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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Es läutete zu Tisch. Ramborn begab sich hinab, seine Fragen im Kopfe mit
sich nehmend. Wolf brachte seine Bücher und beklagte sich, daß er wieder keinen
Unterricht gehabt habe, und Tauenden betrachtete ihren Doktor verstohlen mit be¬
sondrer Zärtlichkeit und legte ihm die besten Stücke vor. Arte Veit war nämlich
dagewesen. Arte Beit hatte an der Tür gehorcht und hatte Tauenden Bericht ge¬
geben von dem, was bei Kondrot geschehen war. Der Herr Doktor hätte es
schöner gemacht als der Herr Pastor.

9. Aufklärungen

Wolfs Geburtstag hätte man beinahe vergessen. Die Mutter war ja nicht
da, die daran erinnert hätte. Tauenden, so sorglich sie auch war, und ein so gutes
Herz sie auch hatte, Geburtstage zu merken, darin war sie doch nicht so zuverlässig,
wie es eine Mutter ist. Und Wolf war der letzte, der daran erinnert hätte. Ja
als man im letzten Augenblicke noch daran dachte, bat Wolf dringend, seinen Ge¬
burtstag nicht zu feiern. Er müsse immer an Mama denken, und dabei könne er
keinen Kuchen essen.

Und so tat man ihm seinen Willen. Da brachte der Briefbote ganz uner¬
wartet ein für Wolf bestimmtes Paket --- ans Genf. Die Adresse war mit fremder,
flüchtiger Hand geschrieben, ein Brief lag nicht bei, und das Paket enthielt eine
Schachtel mit Datteln. Wolf jubelte in frohem Schreck auf und rief: Meine
Datteln! -- Die Datteln hatten im preußischen Schlößchen ihre besondre Bedeutung.
Frau Mary hatte sie gern gegessen, da sie dabei an vergangne Zeiten erinnert
wurde. Und Wolf hatte die Vorliebe für Datteln von seiner Mutter geerbt, und
so durften Datteln auf keinem Weihnachts-, keinem Geburtstagstische fehlen. Tauenden
war ganz gerührt und machte sich Vorwürfe, daß sie Wolfs Datteln vergessen
hatte. Aber wer konnte die Datteln gesandt haben? Wer konnte es wissen, welche
Bedeutung für Wolf Datteln hatten? Tante Hufeland? Es war nicht anzunehmen,
daß diese auch nur das Datum von Wolfs Geburtstag wußte. Es blieb kaum
etwas andres übrig, als an Frau Mary zu denken. Dieser Gedanke verursachte
eine lebhafte, frohe Unruhe, mehrte aber auch die Spannung der Ungewißheit. Wie
gern hätte man dem stummen Zeugnisse der Datteln geglaubt, wenn man sich nicht
vor der Möglichkeit einer Enttäuschung gefürchtet hätte. Daß Mary in hoher Er¬
regung geflohen war, das war zu versteh", nicht aber, wie sie dazu gekommen
sei, sich so lange Zeit zu verbergen. Sie mußte doch wisse", welchen Schmerz sie
damit ihren Lieben bereitete.

Während man noch dies miteinander besprach, kam der Herr Pastor zu unge¬
wöhnlicher Zeit und mit ungewöhnlich beschleunigten Schritten an. Nachdem er
kaum gegrüßt hatte, suchte er mit hastiger Eile seine Tasche durch und brachte einen
Brief zum Borschein, der, wie auf den ersten Blick zu sehen war, von derselben
Hand geschrieben war wie die Adresse auf Wolfs Paket.

Wir haben allen Grund, Gott zu danken, rief der Herr Pastor, daß unsre
Befürchtungen ungegründet waren, und daß auch für die Zukunft keine Gefahren
wehr vorhanden zu sein scheinen. Aber lesen Sie selbst. Bitte, lesen Sie. Und
damit reichte er den Brief dar. Er war von Frau Staatsrat Wedenbaum ge¬
schrieben und an den Herrn Pastor in Kallpillen gerichtet. Mit flüchtiger Schrift
und ebenso flüchtigen Gedanken, teils in schlechtem Deutsch, teils durch eingeschobne
französische Worte und Zeilen teilte Frau Staatsrat ans Genf mit, daß die schwerste
Gefahr vorüber sei, daß Frau Mary die Besinnung wieder erlangt habe und wünsche,
ociß sie, die Frau Staatsrat, an den Herrn Pastor schreibe. Wie Mary nach Genf
gelangt sei, in welchen: Verhältnisse sie zu der Briefschreiberin stehe, wo sie sich
bisher aufgehalten und warum sie bisher geschwiegen habe, darüber enthielt der
Brief kein Wort. Mary habe den unsinnigen Gedanke", fuhr Frau Staatsrat fort,
sogleich "ach Hause zurückkehren zu wollen. Aber davon könnte keine Rede sein.
Sie sei viel zu schwach, die lange Reise nach dem Norden machen zu können,


Gronzboten II 190ö 49
Herrenmenschen

Es läutete zu Tisch. Ramborn begab sich hinab, seine Fragen im Kopfe mit
sich nehmend. Wolf brachte seine Bücher und beklagte sich, daß er wieder keinen
Unterricht gehabt habe, und Tauenden betrachtete ihren Doktor verstohlen mit be¬
sondrer Zärtlichkeit und legte ihm die besten Stücke vor. Arte Veit war nämlich
dagewesen. Arte Beit hatte an der Tür gehorcht und hatte Tauenden Bericht ge¬
geben von dem, was bei Kondrot geschehen war. Der Herr Doktor hätte es
schöner gemacht als der Herr Pastor.

