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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die "Eigenart" der Gymnasien
Lin Gespräch zwischen zwei Schulmännern

v.^", h, es ist mir lieb, daß ich Sie treffe.

Was ist denn? Sie sind ja ordentlich erregt.

Na, da soll einer seine Ruhe behalten! Wissen Sie, wo ich
her komme?

Nein, Verehrter, so deutlich ist die Schrift Ihrer Züge doch
noch nicht. Aber so viel sehe ich, daß Sie sich geärgert haben.

Ja, das habe ich allerdings. Ich komme aus der Versammlung des Vereins
für Schulreform.

Aha, da haben mirs! Geschieht Ihnen ganz recht. Warum gehen Sie dahin?

Aber, lieber Kollege, ich denke, wir wollen doch objektive Leute sein. Ich
hielt es für meine Pflicht, auch den Gegner anzuhören.

Hin; die andern, finde ich, sind weniger objektiv, geben sich gar keine Mühe,
den Gegner zu verstehn: es sind Unentwegte, die sich auf solche Kleinigkeiten
wie ernsthafte Erörterungen gar nicht einlassen. Wozu auch? Der Standpunkt
ist ja doch so einfach: Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, die oller Griechen
und Römer gibts ja schon lange nicht mehr, was sollen uns tote Sprachen,
wo wir die lebenden so nötig haben, um vorwärts zu kommen?

Na, ganz so schlimm sind sie nun wohl doch nicht.

Doch, Collegci. Was weniger schlimm scheint, ist nur Höflichkeit. Wen"
wir das weglassen und nur des Herzens wahre Meinung ansehn, so sind wir
völlig geschiedne Leute. Da gibt es keine Verständigung mehr.

Aber das wäre doch traurig.

Warum denn, muß es denn überall eine Verständigung geben?

In so wichtigen Sachen, ja, doch muß sich ein Mittelweg finden lassen.

Nein, eben "nicht. Dieser Mittelweg ist ein Phantom, das einen nur auf
Irrwege lockt. Übrigens, Sie scheinen doch die gewünschte Verständigung auch
nicht gefunden zu haben, sonst wäre ja Ihre Erregung unbegründet.

Ich hatte keine Gelegenheit, mich mit den maßgebenden Personen ruhig
zu unterhalten. Die Versammlung verlief ziemlich stürmisch, die Behauptungen
einzelner Redner waren auch so maßlos übertrieben, daß man sie eigentlich nicht
ernst nehmen konnte.

El el, lieber Freund, wenn Sie sich da nnr nicht irren. Ich sage Ihnen,
die nehmen das, was Ihnen maßlose Übertreibung scheint, verteufelt ernst.

Ja, was wollen Sie denn tun?

Zunächst nicht hingehn, wie ich schon sagte. Die Leute ruhig sich aus¬
toben und vor allen Dingen ihre Experimente machen lassen.
"

Sie meinen, die Sache sich "historisch entwickeln lassen, wie Sie so gern sagen-

Ganz richtig.

Ja, da kann aber unterdessen viel Unheil geschehen.




Die „Eigenart" der Gymnasien
Lin Gespräch zwischen zwei Schulmännern

v.^«, h, es ist mir lieb, daß ich Sie treffe.

Was ist denn? Sie sind ja ordentlich erregt.

Na, da soll einer seine Ruhe behalten! Wissen Sie, wo ich
her komme?

Nein, Verehrter, so deutlich ist die Schrift Ihrer Züge doch
noch nicht. Aber so viel sehe ich, daß Sie sich geärgert haben.

Ja, das habe ich allerdings. Ich komme aus der Versammlung des Vereins
für Schulreform.

Aha, da haben mirs! Geschieht Ihnen ganz recht. Warum gehen Sie dahin?

Aber, lieber Kollege, ich denke, wir wollen doch objektive Leute sein. Ich
hielt es für meine Pflicht, auch den Gegner anzuhören.

Hin; die andern, finde ich, sind weniger objektiv, geben sich gar keine Mühe,
den Gegner zu verstehn: es sind Unentwegte, die sich auf solche Kleinigkeiten
wie ernsthafte Erörterungen gar nicht einlassen. Wozu auch? Der Standpunkt
ist ja doch so einfach: Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, die oller Griechen
und Römer gibts ja schon lange nicht mehr, was sollen uns tote Sprachen,
wo wir die lebenden so nötig haben, um vorwärts zu kommen?

Na, ganz so schlimm sind sie nun wohl doch nicht.

