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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Bernstorffs

braucht hier nicht auf Parlamentarier und Parteien hinzuweisen, wenn man
beweisen will, daß sich dieser Vorgang schon während der Diütenlosigkeit gezeigt
hat und von allen einsichtigen Politikern wie Freunden des Parlaments auch
als Zeichen des Niedergangs gedeutet worden ist. Was schon bei der Diäten¬
losigkeit möglich war, wird nun wie in andern Ländern in rascheren Tempo
vor sich gehn. Daraus wird sich eine schwere Gefahr für den Parlamentarismus
entwickeln, weil der Reichstag bald in die Bahnen des preußischen Abgeordneten¬
hauses zur Konsliktszeit einlenken würde. Seine innere Natur, seine Zusammen¬
setzung werden ihn dazu treiben. Die Reichsverfassung vertrüge aber keinen
Konflikt, und darum wird der deutsche Parlamentarismus in eine Krise hinein¬
treiben, die ihm nur verderblich sein kann. Das erste Jahrzehnt des deutschen
Parlaments hat mit einem Zug ins große eingesetzt und dem deutschen Namen
zu dem Respekt vor den gewaltigen Wasfenerfolgen im Auslande große Achtung
erworben. Das fünfte Jahrzehnt beginnt mit der Aussicht auf eine rasche
Entwicklung des schon seit drei Jahrzehnten deutlich bemerkbar gewordnen
Niedergangs. Wenn heute in Parlamentsreden und in Parteizeitungen viel
von der Abnahme unsers Ansehens im Auslande zu vernehmen ist, so mögen
doch auch alle, die so reden und schreiben, ernstlich mit in Betracht ziehen,
welchen Anteil daran, neben dem natürlichen Verlust unsrer Führer in großer
Zeit, der Rückgang unsers parlamentarischen Ansehens verschuldet hat.




Die Bernstorffs

le glücklichsten Völker -- wenn man diesen Begriff überhaupt
gelten lassen will -- sind heutzutage nicht die großen Nationen,
bei denen der immerwährende Kampf um einen "Platz an der
Sonne" wohl eine Unsumme von Tatkraft und Tätigkeit, aber
auch von Unrast und Unzufriedenheit erzeugt, sondern die kleinen
Nationen, wie die Schweizer und die Dünen, die wenig verstrickt in die Händel
der Weltpolitik in guten Erwerbsverhültnissen und festhaltend an mancher be¬
haglichen Eigentümlichkeit den Eindruck glücklichen Gedeihens machen. Welcher
Genuß ist es z. V., in Kopenhagen oder in den die herrliche Stadt umgebenden
Landorten und Seebädern das dünische Volkstum zu beobachten. Nicht nur
der Mann des städtischen Mittelstandes, sondern auch der gutgekleidete Arbeiter,
der meist als gewerblicher oder seemännischer Gehilfe oder als Markthelfer der
großen Handelshäuser sein Brot verdient -- eigentliche Fabrikarbeit ist zum
Heile des Landes in Dünemark wenig entwickelt --, macht dort einen selbst-
bewußten und fröhlichen Eindruck.


Die Bernstorffs

braucht hier nicht auf Parlamentarier und Parteien hinzuweisen, wenn man
beweisen will, daß sich dieser Vorgang schon während der Diütenlosigkeit gezeigt
hat und von allen einsichtigen Politikern wie Freunden des Parlaments auch
als Zeichen des Niedergangs gedeutet worden ist. Was schon bei der Diäten¬
losigkeit möglich war, wird nun wie in andern Ländern in rascheren Tempo
vor sich gehn. Daraus wird sich eine schwere Gefahr für den Parlamentarismus
entwickeln, weil der Reichstag bald in die Bahnen des preußischen Abgeordneten¬
hauses zur Konsliktszeit einlenken würde. Seine innere Natur, seine Zusammen¬
setzung werden ihn dazu treiben. Die Reichsverfassung vertrüge aber keinen
Konflikt, und darum wird der deutsche Parlamentarismus in eine Krise hinein¬
treiben, die ihm nur verderblich sein kann. Das erste Jahrzehnt des deutschen
Parlaments hat mit einem Zug ins große eingesetzt und dem deutschen Namen
zu dem Respekt vor den gewaltigen Wasfenerfolgen im Auslande große Achtung
erworben. Das fünfte Jahrzehnt beginnt mit der Aussicht auf eine rasche
Entwicklung des schon seit drei Jahrzehnten deutlich bemerkbar gewordnen
Niedergangs. Wenn heute in Parlamentsreden und in Parteizeitungen viel
von der Abnahme unsers Ansehens im Auslande zu vernehmen ist, so mögen
doch auch alle, die so reden und schreiben, ernstlich mit in Betracht ziehen,
welchen Anteil daran, neben dem natürlichen Verlust unsrer Führer in großer
Zeit, der Rückgang unsers parlamentarischen Ansehens verschuldet hat.