9. Aufklärungen

Wolfs Geburtstag hätte man beinahe vergessen. Die Mutter war ja nicht
da, die daran erinnert hätte. Tauenden, so sorglich sie auch war, und ein so gutes
Herz sie auch hatte, Geburtstage zu merken, darin war sie doch nicht so zuverlässig,
wie es eine Mutter ist. Und Wolf war der letzte, der daran erinnert hätte. Ja
als man im letzten Augenblicke noch daran dachte, bat Wolf dringend, seinen Ge¬
burtstag nicht zu feiern. Er müsse immer an Mama denken, und dabei könne er
keinen Kuchen essen.

Und so tat man ihm seinen Willen. Da brachte der Briefbote ganz uner¬
wartet ein für Wolf bestimmtes Paket -— ans Genf. Die Adresse war mit fremder,
flüchtiger Hand geschrieben, ein Brief lag nicht bei, und das Paket enthielt eine
Schachtel mit Datteln. Wolf jubelte in frohem Schreck auf und rief: Meine
Datteln! — Die Datteln hatten im preußischen Schlößchen ihre besondre Bedeutung.
Frau Mary hatte sie gern gegessen, da sie dabei an vergangne Zeiten erinnert
wurde. Und Wolf hatte die Vorliebe für Datteln von seiner Mutter geerbt, und
so durften Datteln auf keinem Weihnachts-, keinem Geburtstagstische fehlen. Tauenden
war ganz gerührt und machte sich Vorwürfe, daß sie Wolfs Datteln vergessen
hatte. Aber wer konnte die Datteln gesandt haben? Wer konnte es wissen, welche
Bedeutung für Wolf Datteln hatten? Tante Hufeland? Es war nicht anzunehmen,
daß diese auch nur das Datum von Wolfs Geburtstag wußte. Es blieb kaum
etwas andres übrig, als an Frau Mary zu denken. Dieser Gedanke verursachte
eine lebhafte, frohe Unruhe, mehrte aber auch die Spannung der Ungewißheit. Wie
gern hätte man dem stummen Zeugnisse der Datteln geglaubt, wenn man sich nicht
vor der Möglichkeit einer Enttäuschung gefürchtet hätte. Daß Mary in hoher Er¬
regung geflohen war, das war zu versteh», nicht aber, wie sie dazu gekommen
sei, sich so lange Zeit zu verbergen. Sie mußte doch wisse», welchen Schmerz sie
damit ihren Lieben bereitete.

Während man noch dies miteinander besprach, kam der Herr Pastor zu unge¬
wöhnlicher Zeit und mit ungewöhnlich beschleunigten Schritten an. Nachdem er
kaum gegrüßt hatte, suchte er mit hastiger Eile seine Tasche durch und brachte einen
Brief zum Borschein, der, wie auf den ersten Blick zu sehen war, von derselben
Hand geschrieben war wie die Adresse auf Wolfs Paket.

Wir haben allen Grund, Gott zu danken, rief der Herr Pastor, daß unsre
Befürchtungen ungegründet waren, und daß auch für die Zukunft keine Gefahren
wehr vorhanden zu sein scheinen. Aber lesen Sie selbst. Bitte, lesen Sie. Und
damit reichte er den Brief dar. Er war von Frau Staatsrat Wedenbaum ge¬
schrieben und an den Herrn Pastor in Kallpillen gerichtet. Mit flüchtiger Schrift
und ebenso flüchtigen Gedanken, teils in schlechtem Deutsch, teils durch eingeschobne
französische Worte und Zeilen teilte Frau Staatsrat ans Genf mit, daß die schwerste
Gefahr vorüber sei, daß Frau Mary die Besinnung wieder erlangt habe und wünsche,
ociß sie, die Frau Staatsrat, an den Herrn Pastor schreibe. Wie Mary nach Genf
gelangt sei, in welchen: Verhältnisse sie zu der Briefschreiberin stehe, wo sie sich
bisher aufgehalten und warum sie bisher geschwiegen habe, darüber enthielt der
Brief kein Wort. Mary habe den unsinnigen Gedanke», fuhr Frau Staatsrat fort,
sogleich »ach Hause zurückkehren zu wollen. Aber davon könnte keine Rede sein.
Sie sei viel zu schwach, die lange Reise nach dem Norden machen zu können,


