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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Tiflis

bayrische Negierung hatte am 14. Dezember der Kammer die Verträge mit dem
Norddeutschen Bunde vorgelegt und war warm für sie eingetreten. Aber bei
der Ausschußwahl überwogen die Gegner der Verträge, und einer der ent¬
schiedensten, der Abgeordnete Jörg, wurde zum Referenten des Ausschusses ge¬
wählt. König Wilhelm sowohl wie Bismarck hielten daran fest, daß, nachdem
wegen des Kaisertitels Bayern nun einmal ein Vortritt eingeräumt worden war,
man nicht weiter fortschreiten könne, solange die deutsche Verfassungsfrage nicht
auch in Bayern endgiltig entschieden sei. Der Bundeskanzler war zwar über die
Haltung des bayrischen Landtages in hohem Grade verdrossen und eine Zeit
lang geneigt, die Kaiserproklamation auch bei einem ablehnenden Votum des
bayrischen Landtages nicht zu verschieben. Aber der König blieb auf seinem
Standpunkte, daß der Kaiser lieber gar nicht auferweckt werden solle, als daß
der Schein entstünde, Preußen hätte die Kaiserwürde zu begehren nötig gehabt.
Er wollte deshalb von einer Beeilung absolut nichts wissen, und von einer
Weihnachts-Kaiserfeier war bald keine Rede mehr.




Tiflis H. Toepfer Reiseerinnerungen von

>istis als Hauptstadt von Kaukasien ist ein getreues Abbild des
Landes, das wegen seiner Lage und seiner reichen Bodenschätze
von den ältesten Zeiten an auf die verschiednen Völker die größte
Anziehungskraft ausgeübt hat und sie in dem Streben nach
!Ruhm und Reichtum miteinander hat ringen sehen. Alle die
Völker haben ihre deutlichen Spuren hinterlassen, die alten Immer, Juden,
Griechen, Römer, Goten, Alanen, Hunnen, Araber, Geldschulden, Chasaren,
Mongolen, Genuesen und viele andre, deren Namen fast verschollen sind. Früh
strebte das Nussentum aus seinen weiten Ebnen in und durch den Bergwall des
Kaukasus, dessen es bedürfte, wenn es selber Ruhe haben wollte. Aber erst
mit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts wurden seine Beziehungen
zu den christlichen Völkern in Kaukasien fester geknüpft, die an dem glaubeus-
verwandten Moskowiterreiche ihre natürliche Anlehnung gegen das Vordringen
des Islams suchten. Diese Beziehungen führten schließlich zur Einverleibung
Kaukasiers, der mit der Besitznahme von Tiflis zwar das Siegel aufgedrückt
worden war, die aber erst nach dreiundsechzigjührigem blutigem Ringen zur voll¬
endeten Tatsache wurde. Tiflis, das 1795 von den Persern zerstört worden ist,
hat an den Wandlungen geschichtlicher Zeit seinen reichen Anteil gehabt und
ist heute, wie Kaukasien im großen, der Schauplatz mehr oder weniger friedlichen
Ringens verschiedner Nationalitüten um die Vorhand unter dem äußern Firnis


Tiflis

bayrische Negierung hatte am 14. Dezember der Kammer die Verträge mit dem
Norddeutschen Bunde vorgelegt und war warm für sie eingetreten. Aber bei
der Ausschußwahl überwogen die Gegner der Verträge, und einer der ent¬
schiedensten, der Abgeordnete Jörg, wurde zum Referenten des Ausschusses ge¬
wählt. König Wilhelm sowohl wie Bismarck hielten daran fest, daß, nachdem
wegen des Kaisertitels Bayern nun einmal ein Vortritt eingeräumt worden war,
man nicht weiter fortschreiten könne, solange die deutsche Verfassungsfrage nicht
auch in Bayern endgiltig entschieden sei. Der Bundeskanzler war zwar über die
Haltung des bayrischen Landtages in hohem Grade verdrossen und eine Zeit
lang geneigt, die Kaiserproklamation auch bei einem ablehnenden Votum des
bayrischen Landtages nicht zu verschieben. Aber der König blieb auf seinem
Standpunkte, daß der Kaiser lieber gar nicht auferweckt werden solle, als daß
der Schein entstünde, Preußen hätte die Kaiserwürde zu begehren nötig gehabt.
Er wollte deshalb von einer Beeilung absolut nichts wissen, und von einer
Weihnachts-Kaiserfeier war bald keine Rede mehr.




