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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

hingeben, auf denen "die Hoffnung unsers Geschlechts beruht," zu beschränken,
und die Lehrer betrachten sie "als vom Staate zu ihrer Belustigung angestellte
Schauspieler einer besondern Art, die nur das sagen dürften, was solche Zu¬
hörer gern hörten." Kurz die Universität mit der ihr spezifisch eignenden, in
ihrem Zwecke liegenden Freiheit sucht diese "Menschenklasse" in "das härteste
Diensthaus" zu verwandeln, weil sie an die Stelle der durch den Zweck der
Universität gesetzten Kulturarbeit die mit diesem Zweck nicht bloß nichts gemein-
habendcn, sondern ihm diametral entgegengesetzten und feindlich widerstrebenden
Sonderinteressen des bloßen Genusses setzen, liege dieser nun in dem unmittel¬
baren Sinnenkitzel oder in der egoistischen Berechnung eines angenehmen und
glücklichen aber unverdienten sozialen Fortkommens.

Hier also liegt nach Fichte die größte und einzige Gefahr für die akademische
Freiheit. Und bei aller plumpen Possenhaftigkeit, wie er sagt, mit der die
geschilderte Menschenklasse die Freiheit gefährdet, warnt er doch davor, diese
Gefahr etwa bloß als eine "lustige Narrheit" anzusehen, wie das außerhalb
der Universitäten geschieht. Die Gefahr sei viel zu ernst und müsse auch ernst
genommen, d. h. von jedermann, wer er auch sei, bekämpft werden. Denn ohne
die akademische Freiheit, die wirklich diesen Namen verdient, die wirklich
Freiheit und wirklich akademisch ist, zum Wesen der Universität gehört, müßte
diese ihren Sinn und Wert verlieren. "Der eigentlich belebende Odem der
Universität, erklärt Fichte, die himmlische Luft, in welcher alle Früchte der¬
selben aufs fröhlichste sich entwickeln und gedeihen, ist ohne Zweifel die aka¬
demische Freiheit."




Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
Robert Thomas Tebenserinnerungen von
(Fortsetzung)

on Rastatt reisten wir über Heilbronn und Pforzheim, wo wir
auch einige Tage zum Brunnenfeste standen, zur Herbstmesse nach
Mannheim. Der Meßplatz, der in der Neckarvorstadt lag, war da¬
mals noch neu, und die angefahrnen Erdmassen füllten das große
Loch, das früher dort gewesen war. noch nicht vollständig aus. Wir
waren an einem Mittwoch angekommen und gerade mit dem Aufbauen
beschäftigt, als ein reisender Photograph in Begleitung eines Schutzmanns zu uns
kam und uns mitteilte, daß der Meßplatz durch viele Rowdys unsicher gemacht
würde. Der Schutzmann wußte uns keinen bessern Rat zu geben, als zur Selbst¬
hilfe zu greifen und uns im Notfalle an die weitentfernte Polizeiwache zu wenden.
Am Sonntag Nachmittag gegen drei Uhr war der Platz, wo ringsherum Schau¬
buden und Waffelbäckereien, in der Mitte drei Karussells standen, mit Menschen
dicht gefüllt, und das Geschäft ging vorzüglich. Gegen sieben Uhr Abends kam
eine Anzahl Sackträger, von denen fünfzehn bis achtzehn Mann unser Karussell
benutzten, aber als sie zahlen sollten, kein Geld herausrücken wollten. Wir ver¬
suchten es mit Güte und sagten ihnen, sie dürften noch einmal umsonst fahren,
sollten dann aber weitergehn, was sie auch taten. Sie gingen darauf zu andern


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

hingeben, auf denen „die Hoffnung unsers Geschlechts beruht," zu beschränken,
und die Lehrer betrachten sie „als vom Staate zu ihrer Belustigung angestellte
Schauspieler einer besondern Art, die nur das sagen dürften, was solche Zu¬
hörer gern hörten." Kurz die Universität mit der ihr spezifisch eignenden, in
ihrem Zwecke liegenden Freiheit sucht diese „Menschenklasse" in „das härteste
Diensthaus" zu verwandeln, weil sie an die Stelle der durch den Zweck der
Universität gesetzten Kulturarbeit die mit diesem Zweck nicht bloß nichts gemein-
habendcn, sondern ihm diametral entgegengesetzten und feindlich widerstrebenden
Sonderinteressen des bloßen Genusses setzen, liege dieser nun in dem unmittel¬
baren Sinnenkitzel oder in der egoistischen Berechnung eines angenehmen und
glücklichen aber unverdienten sozialen Fortkommens.

Hier also liegt nach Fichte die größte und einzige Gefahr für die akademische
Freiheit. Und bei aller plumpen Possenhaftigkeit, wie er sagt, mit der die
geschilderte Menschenklasse die Freiheit gefährdet, warnt er doch davor, diese
Gefahr etwa bloß als eine „lustige Narrheit" anzusehen, wie das außerhalb
der Universitäten geschieht. Die Gefahr sei viel zu ernst und müsse auch ernst
genommen, d. h. von jedermann, wer er auch sei, bekämpft werden. Denn ohne
die akademische Freiheit, die wirklich diesen Namen verdient, die wirklich
Freiheit und wirklich akademisch ist, zum Wesen der Universität gehört, müßte
diese ihren Sinn und Wert verlieren. „Der eigentlich belebende Odem der
Universität, erklärt Fichte, die himmlische Luft, in welcher alle Früchte der¬
selben aufs fröhlichste sich entwickeln und gedeihen, ist ohne Zweifel die aka¬
demische Freiheit."




Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
Robert Thomas Tebenserinnerungen von
(Fortsetzung)

on Rastatt reisten wir über Heilbronn und Pforzheim, wo wir
auch einige Tage zum Brunnenfeste standen, zur Herbstmesse nach
Mannheim. Der Meßplatz, der in der Neckarvorstadt lag, war da¬
mals noch neu, und die angefahrnen Erdmassen füllten das große
Loch, das früher dort gewesen war. noch nicht vollständig aus. Wir
waren an einem Mittwoch angekommen und gerade mit dem Aufbauen
beschäftigt, als ein reisender Photograph in Begleitung eines Schutzmanns zu uns
kam und uns mitteilte, daß der Meßplatz durch viele Rowdys unsicher gemacht
würde. Der Schutzmann wußte uns keinen bessern Rat zu geben, als zur Selbst¬
hilfe zu greifen und uns im Notfalle an die weitentfernte Polizeiwache zu wenden.
Am Sonntag Nachmittag gegen drei Uhr war der Platz, wo ringsherum Schau¬
buden und Waffelbäckereien, in der Mitte drei Karussells standen, mit Menschen
dicht gefüllt, und das Geschäft ging vorzüglich. Gegen sieben Uhr Abends kam
eine Anzahl Sackträger, von denen fünfzehn bis achtzehn Mann unser Karussell
benutzten, aber als sie zahlen sollten, kein Geld herausrücken wollten. Wir ver¬
suchten es mit Güte und sagten ihnen, sie dürften noch einmal umsonst fahren,
sollten dann aber weitergehn, was sie auch taten. Sie gingen darauf zu andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/491>, abgerufen am 03.05.2024.