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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Verwischte Spuren
Sophus Bauditz Skizze von

mer meiner Bekannten pflegt zu sagen: Hier bei uns in Dänemark
kennt man gar keinen ordentlichen Schnee mehr; hier ist er ein
Luxusartikel geworden, der so dünn auf dem Felde liegt, daß der
Roggen ihn zerteilen kann, und hier in der Stadt fängt er an zu
schmelzen, sich in häßlichen, schlammigen Tauschnee zu verwandeln,
wenn er kaum gefallen ist. Nein, wenn man Schnee sehen will,
muß man nach Smaaland reisen!

Eine Übertreibung ist das natürlich, aber etwas wahres ist doch daran. Wer
kann sich eine Jagd in Smaaland im Winter ohne Schnee vorstellen, ohne losen,
glitzernden Schnee, der Moor und See bedeckt, und wer kann sich dort oben eine
andre Art von Beförderung vorstellen als den Schlitten, den schellenläntenden
Schlitten mit reifbepuderten, dampfenden Pferden davor!

Welche Herrlichkeit ist es nicht, im Hochwald bei der Treibjagd auf seinem Stande
zu stehn, wo die Zweige der riesengroßen Föhren von dem reinsten Weiß herabgedrückt
werden, und dann plötzlich einen Gießbach von Schneestaub, in der Sonne glitzernd,
langsam zwischen den Stämmen herabsickern zu sehen, wenn ein Eichhörnchen den
Sprung von einem Baum zum audern gewagt hat. Wie still es hier ist! Aus weiter,
weiter Ferne hört man die verschieden gestimmten Glocken an den Schlitten der
Holzfahrer -- das macht die Stille nur noch tiefer; aber dann fängt man an,
einen andern Laut erst nur zu ahnen und dann zu vernehmen: das Klappern der
Treiber, die lebhafteste Musik der Waldeinsamkeit. Es kommt näher und näher,
allmählich vermischt mit dem Kläffen der Meute, ein vereinzelter Ruf läßt sich
unterscheiden, und dann fällt der erste Schuß. Bald geht es Knall auf Knall --
aber, ach, mit rauchlosem und knallschwachem Pulver, die Zeit der alten Kanonen¬
schüsse ist vorbei! Lautlos und majestätisch segelt der schwarze Auerhahn aus dem
Dickicht heraus, der Birkhahn ist gewissermaßen nervöser, und dort -- nein, das
ist uur ein Specht, der in bogenförmigen Flug über den Weg dahin eilt. Aber
dn senkt sich eine Flinte, und zwischen den Wachvlderstränchen und den großen
Steinblöcken überschlägt sich bei dem Knall ein Hase, einer von diesen prächtigen
schwedischen Hasen, die jede Öffnung im Zaun genau so gut keimen wie der orts¬
kundigste Spürhund, und die wir zuhause ini Zimmer allerdings weiß nennen, die
aber hier auf dem Schnee grau sind, unbestreitbar grau.

Es herrscht eine gelinde Kälte, aber es ist so unendlich still, daß wir mit
aufgeknöpften Röcken vor Lindstens Haus sitzen und unser Frühstück verzehren, als
sei es ein Sommertag. Lindsten mißt wie der hochselige General Holofernes so
an die siebeneinviertel Ellen, und Lindsten hat auch dreißig Jahre in der Svea
Leibgarde gestanden, weshalb er auch so dekorativ in der Landschaft wirkt.

Und so geht der Tag, geht die Jagd ihren wechselvollen, fröhlichen Gang,
aber der Tag ist kurz, nur zu kurz, und:


Das Gold des Sonnenunterganges flammt
Auf rote Föhrenstämme nieder,

ehe man sichs versieht. Und dann legen wir die letzte lange Strecke über den zu-
gefrornen See zurück, wo das Eis hin und wieder unter uns ächzt, obwohl es




Verwischte Spuren
Sophus Bauditz Skizze von

mer meiner Bekannten pflegt zu sagen: Hier bei uns in Dänemark
kennt man gar keinen ordentlichen Schnee mehr; hier ist er ein
Luxusartikel geworden, der so dünn auf dem Felde liegt, daß der
Roggen ihn zerteilen kann, und hier in der Stadt fängt er an zu
schmelzen, sich in häßlichen, schlammigen Tauschnee zu verwandeln,
wenn er kaum gefallen ist. Nein, wenn man Schnee sehen will,
muß man nach Smaaland reisen!

Eine Übertreibung ist das natürlich, aber etwas wahres ist doch daran. Wer
kann sich eine Jagd in Smaaland im Winter ohne Schnee vorstellen, ohne losen,
glitzernden Schnee, der Moor und See bedeckt, und wer kann sich dort oben eine
andre Art von Beförderung vorstellen als den Schlitten, den schellenläntenden
Schlitten mit reifbepuderten, dampfenden Pferden davor!

