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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Für die Reichshauptstadt

Unterrichtserteilung in arabischer Sprache. Man kann des weitern daran er¬
innern, daß sich der ?cups eine Unterredung mit dem Vizekönig verschaffte,
in der dieser Klage führt und mit den Worten schließt: "Die Franzosen sollten
doch zahlreich nach Ägypten kommen, die Ägypter vergäßen nicht, was die
Franzosen für sie gewesen seien, und liebten sie innig ... trotz alledem ..."
^out als in6ni6 -- wie der ?cups in Sperrdruck hervorhebt. Das heißt trotz
der ententk vorclmls!

Aus dieser Darlegung geht hervor, daß ein maßgebender Teil der öffent¬
lichen Meinung in Frankreich auf die ägyptische Nationalpartei schaut wie ein in
die Begabung seines Schülers verliebter Lehrer, der ihm auch einen Haufen Un¬
arten verzeiht, mit denen der Racker dem Ordinarius das Leben sauer macht.


Zod. Tschiedel


Für die Reichshauptstadt

M
<^M)! on Zeit zu Zeit widerfährt es der Reichshauptstadt Berlin, eine
strenge Moralkritik über sich ergehen lassen zu müssen. In der
Regel sind es Synodalversammlungen, in denen der Stab über
sie gebrochen wird. Aber auch in den Parlamenten findet sich
! nicht selten ein entrüsteter Zensor. So noch jüngst ein konser¬
vatives Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Diese Neigung, die eigne
Hauptstadt vor aller Welt anzuschwärzen, gehört zu unsern deutschen Eigen¬
tümlichkeiten. Hat man je vernommen, daß an gleich hervorragender und
verantwortlicher Stelle in den entsprechenden Ländern ähnliche Urteile über
Paris, London und Wien gefällt werden? Oder unterscheidet sich etwa Berlin
von diesen Weltstädten so sehr zu seinem Nachteil? In den letzten Jahren
haben öfter, als früher, angesehene ausländische Reisende, insbesondre Franzosen,
die deutsche Reichshauptstadt zum Gegenstande ihrer Studien gemacht. Wir
haben viel Anerkennendes gehört, zuweilen auch einen Tadel, der, auch wenn
er nicht ganz berechtigt gewesen wäre, uns von den Vertretern älterer Kulturen
nicht z" verletzen brauchte. Keiner von den fremden Beobachtern aber hat
Anklagen erhoben, wie wir sie von den heimischen Sittenrichtern hören. Nach
der Schilderung des Abgeordneten von Schuckmaun müßte Berlin ein riesiger
Sündenpfuhl sein. Haben die Franzosen, die Engländer dafür kein Auge?
Oder ist ihr Empfindungsvermögen abgestumpft durch die Gewöhnung an die
gleiche Verderbnis der eignen Hauptstädte? Gerade diese Gleichheit aber wird
bestritten. Berlin soll, insbesondre durch die Zügellosigkeit seines Nachtlebens,
einzig in der ganzen zivilisierten Welt dastehen. Schaudernd hört das so


Für die Reichshauptstadt

Unterrichtserteilung in arabischer Sprache. Man kann des weitern daran er¬
innern, daß sich der ?cups eine Unterredung mit dem Vizekönig verschaffte,
in der dieser Klage führt und mit den Worten schließt: „Die Franzosen sollten
doch zahlreich nach Ägypten kommen, die Ägypter vergäßen nicht, was die
Franzosen für sie gewesen seien, und liebten sie innig ... trotz alledem ..."
^out als in6ni6 — wie der ?cups in Sperrdruck hervorhebt. Das heißt trotz
der ententk vorclmls!

Aus dieser Darlegung geht hervor, daß ein maßgebender Teil der öffent¬
lichen Meinung in Frankreich auf die ägyptische Nationalpartei schaut wie ein in
die Begabung seines Schülers verliebter Lehrer, der ihm auch einen Haufen Un¬
arten verzeiht, mit denen der Racker dem Ordinarius das Leben sauer macht.


