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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Gastfreundschaft in Transkaspiett

können. Gaben wie diese beiden dänischen, ohne Prätension dargeboten, soll
man aber willkommen heißen. Man soll es doppelt, wenn die Übertragung
so gut ist. Kiy ist mehr im Dänischen geblieben, Mathilde Mann hat sich
bemüht, den "Hans im Glück" zu einem deutschen Buche umzuschaffen. Es
ist ihr glänzend gelungen, und die Grenzbotenleser werden sich besonders
freuen, dieser auf den grünen Blättern oft erprobten Kunst in solcher
Vollendung wieder zu begegnen.

Ich habe vorhin von den ästhetischen Grenzen des Romans gesprochen.
Auch wenn er nicht, wie zumeist. "Weltbild" ist. breitet er seine Konflikte
aus, spannt sie in einen großen Rahmen und entwickelt sie nach allen Seiten.
Demgegenüber versucht die strengere Kunstform der Novelle, einen einzigen
Konflikt wie in einem Vrennspiegel aufzufangen und mit sich selbst zum Austrag
zu bringen. Es gehört zu den höchsten künstlerischen Genüssen, so einer feinen
Arbeit zu folgen, wie Heyse, Storm, Keller, Meyer ihrer Meister sind und
waren. Adolf Stern, der nun auch schon die Grenze der siebzig rüstig über¬
schritten hat, kommt ihnen besonders dann nahe, wenn er seinen Stoff aus der
farbigen Vergangenheit holt. Wie in seinen Essays schreitet er auch in seinen
Dichtungen mit langsamer Spürkraft vor, zieht uns gemach mit, und ohne
Stürme im Herzen aufzupeitschen, gibt er doch den reinen Klang seiner bewegten
Seele an uns hinüber. Seine "Venezianischen Novellen" und der Band "Aus
dunklen Tagen" sind ja bekannt und besonders den Lesern dieser Blätter
gewiß keine Fremden. Trotzdem möchte ich auf beide Sammlungen hier noch
einmal hingewiesen haben, nachdem sie der rührige Gutenberg-Verlag Dr. Ernst
Schnitze (in Hamburg) in gewühlter Ausstattung neu herausgegeben hat.
Unser ganzes "literarisches Leben hat dem stillen Dresdner Schriftsteller, der
soviel für die großen Realisten der sechziger Jahre und manchen andern getan
hat, so reiche Dankesschuld abzutragen, daß ein bescheidner Gruß wie dieser
noch kaum ins Gewicht fällt. Möge er als Sö^s ä'ol,^ 5" auf¬
Heinrich Spiero genommen werden!




Russische Gastfreundschaft in Transkaspien
H. Toepfer Reiseerinnerungen von

in Morgen nach zwölfstündiger Fahrt erschien die transkaspische
Küste in Sicht. Groß war die Freude, daß wir trotz Warnungen,
Unkenrufen, Aufstand und Verkehrsstörung zum erwünschten Ziele
gelangten. Der Dampfer hielt den Kurs auf die ziemlich schmale
-^Einfahrt zwischen der Tschelekeninsel und dem äußersten Ende
er in eine ganz schmale Sandbank auslaufenden Bekowitschhalbinsel, die die
^al von Krasnowodsk nach Westen abschließt und an breitern Stellen Fischer-
lnederlassungen aufweist. Das Kaspische Meer hatte sich uns günstig gezeigt.


Russische Gastfreundschaft in Transkaspiett

können. Gaben wie diese beiden dänischen, ohne Prätension dargeboten, soll
man aber willkommen heißen. Man soll es doppelt, wenn die Übertragung
so gut ist. Kiy ist mehr im Dänischen geblieben, Mathilde Mann hat sich
bemüht, den „Hans im Glück" zu einem deutschen Buche umzuschaffen. Es
ist ihr glänzend gelungen, und die Grenzbotenleser werden sich besonders
freuen, dieser auf den grünen Blättern oft erprobten Kunst in solcher
Vollendung wieder zu begegnen.

Ich habe vorhin von den ästhetischen Grenzen des Romans gesprochen.
Auch wenn er nicht, wie zumeist. „Weltbild" ist. breitet er seine Konflikte
aus, spannt sie in einen großen Rahmen und entwickelt sie nach allen Seiten.
Demgegenüber versucht die strengere Kunstform der Novelle, einen einzigen
Konflikt wie in einem Vrennspiegel aufzufangen und mit sich selbst zum Austrag
zu bringen. Es gehört zu den höchsten künstlerischen Genüssen, so einer feinen
Arbeit zu folgen, wie Heyse, Storm, Keller, Meyer ihrer Meister sind und
waren. Adolf Stern, der nun auch schon die Grenze der siebzig rüstig über¬
schritten hat, kommt ihnen besonders dann nahe, wenn er seinen Stoff aus der
farbigen Vergangenheit holt. Wie in seinen Essays schreitet er auch in seinen
Dichtungen mit langsamer Spürkraft vor, zieht uns gemach mit, und ohne
Stürme im Herzen aufzupeitschen, gibt er doch den reinen Klang seiner bewegten
Seele an uns hinüber. Seine „Venezianischen Novellen" und der Band „Aus
dunklen Tagen" sind ja bekannt und besonders den Lesern dieser Blätter
gewiß keine Fremden. Trotzdem möchte ich auf beide Sammlungen hier noch
einmal hingewiesen haben, nachdem sie der rührige Gutenberg-Verlag Dr. Ernst
Schnitze (in Hamburg) in gewühlter Ausstattung neu herausgegeben hat.
Unser ganzes "literarisches Leben hat dem stillen Dresdner Schriftsteller, der
soviel für die großen Realisten der sechziger Jahre und manchen andern getan
hat, so reiche Dankesschuld abzutragen, daß ein bescheidner Gruß wie dieser
noch kaum ins Gewicht fällt. Möge er als Sö^s ä'ol,^ 5« auf¬
Heinrich Spiero genommen werden!