Welche Herrlichkeit ist es nicht, im Hochwald bei der Treibjagd auf seinem Stande
zu stehn, wo die Zweige der riesengroßen Föhren von dem reinsten Weiß herabgedrückt
werden, und dann plötzlich einen Gießbach von Schneestaub, in der Sonne glitzernd,
langsam zwischen den Stämmen herabsickern zu sehen, wenn ein Eichhörnchen den
Sprung von einem Baum zum audern gewagt hat. Wie still es hier ist! Aus weiter,
weiter Ferne hört man die verschieden gestimmten Glocken an den Schlitten der
Holzfahrer — das macht die Stille nur noch tiefer; aber dann fängt man an,
einen andern Laut erst nur zu ahnen und dann zu vernehmen: das Klappern der
Treiber, die lebhafteste Musik der Waldeinsamkeit. Es kommt näher und näher,
allmählich vermischt mit dem Kläffen der Meute, ein vereinzelter Ruf läßt sich
unterscheiden, und dann fällt der erste Schuß. Bald geht es Knall auf Knall —
aber, ach, mit rauchlosem und knallschwachem Pulver, die Zeit der alten Kanonen¬
schüsse ist vorbei! Lautlos und majestätisch segelt der schwarze Auerhahn aus dem
Dickicht heraus, der Birkhahn ist gewissermaßen nervöser, und dort — nein, das
ist uur ein Specht, der in bogenförmigen Flug über den Weg dahin eilt. Aber
dn senkt sich eine Flinte, und zwischen den Wachvlderstränchen und den großen
Steinblöcken überschlägt sich bei dem Knall ein Hase, einer von diesen prächtigen
schwedischen Hasen, die jede Öffnung im Zaun genau so gut keimen wie der orts¬
kundigste Spürhund, und die wir zuhause ini Zimmer allerdings weiß nennen, die
aber hier auf dem Schnee grau sind, unbestreitbar grau.

Es herrscht eine gelinde Kälte, aber es ist so unendlich still, daß wir mit
aufgeknöpften Röcken vor Lindstens Haus sitzen und unser Frühstück verzehren, als
sei es ein Sommertag. Lindsten mißt wie der hochselige General Holofernes so
an die siebeneinviertel Ellen, und Lindsten hat auch dreißig Jahre in der Svea
Leibgarde gestanden, weshalb er auch so dekorativ in der Landschaft wirkt.

Und so geht der Tag, geht die Jagd ihren wechselvollen, fröhlichen Gang,
aber der Tag ist kurz, nur zu kurz, und:


Das Gold des Sonnenunterganges flammt
Auf rote Föhrenstämme nieder,

ehe man sichs versieht. Und dann legen wir die letzte lange Strecke über den zu-
gefrornen See zurück, wo das Eis hin und wieder unter uns ächzt, obwohl es


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[0740] [Abbildung] Verwischte Spuren Sophus Bauditz Skizze von mer meiner Bekannten pflegt zu sagen: Hier bei uns in Dänemark kennt man gar keinen ordentlichen Schnee mehr; hier ist er ein Luxusartikel geworden, der so dünn auf dem Felde liegt, daß der Roggen ihn zerteilen kann, und hier in der Stadt fängt er an zu schmelzen, sich in häßlichen, schlammigen Tauschnee zu verwandeln, wenn er kaum gefallen ist. Nein, wenn man Schnee sehen will, muß man nach Smaaland reisen! Eine Übertreibung ist das natürlich, aber etwas wahres ist doch daran. Wer kann sich eine Jagd in Smaaland im Winter ohne Schnee vorstellen, ohne losen, glitzernden Schnee, der Moor und See bedeckt, und wer kann sich dort oben eine andre Art von Beförderung vorstellen als den Schlitten, den schellenläntenden Schlitten mit reifbepuderten, dampfenden Pferden davor! Welche Herrlichkeit ist es nicht, im Hochwald bei der Treibjagd auf seinem Stande zu stehn, wo die Zweige der riesengroßen Föhren von dem reinsten Weiß herabgedrückt werden, und dann plötzlich einen Gießbach von Schneestaub, in der Sonne glitzernd, langsam zwischen den Stämmen herabsickern zu sehen, wenn ein Eichhörnchen den Sprung von einem Baum zum audern gewagt hat. Wie still es hier ist! Aus weiter, weiter Ferne hört man die verschieden gestimmten Glocken an den Schlitten der Holzfahrer — das macht die Stille nur noch tiefer; aber dann fängt man an, einen andern Laut erst nur zu ahnen und dann zu vernehmen: das Klappern der Treiber, die lebhafteste Musik der Waldeinsamkeit. Es kommt näher und näher, allmählich vermischt mit dem Kläffen der Meute, ein vereinzelter Ruf läßt sich unterscheiden, und dann fällt der erste Schuß. Bald geht es Knall auf Knall — aber, ach, mit rauchlosem und knallschwachem Pulver, die Zeit der alten Kanonen¬ schüsse ist vorbei! Lautlos und majestätisch segelt der schwarze Auerhahn aus dem Dickicht heraus, der Birkhahn ist gewissermaßen nervöser, und dort — nein, das ist uur ein Specht, der in bogenförmigen Flug über den Weg dahin eilt. Aber dn senkt sich eine Flinte, und zwischen den Wachvlderstränchen und den großen Steinblöcken überschlägt sich bei dem Knall ein Hase, einer von diesen prächtigen schwedischen Hasen, die jede Öffnung im Zaun genau so gut keimen wie der orts¬ kundigste Spürhund, und die wir zuhause ini Zimmer allerdings weiß nennen, die aber hier auf dem Schnee grau sind, unbestreitbar grau. Es herrscht eine gelinde Kälte, aber es ist so unendlich still, daß wir mit aufgeknöpften Röcken vor Lindstens Haus sitzen und unser Frühstück verzehren, als sei es ein Sommertag. Lindsten mißt wie der hochselige General Holofernes so an die siebeneinviertel Ellen, und Lindsten hat auch dreißig Jahre in der Svea Leibgarde gestanden, weshalb er auch so dekorativ in der Landschaft wirkt. Und so geht der Tag, geht die Jagd ihren wechselvollen, fröhlichen Gang, aber der Tag ist kurz, nur zu kurz, und: Das Gold des Sonnenunterganges flammt Auf rote Föhrenstämme nieder, ehe man sichs versieht. Und dann legen wir die letzte lange Strecke über den zu- gefrornen See zurück, wo das Eis hin und wieder unter uns ächzt, obwohl es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/740>, abgerufen am 07.05.2024.