Tiflis H. Toepfer Reiseerinnerungen von

>istis als Hauptstadt von Kaukasien ist ein getreues Abbild des
Landes, das wegen seiner Lage und seiner reichen Bodenschätze
von den ältesten Zeiten an auf die verschiednen Völker die größte
Anziehungskraft ausgeübt hat und sie in dem Streben nach
!Ruhm und Reichtum miteinander hat ringen sehen. Alle die
Völker haben ihre deutlichen Spuren hinterlassen, die alten Immer, Juden,
Griechen, Römer, Goten, Alanen, Hunnen, Araber, Geldschulden, Chasaren,
Mongolen, Genuesen und viele andre, deren Namen fast verschollen sind. Früh
strebte das Nussentum aus seinen weiten Ebnen in und durch den Bergwall des
Kaukasus, dessen es bedürfte, wenn es selber Ruhe haben wollte. Aber erst
mit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts wurden seine Beziehungen
zu den christlichen Völkern in Kaukasien fester geknüpft, die an dem glaubeus-
verwandten Moskowiterreiche ihre natürliche Anlehnung gegen das Vordringen
des Islams suchten. Diese Beziehungen führten schließlich zur Einverleibung
Kaukasiers, der mit der Besitznahme von Tiflis zwar das Siegel aufgedrückt
worden war, die aber erst nach dreiundsechzigjührigem blutigem Ringen zur voll¬
endeten Tatsache wurde. Tiflis, das 1795 von den Persern zerstört worden ist,
hat an den Wandlungen geschichtlicher Zeit seinen reichen Anteil gehabt und
ist heute, wie Kaukasien im großen, der Schauplatz mehr oder weniger friedlichen
Ringens verschiedner Nationalitüten um die Vorhand unter dem äußern Firnis


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[0162] Tiflis bayrische Negierung hatte am 14. Dezember der Kammer die Verträge mit dem Norddeutschen Bunde vorgelegt und war warm für sie eingetreten. Aber bei der Ausschußwahl überwogen die Gegner der Verträge, und einer der ent¬ schiedensten, der Abgeordnete Jörg, wurde zum Referenten des Ausschusses ge¬ wählt. König Wilhelm sowohl wie Bismarck hielten daran fest, daß, nachdem wegen des Kaisertitels Bayern nun einmal ein Vortritt eingeräumt worden war, man nicht weiter fortschreiten könne, solange die deutsche Verfassungsfrage nicht auch in Bayern endgiltig entschieden sei. Der Bundeskanzler war zwar über die Haltung des bayrischen Landtages in hohem Grade verdrossen und eine Zeit lang geneigt, die Kaiserproklamation auch bei einem ablehnenden Votum des bayrischen Landtages nicht zu verschieben. Aber der König blieb auf seinem Standpunkte, daß der Kaiser lieber gar nicht auferweckt werden solle, als daß der Schein entstünde, Preußen hätte die Kaiserwürde zu begehren nötig gehabt. Er wollte deshalb von einer Beeilung absolut nichts wissen, und von einer Weihnachts-Kaiserfeier war bald keine Rede mehr. Tiflis H. Toepfer Reiseerinnerungen von >istis als Hauptstadt von Kaukasien ist ein getreues Abbild des Landes, das wegen seiner Lage und seiner reichen Bodenschätze von den ältesten Zeiten an auf die verschiednen Völker die größte Anziehungskraft ausgeübt hat und sie in dem Streben nach !Ruhm und Reichtum miteinander hat ringen sehen. Alle die Völker haben ihre deutlichen Spuren hinterlassen, die alten Immer, Juden, Griechen, Römer, Goten, Alanen, Hunnen, Araber, Geldschulden, Chasaren, Mongolen, Genuesen und viele andre, deren Namen fast verschollen sind. Früh strebte das Nussentum aus seinen weiten Ebnen in und durch den Bergwall des Kaukasus, dessen es bedürfte, wenn es selber Ruhe haben wollte. Aber erst mit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts wurden seine Beziehungen zu den christlichen Völkern in Kaukasien fester geknüpft, die an dem glaubeus- verwandten Moskowiterreiche ihre natürliche Anlehnung gegen das Vordringen des Islams suchten. Diese Beziehungen führten schließlich zur Einverleibung Kaukasiers, der mit der Besitznahme von Tiflis zwar das Siegel aufgedrückt worden war, die aber erst nach dreiundsechzigjührigem blutigem Ringen zur voll¬ endeten Tatsache wurde. Tiflis, das 1795 von den Persern zerstört worden ist, hat an den Wandlungen geschichtlicher Zeit seinen reichen Anteil gehabt und ist heute, wie Kaukasien im großen, der Schauplatz mehr oder weniger friedlichen Ringens verschiedner Nationalitüten um die Vorhand unter dem äußern Firnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/162>, abgerufen am 29.04.2024.