Russische Gastfreundschaft in Transkaspien
H. Toepfer Reiseerinnerungen von

in Morgen nach zwölfstündiger Fahrt erschien die transkaspische
Küste in Sicht. Groß war die Freude, daß wir trotz Warnungen,
Unkenrufen, Aufstand und Verkehrsstörung zum erwünschten Ziele
gelangten. Der Dampfer hielt den Kurs auf die ziemlich schmale
-^Einfahrt zwischen der Tschelekeninsel und dem äußersten Ende
er in eine ganz schmale Sandbank auslaufenden Bekowitschhalbinsel, die die
^al von Krasnowodsk nach Westen abschließt und an breitern Stellen Fischer-
lnederlassungen aufweist. Das Kaspische Meer hatte sich uns günstig gezeigt.


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[0423] Russische Gastfreundschaft in Transkaspiett können. Gaben wie diese beiden dänischen, ohne Prätension dargeboten, soll man aber willkommen heißen. Man soll es doppelt, wenn die Übertragung so gut ist. Kiy ist mehr im Dänischen geblieben, Mathilde Mann hat sich bemüht, den „Hans im Glück" zu einem deutschen Buche umzuschaffen. Es ist ihr glänzend gelungen, und die Grenzbotenleser werden sich besonders freuen, dieser auf den grünen Blättern oft erprobten Kunst in solcher Vollendung wieder zu begegnen. Ich habe vorhin von den ästhetischen Grenzen des Romans gesprochen. Auch wenn er nicht, wie zumeist. „Weltbild" ist. breitet er seine Konflikte aus, spannt sie in einen großen Rahmen und entwickelt sie nach allen Seiten. Demgegenüber versucht die strengere Kunstform der Novelle, einen einzigen Konflikt wie in einem Vrennspiegel aufzufangen und mit sich selbst zum Austrag zu bringen. Es gehört zu den höchsten künstlerischen Genüssen, so einer feinen Arbeit zu folgen, wie Heyse, Storm, Keller, Meyer ihrer Meister sind und waren. Adolf Stern, der nun auch schon die Grenze der siebzig rüstig über¬ schritten hat, kommt ihnen besonders dann nahe, wenn er seinen Stoff aus der farbigen Vergangenheit holt. Wie in seinen Essays schreitet er auch in seinen Dichtungen mit langsamer Spürkraft vor, zieht uns gemach mit, und ohne Stürme im Herzen aufzupeitschen, gibt er doch den reinen Klang seiner bewegten Seele an uns hinüber. Seine „Venezianischen Novellen" und der Band „Aus dunklen Tagen" sind ja bekannt und besonders den Lesern dieser Blätter gewiß keine Fremden. Trotzdem möchte ich auf beide Sammlungen hier noch einmal hingewiesen haben, nachdem sie der rührige Gutenberg-Verlag Dr. Ernst Schnitze (in Hamburg) in gewühlter Ausstattung neu herausgegeben hat. Unser ganzes "literarisches Leben hat dem stillen Dresdner Schriftsteller, der soviel für die großen Realisten der sechziger Jahre und manchen andern getan hat, so reiche Dankesschuld abzutragen, daß ein bescheidner Gruß wie dieser noch kaum ins Gewicht fällt. Möge er als Sö^s ä'ol,^ 5« auf¬ Heinrich Spiero genommen werden! Russische Gastfreundschaft in Transkaspien H. Toepfer Reiseerinnerungen von in Morgen nach zwölfstündiger Fahrt erschien die transkaspische Küste in Sicht. Groß war die Freude, daß wir trotz Warnungen, Unkenrufen, Aufstand und Verkehrsstörung zum erwünschten Ziele gelangten. Der Dampfer hielt den Kurs auf die ziemlich schmale -^Einfahrt zwischen der Tschelekeninsel und dem äußersten Ende er in eine ganz schmale Sandbank auslaufenden Bekowitschhalbinsel, die die ^al von Krasnowodsk nach Westen abschließt und an breitern Stellen Fischer- lnederlassungen aufweist. Das Kaspische Meer hatte sich uns günstig gezeigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/423>, abgerufen am 29.04.2024.