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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Briefe

Daten angewiesen. Die Ergebnisse der Volkszählungen von 1390 und 1900
zeigen, daß sich das Zahlenverhältnis der deutschen und der polnischen Be¬
völkerung in diesen zehn Jahren zum Nachteil der Deutschen um jährlich
zehn- bis zwölftausend Köpfe verschoben hat. Die Tätigkeit der Anstedlungs-
kommission war also völlig außerstande, den Vorsprung der Polen auszu¬
gleichen. Seit etwa vier Jahren ist es anders geworden. Im Jahre 1902
schnellte die Zahl der mit Ansiedlern neu besetzten Stellen plötzlich von 400
auf 1200 in die Höhe und stieg dann weiter bis auf 1527 im Jahre 1905
mit dem hocherfreulichen Resultat, daß ein Zurückdrängen des deutschen Elements
in diesem letztgenannten Jahre nicht mehr festgestellt werden konnte. Wir sehen
also, erst die Ausdehnung, die das Kolonisationswerk heute erreicht hat, ge¬
nügt, den Polen gegenüber den staws uno g.no sowohl im Grundbesitz als in
bezug auf die Kopfzahl in den Ansiedlungsprovinzen zu behaupten. Der Land¬
erwerb der Ansiedlungskommission betrug im letzten Berichtsjahre etwa 35000
Hektar nud die auf den Ansiedlungsgütern untergebrachte deutsche Bevölkerungetwa 10000 Köpfe. Diese Zahlen zu erreichen, wird auch in der Zukunft
""ser Bestreben sein müssen. Im übrigen werden wir gut daran tun. unsern
Gegner höhnen und drohen zu lassen, so viel er will, keinesfalls ihm das
Legen von Konterminen dadurch zu erleichtern, daß wir unsre Karten vor ihm
aufdecken. Unsre Sache steht freilich so gut. daß auch die größten Anstrengungen
des Gegners uns keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten können aber
sie halten uns auf in unserm Siegeslauf, und deshalb heiße unsre Losung:
"Ans Ziel", und unser Feldgeschrei: "Kraftvoll und schweigsam."




Russische Briefe
George Lleinow von

is am 9. (22.) Juli früh die Petersburger die Köpfe hinaus¬
stecken, sind sie überrascht. Was ist vorgefallen? Die Stadt ist
in ein Heerlager verwandelt, starke Militärabteilungen durchzieh"
zu Fuß und zu Pferde die Straßen. Vor einigen Hoftoren ist die
Uniform von Artilleristen zu erkennen. Am Nikolajbcihnhof, aus
ein Kasanplatz stehn Kanonen, da und dort Maschinengewehre! Wozu? Was
U geschehn? Endlich fällt der Blick auf ein großes weißes Plakat an einer
Hausecke. Die dicken, schwarzen Lettern lassen erkennen: ..Wir, Nikolaus derZMM
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t>'MM^"sDAha! ein Manifest! die Duma ist aufgelöst! Welche Überraschung!
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area hatte niemand gedacht! Ach, nun versteh ich, wozu die Truppen da
Und, denkt der friedliche Bürger. "Stolypin -- maladjetz!" -- ein tüchtiger


Russische Briefe

Daten angewiesen. Die Ergebnisse der Volkszählungen von 1390 und 1900
zeigen, daß sich das Zahlenverhältnis der deutschen und der polnischen Be¬
völkerung in diesen zehn Jahren zum Nachteil der Deutschen um jährlich
zehn- bis zwölftausend Köpfe verschoben hat. Die Tätigkeit der Anstedlungs-
kommission war also völlig außerstande, den Vorsprung der Polen auszu¬
gleichen. Seit etwa vier Jahren ist es anders geworden. Im Jahre 1902
schnellte die Zahl der mit Ansiedlern neu besetzten Stellen plötzlich von 400
auf 1200 in die Höhe und stieg dann weiter bis auf 1527 im Jahre 1905
mit dem hocherfreulichen Resultat, daß ein Zurückdrängen des deutschen Elements
in diesem letztgenannten Jahre nicht mehr festgestellt werden konnte. Wir sehen
also, erst die Ausdehnung, die das Kolonisationswerk heute erreicht hat, ge¬
nügt, den Polen gegenüber den staws uno g.no sowohl im Grundbesitz als in
bezug auf die Kopfzahl in den Ansiedlungsprovinzen zu behaupten. Der Land¬
erwerb der Ansiedlungskommission betrug im letzten Berichtsjahre etwa 35000
Hektar nud die auf den Ansiedlungsgütern untergebrachte deutsche Bevölkerungetwa 10000 Köpfe. Diese Zahlen zu erreichen, wird auch in der Zukunft
""ser Bestreben sein müssen. Im übrigen werden wir gut daran tun. unsern
Gegner höhnen und drohen zu lassen, so viel er will, keinesfalls ihm das
Legen von Konterminen dadurch zu erleichtern, daß wir unsre Karten vor ihm
aufdecken. Unsre Sache steht freilich so gut. daß auch die größten Anstrengungen
des Gegners uns keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten können aber
sie halten uns auf in unserm Siegeslauf, und deshalb heiße unsre Losung:
"Ans Ziel", und unser Feldgeschrei: „Kraftvoll und schweigsam."