Zod. Tschiedel


Für die Reichshauptstadt

M
<^M)! on Zeit zu Zeit widerfährt es der Reichshauptstadt Berlin, eine
strenge Moralkritik über sich ergehen lassen zu müssen. In der
Regel sind es Synodalversammlungen, in denen der Stab über
sie gebrochen wird. Aber auch in den Parlamenten findet sich
! nicht selten ein entrüsteter Zensor. So noch jüngst ein konser¬
vatives Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Diese Neigung, die eigne
Hauptstadt vor aller Welt anzuschwärzen, gehört zu unsern deutschen Eigen¬
tümlichkeiten. Hat man je vernommen, daß an gleich hervorragender und
verantwortlicher Stelle in den entsprechenden Ländern ähnliche Urteile über
Paris, London und Wien gefällt werden? Oder unterscheidet sich etwa Berlin
von diesen Weltstädten so sehr zu seinem Nachteil? In den letzten Jahren
haben öfter, als früher, angesehene ausländische Reisende, insbesondre Franzosen,
die deutsche Reichshauptstadt zum Gegenstande ihrer Studien gemacht. Wir
haben viel Anerkennendes gehört, zuweilen auch einen Tadel, der, auch wenn
er nicht ganz berechtigt gewesen wäre, uns von den Vertretern älterer Kulturen
nicht z» verletzen brauchte. Keiner von den fremden Beobachtern aber hat
Anklagen erhoben, wie wir sie von den heimischen Sittenrichtern hören. Nach
der Schilderung des Abgeordneten von Schuckmaun müßte Berlin ein riesiger
Sündenpfuhl sein. Haben die Franzosen, die Engländer dafür kein Auge?
Oder ist ihr Empfindungsvermögen abgestumpft durch die Gewöhnung an die
gleiche Verderbnis der eignen Hauptstädte? Gerade diese Gleichheit aber wird
bestritten. Berlin soll, insbesondre durch die Zügellosigkeit seines Nachtlebens,
einzig in der ganzen zivilisierten Welt dastehen. Schaudernd hört das so


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[0230] Für die Reichshauptstadt Unterrichtserteilung in arabischer Sprache. Man kann des weitern daran er¬ innern, daß sich der ?cups eine Unterredung mit dem Vizekönig verschaffte, in der dieser Klage führt und mit den Worten schließt: „Die Franzosen sollten doch zahlreich nach Ägypten kommen, die Ägypter vergäßen nicht, was die Franzosen für sie gewesen seien, und liebten sie innig ... trotz alledem ..." ^out als in6ni6 — wie der ?cups in Sperrdruck hervorhebt. Das heißt trotz der ententk vorclmls! Aus dieser Darlegung geht hervor, daß ein maßgebender Teil der öffent¬ lichen Meinung in Frankreich auf die ägyptische Nationalpartei schaut wie ein in die Begabung seines Schülers verliebter Lehrer, der ihm auch einen Haufen Un¬ arten verzeiht, mit denen der Racker dem Ordinarius das Leben sauer macht. Zod. Tschiedel Für die Reichshauptstadt M <^M)! on Zeit zu Zeit widerfährt es der Reichshauptstadt Berlin, eine strenge Moralkritik über sich ergehen lassen zu müssen. In der Regel sind es Synodalversammlungen, in denen der Stab über sie gebrochen wird. Aber auch in den Parlamenten findet sich ! nicht selten ein entrüsteter Zensor. So noch jüngst ein konser¬ vatives Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Diese Neigung, die eigne Hauptstadt vor aller Welt anzuschwärzen, gehört zu unsern deutschen Eigen¬ tümlichkeiten. Hat man je vernommen, daß an gleich hervorragender und verantwortlicher Stelle in den entsprechenden Ländern ähnliche Urteile über Paris, London und Wien gefällt werden? Oder unterscheidet sich etwa Berlin von diesen Weltstädten so sehr zu seinem Nachteil? In den letzten Jahren haben öfter, als früher, angesehene ausländische Reisende, insbesondre Franzosen, die deutsche Reichshauptstadt zum Gegenstande ihrer Studien gemacht. Wir haben viel Anerkennendes gehört, zuweilen auch einen Tadel, der, auch wenn er nicht ganz berechtigt gewesen wäre, uns von den Vertretern älterer Kulturen nicht z» verletzen brauchte. Keiner von den fremden Beobachtern aber hat Anklagen erhoben, wie wir sie von den heimischen Sittenrichtern hören. Nach der Schilderung des Abgeordneten von Schuckmaun müßte Berlin ein riesiger Sündenpfuhl sein. Haben die Franzosen, die Engländer dafür kein Auge? Oder ist ihr Empfindungsvermögen abgestumpft durch die Gewöhnung an die gleiche Verderbnis der eignen Hauptstädte? Gerade diese Gleichheit aber wird bestritten. Berlin soll, insbesondre durch die Zügellosigkeit seines Nachtlebens, einzig in der ganzen zivilisierten Welt dastehen. Schaudernd hört das so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/230>, abgerufen am 03.05.2024.