie getrost
in den Kauf genommen werden.

Und nun die große Schicksalsfrage: Was wird der Reichstag tun? Durch
den Höllenlärm der Sozialdemokratie wird sich kein verständiger Mann beirren
lassen. Gewiß sind insbesondre Bier- und Tabaksteuer für ihr Geschäft der
Volksaufwiegelung vorzügliche Agitationsmittel. Um so ernster tritt an die
übrigen Parteien gerade unter den heutigen Umständen die Pflicht heran, in
der Beurteilung der Regierungsvorschläge die gewissenhafteste Sachlichkeit walten
zu lassen. Die von der Vorlage am nächsten berührten Interessenten werden
in der bekannten übertriebnen Weise die übliche Abwehrbewegung ins Werk zu
setzen suchen. Dem gegenüber ist vor allem ein zwar nicht herausforderndes,
aber unbedingt festes und geschlossenes Auftreten der Regierungen nötig. Eine
Abweisung der Vorlage a liminiz ist vom Reichstage schlechterdings nicht zu be¬
fürchten. Dagegen droht die Gefahr nachteiliger Abänderungen und der Ab¬
lehnung einzelner Teile. Offiziös ist angekündigt worden, daß man jede wirk¬
liche Verbesserung annehmen, eine Herausbrechung des einen oder des andern
Teils der Gesamtvorlage aber nicht zulassen werde. Hoffentlich wird die Herein-
ziehung der Abkömmlinge und der Ehegatten in die Erbschaftssteuerpflicht, wofür
sich im Reichstage, allem germanischen Gefühl zum Trotz, vielleicht eine Mehr¬
heit fände, nicht als Verbesserung angesehen. Und weiter ist zu wünschen, daß sich
die Abneigung der Regierungen gegen das Herausbrechen einzelner Teile auch
auf das Vertauschen einer Steuer mit einer in dem Entwurf nicht enthaltenen
andern, etwa der Quittungssteuer mit der Wehrsteuer, erstreckte.

Auch im günstigsten Falle allerdings wird es im Reichstage heiße Kämpfe
geben. Einen starken Bundesgenossen aber hat die Finanzreform in dem außer¬
gewöhnlichen Ernst der allgemeinen Lage. Er wird dazu beitragen, daß mau
sich auch hier zu der vollen Höhe der Aufgabe emporschwingt.




Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz
Lügen Josef i von(Schluß)

» W. er Ausspruch der Pandekten, jeder Rechtsstreit sei eine res äiM-
äs pörioulosa, gilt sonach nicht für Parteien, denen das
K^^^Wtzl Armenrecht bewilligt ist. So erklärt es sich, daß die Rechts-
wohltat des Armenrechts sehr gesucht, viel begehrt ist; um ihrer
zu werden, genügt schon ein obrigkeitliches (polizei¬
liches) Zeugnis, daß der Antragsteller ohne Beeinträchtigung des für ihn und
seine Familie nötigen Unterhalts zur Bestreitung von Prozeßkosten außer¬
stande ist. Wie die Obrigkeit sich die zur Ausstellung des Zeugnisses nötigen
Grundlagen verschafft, ist ihre Sache; in kleinen Städten und auf dem
Platten Lande mag die Polizei zur Nachprüfung der Angaben der angeblich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/521>, abgerufen am 07.05.2024.