Gronzboten II 190ö 49
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[0389] Herrenmenschen Es läutete zu Tisch. Ramborn begab sich hinab, seine Fragen im Kopfe mit sich nehmend. Wolf brachte seine Bücher und beklagte sich, daß er wieder keinen Unterricht gehabt habe, und Tauenden betrachtete ihren Doktor verstohlen mit be¬ sondrer Zärtlichkeit und legte ihm die besten Stücke vor. Arte Veit war nämlich dagewesen. Arte Beit hatte an der Tür gehorcht und hatte Tauenden Bericht ge¬ geben von dem, was bei Kondrot geschehen war. Der Herr Doktor hätte es schöner gemacht als der Herr Pastor. 9. Aufklärungen Wolfs Geburtstag hätte man beinahe vergessen. Die Mutter war ja nicht da, die daran erinnert hätte. Tauenden, so sorglich sie auch war, und ein so gutes Herz sie auch hatte, Geburtstage zu merken, darin war sie doch nicht so zuverlässig, wie es eine Mutter ist. Und Wolf war der letzte, der daran erinnert hätte. Ja als man im letzten Augenblicke noch daran dachte, bat Wolf dringend, seinen Ge¬ burtstag nicht zu feiern. Er müsse immer an Mama denken, und dabei könne er keinen Kuchen essen. Und so tat man ihm seinen Willen. Da brachte der Briefbote ganz uner¬ wartet ein für Wolf bestimmtes Paket -— ans Genf. Die Adresse war mit fremder, flüchtiger Hand geschrieben, ein Brief lag nicht bei, und das Paket enthielt eine Schachtel mit Datteln. Wolf jubelte in frohem Schreck auf und rief: Meine Datteln! — Die Datteln hatten im preußischen Schlößchen ihre besondre Bedeutung. Frau Mary hatte sie gern gegessen, da sie dabei an vergangne Zeiten erinnert wurde. Und Wolf hatte die Vorliebe für Datteln von seiner Mutter geerbt, und so durften Datteln auf keinem Weihnachts-, keinem Geburtstagstische fehlen. Tauenden war ganz gerührt und machte sich Vorwürfe, daß sie Wolfs Datteln vergessen hatte. Aber wer konnte die Datteln gesandt haben? Wer konnte es wissen, welche Bedeutung für Wolf Datteln hatten? Tante Hufeland? Es war nicht anzunehmen, daß diese auch nur das Datum von Wolfs Geburtstag wußte. Es blieb kaum etwas andres übrig, als an Frau Mary zu denken. Dieser Gedanke verursachte eine lebhafte, frohe Unruhe, mehrte aber auch die Spannung der Ungewißheit. Wie gern hätte man dem stummen Zeugnisse der Datteln geglaubt, wenn man sich nicht vor der Möglichkeit einer Enttäuschung gefürchtet hätte. Daß Mary in hoher Er¬ regung geflohen war, das war zu versteh», nicht aber, wie sie dazu gekommen sei, sich so lange Zeit zu verbergen. Sie mußte doch wisse», welchen Schmerz sie damit ihren Lieben bereitete. Während man noch dies miteinander besprach, kam der Herr Pastor zu unge¬ wöhnlicher Zeit und mit ungewöhnlich beschleunigten Schritten an. Nachdem er kaum gegrüßt hatte, suchte er mit hastiger Eile seine Tasche durch und brachte einen Brief zum Borschein, der, wie auf den ersten Blick zu sehen war, von derselben Hand geschrieben war wie die Adresse auf Wolfs Paket. Wir haben allen Grund, Gott zu danken, rief der Herr Pastor, daß unsre Befürchtungen ungegründet waren, und daß auch für die Zukunft keine Gefahren wehr vorhanden zu sein scheinen. Aber lesen Sie selbst. Bitte, lesen Sie. Und damit reichte er den Brief dar. Er war von Frau Staatsrat Wedenbaum ge¬ schrieben und an den Herrn Pastor in Kallpillen gerichtet. Mit flüchtiger Schrift und ebenso flüchtigen Gedanken, teils in schlechtem Deutsch, teils durch eingeschobne französische Worte und Zeilen teilte Frau Staatsrat ans Genf mit, daß die schwerste Gefahr vorüber sei, daß Frau Mary die Besinnung wieder erlangt habe und wünsche, ociß sie, die Frau Staatsrat, an den Herrn Pastor schreibe. Wie Mary nach Genf gelangt sei, in welchen: Verhältnisse sie zu der Briefschreiberin stehe, wo sie sich bisher aufgehalten und warum sie bisher geschwiegen habe, darüber enthielt der Brief kein Wort. Mary habe den unsinnigen Gedanke», fuhr Frau Staatsrat fort, sogleich »ach Hause zurückkehren zu wollen. Aber davon könnte keine Rede sein. Sie sei viel zu schwach, die lange Reise nach dem Norden machen zu können, Gronzboten II 190ö 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/389>, abgerufen am 07.05.2024.