Doch, Collegci. Was weniger schlimm scheint, ist nur Höflichkeit. Wen«
wir das weglassen und nur des Herzens wahre Meinung ansehn, so sind wir
völlig geschiedne Leute. Da gibt es keine Verständigung mehr.

Aber das wäre doch traurig.

Warum denn, muß es denn überall eine Verständigung geben?

In so wichtigen Sachen, ja, doch muß sich ein Mittelweg finden lassen.

Nein, eben „nicht. Dieser Mittelweg ist ein Phantom, das einen nur auf
Irrwege lockt. Übrigens, Sie scheinen doch die gewünschte Verständigung auch
nicht gefunden zu haben, sonst wäre ja Ihre Erregung unbegründet.

Ich hatte keine Gelegenheit, mich mit den maßgebenden Personen ruhig
zu unterhalten. Die Versammlung verlief ziemlich stürmisch, die Behauptungen
einzelner Redner waren auch so maßlos übertrieben, daß man sie eigentlich nicht
ernst nehmen konnte.

El el, lieber Freund, wenn Sie sich da nnr nicht irren. Ich sage Ihnen,
die nehmen das, was Ihnen maßlose Übertreibung scheint, verteufelt ernst.

Ja, was wollen Sie denn tun?

Zunächst nicht hingehn, wie ich schon sagte. Die Leute ruhig sich aus¬
toben und vor allen Dingen ihre Experimente machen lassen.
"

Sie meinen, die Sache sich „historisch entwickeln lassen, wie Sie so gern sagen-

Ganz richtig.

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[0724] [Abbildung] Die „Eigenart" der Gymnasien Lin Gespräch zwischen zwei Schulmännern v.^«, h, es ist mir lieb, daß ich Sie treffe. Was ist denn? Sie sind ja ordentlich erregt. Na, da soll einer seine Ruhe behalten! Wissen Sie, wo ich her komme? Nein, Verehrter, so deutlich ist die Schrift Ihrer Züge doch noch nicht. Aber so viel sehe ich, daß Sie sich geärgert haben. Ja, das habe ich allerdings. Ich komme aus der Versammlung des Vereins für Schulreform. Aha, da haben mirs! Geschieht Ihnen ganz recht. Warum gehen Sie dahin? Aber, lieber Kollege, ich denke, wir wollen doch objektive Leute sein. Ich hielt es für meine Pflicht, auch den Gegner anzuhören. Hin; die andern, finde ich, sind weniger objektiv, geben sich gar keine Mühe, den Gegner zu verstehn: es sind Unentwegte, die sich auf solche Kleinigkeiten wie ernsthafte Erörterungen gar nicht einlassen. Wozu auch? Der Standpunkt ist ja doch so einfach: Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, die oller Griechen und Römer gibts ja schon lange nicht mehr, was sollen uns tote Sprachen, wo wir die lebenden so nötig haben, um vorwärts zu kommen? Na, ganz so schlimm sind sie nun wohl doch nicht. Doch, Collegci. Was weniger schlimm scheint, ist nur Höflichkeit. Wen« wir das weglassen und nur des Herzens wahre Meinung ansehn, so sind wir völlig geschiedne Leute. Da gibt es keine Verständigung mehr. Aber das wäre doch traurig. Warum denn, muß es denn überall eine Verständigung geben? In so wichtigen Sachen, ja, doch muß sich ein Mittelweg finden lassen. Nein, eben „nicht. Dieser Mittelweg ist ein Phantom, das einen nur auf Irrwege lockt. Übrigens, Sie scheinen doch die gewünschte Verständigung auch nicht gefunden zu haben, sonst wäre ja Ihre Erregung unbegründet. Ich hatte keine Gelegenheit, mich mit den maßgebenden Personen ruhig zu unterhalten. Die Versammlung verlief ziemlich stürmisch, die Behauptungen einzelner Redner waren auch so maßlos übertrieben, daß man sie eigentlich nicht ernst nehmen konnte. El el, lieber Freund, wenn Sie sich da nnr nicht irren. Ich sage Ihnen, die nehmen das, was Ihnen maßlose Übertreibung scheint, verteufelt ernst. Ja, was wollen Sie denn tun? Zunächst nicht hingehn, wie ich schon sagte. Die Leute ruhig sich aus¬ toben und vor allen Dingen ihre Experimente machen lassen. " Sie meinen, die Sache sich „historisch entwickeln lassen, wie Sie so gern sagen- Ganz richtig. Ja, da kann aber unterdessen viel Unheil geschehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/724>, abgerufen am 29.04.2024.