Russische Briefe
George Lleinow von

is am 9. (22.) Juli früh die Petersburger die Köpfe hinaus¬
stecken, sind sie überrascht. Was ist vorgefallen? Die Stadt ist
in ein Heerlager verwandelt, starke Militärabteilungen durchzieh»
zu Fuß und zu Pferde die Straßen. Vor einigen Hoftoren ist die
Uniform von Artilleristen zu erkennen. Am Nikolajbcihnhof, aus
ein Kasanplatz stehn Kanonen, da und dort Maschinengewehre! Wozu? Was
U geschehn? Endlich fällt der Blick auf ein großes weißes Plakat an einer
Hausecke. Die dicken, schwarzen Lettern lassen erkennen: ..Wir, Nikolaus derZMM
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Und, denkt der friedliche Bürger. „Stolypin — maladjetz!" — ein tüchtiger


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[0523] Russische Briefe Daten angewiesen. Die Ergebnisse der Volkszählungen von 1390 und 1900 zeigen, daß sich das Zahlenverhältnis der deutschen und der polnischen Be¬ völkerung in diesen zehn Jahren zum Nachteil der Deutschen um jährlich zehn- bis zwölftausend Köpfe verschoben hat. Die Tätigkeit der Anstedlungs- kommission war also völlig außerstande, den Vorsprung der Polen auszu¬ gleichen. Seit etwa vier Jahren ist es anders geworden. Im Jahre 1902 schnellte die Zahl der mit Ansiedlern neu besetzten Stellen plötzlich von 400 auf 1200 in die Höhe und stieg dann weiter bis auf 1527 im Jahre 1905 mit dem hocherfreulichen Resultat, daß ein Zurückdrängen des deutschen Elements in diesem letztgenannten Jahre nicht mehr festgestellt werden konnte. Wir sehen also, erst die Ausdehnung, die das Kolonisationswerk heute erreicht hat, ge¬ nügt, den Polen gegenüber den staws uno g.no sowohl im Grundbesitz als in bezug auf die Kopfzahl in den Ansiedlungsprovinzen zu behaupten. Der Land¬ erwerb der Ansiedlungskommission betrug im letzten Berichtsjahre etwa 35000 Hektar nud die auf den Ansiedlungsgütern untergebrachte deutsche Bevölkerungetwa 10000 Köpfe. Diese Zahlen zu erreichen, wird auch in der Zukunft ""ser Bestreben sein müssen. Im übrigen werden wir gut daran tun. unsern Gegner höhnen und drohen zu lassen, so viel er will, keinesfalls ihm das Legen von Konterminen dadurch zu erleichtern, daß wir unsre Karten vor ihm aufdecken. Unsre Sache steht freilich so gut. daß auch die größten Anstrengungen des Gegners uns keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten können aber sie halten uns auf in unserm Siegeslauf, und deshalb heiße unsre Losung: "Ans Ziel", und unser Feldgeschrei: „Kraftvoll und schweigsam." Russische Briefe George Lleinow von is am 9. (22.) Juli früh die Petersburger die Köpfe hinaus¬ stecken, sind sie überrascht. Was ist vorgefallen? Die Stadt ist in ein Heerlager verwandelt, starke Militärabteilungen durchzieh» zu Fuß und zu Pferde die Straßen. Vor einigen Hoftoren ist die Uniform von Artilleristen zu erkennen. Am Nikolajbcihnhof, aus ein Kasanplatz stehn Kanonen, da und dort Maschinengewehre! Wozu? Was U geschehn? Endlich fällt der Blick auf ein großes weißes Plakat an einer Hausecke. Die dicken, schwarzen Lettern lassen erkennen: ..Wir, Nikolaus derZMM WM^ t>'MM^»sDAha! ein Manifest! die Duma ist aufgelöst! Welche Überraschung! ^. 5,»,, A.-^UIt>^> area hatte niemand gedacht! Ach, nun versteh ich, wozu die Truppen da Und, denkt der friedliche Bürger. „Stolypin — maladjetz!" — ein tüchtiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/523>, abgerufen am 29.04.2024.