Die Bernstorffs

le glücklichsten Völker — wenn man diesen Begriff überhaupt
gelten lassen will — sind heutzutage nicht die großen Nationen,
bei denen der immerwährende Kampf um einen „Platz an der
Sonne" wohl eine Unsumme von Tatkraft und Tätigkeit, aber
auch von Unrast und Unzufriedenheit erzeugt, sondern die kleinen
Nationen, wie die Schweizer und die Dünen, die wenig verstrickt in die Händel
der Weltpolitik in guten Erwerbsverhültnissen und festhaltend an mancher be¬
haglichen Eigentümlichkeit den Eindruck glücklichen Gedeihens machen. Welcher
Genuß ist es z. V., in Kopenhagen oder in den die herrliche Stadt umgebenden
Landorten und Seebädern das dünische Volkstum zu beobachten. Nicht nur
der Mann des städtischen Mittelstandes, sondern auch der gutgekleidete Arbeiter,
der meist als gewerblicher oder seemännischer Gehilfe oder als Markthelfer der
großen Handelshäuser sein Brot verdient — eigentliche Fabrikarbeit ist zum
Heile des Landes in Dünemark wenig entwickelt —, macht dort einen selbst-
bewußten und fröhlichen Eindruck.


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[0248] Die Bernstorffs braucht hier nicht auf Parlamentarier und Parteien hinzuweisen, wenn man beweisen will, daß sich dieser Vorgang schon während der Diütenlosigkeit gezeigt hat und von allen einsichtigen Politikern wie Freunden des Parlaments auch als Zeichen des Niedergangs gedeutet worden ist. Was schon bei der Diäten¬ losigkeit möglich war, wird nun wie in andern Ländern in rascheren Tempo vor sich gehn. Daraus wird sich eine schwere Gefahr für den Parlamentarismus entwickeln, weil der Reichstag bald in die Bahnen des preußischen Abgeordneten¬ hauses zur Konsliktszeit einlenken würde. Seine innere Natur, seine Zusammen¬ setzung werden ihn dazu treiben. Die Reichsverfassung vertrüge aber keinen Konflikt, und darum wird der deutsche Parlamentarismus in eine Krise hinein¬ treiben, die ihm nur verderblich sein kann. Das erste Jahrzehnt des deutschen Parlaments hat mit einem Zug ins große eingesetzt und dem deutschen Namen zu dem Respekt vor den gewaltigen Wasfenerfolgen im Auslande große Achtung erworben. Das fünfte Jahrzehnt beginnt mit der Aussicht auf eine rasche Entwicklung des schon seit drei Jahrzehnten deutlich bemerkbar gewordnen Niedergangs. Wenn heute in Parlamentsreden und in Parteizeitungen viel von der Abnahme unsers Ansehens im Auslande zu vernehmen ist, so mögen doch auch alle, die so reden und schreiben, ernstlich mit in Betracht ziehen, welchen Anteil daran, neben dem natürlichen Verlust unsrer Führer in großer Zeit, der Rückgang unsers parlamentarischen Ansehens verschuldet hat. Die Bernstorffs le glücklichsten Völker — wenn man diesen Begriff überhaupt gelten lassen will — sind heutzutage nicht die großen Nationen, bei denen der immerwährende Kampf um einen „Platz an der Sonne" wohl eine Unsumme von Tatkraft und Tätigkeit, aber auch von Unrast und Unzufriedenheit erzeugt, sondern die kleinen Nationen, wie die Schweizer und die Dünen, die wenig verstrickt in die Händel der Weltpolitik in guten Erwerbsverhültnissen und festhaltend an mancher be¬ haglichen Eigentümlichkeit den Eindruck glücklichen Gedeihens machen. Welcher Genuß ist es z. V., in Kopenhagen oder in den die herrliche Stadt umgebenden Landorten und Seebädern das dünische Volkstum zu beobachten. Nicht nur der Mann des städtischen Mittelstandes, sondern auch der gutgekleidete Arbeiter, der meist als gewerblicher oder seemännischer Gehilfe oder als Markthelfer der großen Handelshäuser sein Brot verdient — eigentliche Fabrikarbeit ist zum Heile des Landes in Dünemark wenig entwickelt —, macht dort einen selbst- bewußten und fröhlichen Eindruck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/248>, abgerufen am 29.04.2024.