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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Die moderne chinesische Armee

icht mit Unrecht beobachtet man in Europa sorgfältig die mili¬
tärische Entwicklung, die das chinesische Reich an der Seite des
japanischen Nachbarn allmählich nimmt, denn die Freundschaft
dieser beiden Mächte im Fernen Osten könnte im Laufe der Zeit
der Lage in Ostasien eine völlig neue Gestalt geben trotz aller
Vertrüge und Bündnisse, die den se^tus ano in Ostasien garantiert haben. Es
ist aber nicht leicht, sich ein ganz zuverlässiges Bild von dem wirklichen Stande
des heutigen Heerwesens in China zu machen, da von dorther, wohl nicht ohne
Absicht, sehr viel unrichtige Mitteilungen verbreitet und namentlich über die
Fortschritte der Neuorganisation der Armee falsche Zahlenangaben ausgestreut
werden.

Um sich nun ein zutreffendes Bild von dem auch heute noch recht kompli¬
zierten Heerwesen in China und von den zur Landesverteidigung verwendbaren
Truppen zu verschaffen, tut man am besten, wenn man zwischen der alten und
der neuen Armee streng unterscheidet und jede für sich der Kritik unterzieht.
Zur alten Armee gehören, abgesehen von dem mongolischen Landsturm und der
tibetanischen Miliz, die hier außer Betracht bleiben köunen, die "Mandschu- oder
Vannertruppen" und die "Truppen der grünen Fahne" oder "Provinzialtruppen".
Die Bannertruppen, ursprünglich die Nachkommen der ehemaligen Jnvasions-
armee der Mandschus aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts, sind
zwar eine Kriegerkaste geblieben und stehn auch heute uoch unter den Befehlen
der kaiserlichen Gouverneure, haben aber im Laufe der Zeit durch Aufnahme
von Mongolen und Chinesen die Reinheit der Rasse und damit viel von ihrem
frühern kriegerischen Geiste verloren.

Wenn auch mit der Auslösung der Bannertruppen bereits begonnen worden
ist, und wenn sie nach und nach ganz durchgeführt werden wird, so dürfte darüber
doch noch einige Zeit vergehen. Man darf deshalb diese Truppen vorderhand
noch nicht ganz außer Betracht lassen, weshalb hier eine kurze Charakteristik
über sie folgen mag.


Grenzboten III 1907 Is


Die moderne chinesische Armee

icht mit Unrecht beobachtet man in Europa sorgfältig die mili¬
tärische Entwicklung, die das chinesische Reich an der Seite des
japanischen Nachbarn allmählich nimmt, denn die Freundschaft
dieser beiden Mächte im Fernen Osten könnte im Laufe der Zeit
der Lage in Ostasien eine völlig neue Gestalt geben trotz aller
Vertrüge und Bündnisse, die den se^tus ano in Ostasien garantiert haben. Es
ist aber nicht leicht, sich ein ganz zuverlässiges Bild von dem wirklichen Stande
des heutigen Heerwesens in China zu machen, da von dorther, wohl nicht ohne
Absicht, sehr viel unrichtige Mitteilungen verbreitet und namentlich über die
Fortschritte der Neuorganisation der Armee falsche Zahlenangaben ausgestreut
werden.

Um sich nun ein zutreffendes Bild von dem auch heute noch recht kompli¬
zierten Heerwesen in China und von den zur Landesverteidigung verwendbaren
Truppen zu verschaffen, tut man am besten, wenn man zwischen der alten und
der neuen Armee streng unterscheidet und jede für sich der Kritik unterzieht.
Zur alten Armee gehören, abgesehen von dem mongolischen Landsturm und der
tibetanischen Miliz, die hier außer Betracht bleiben köunen, die „Mandschu- oder
Vannertruppen" und die „Truppen der grünen Fahne" oder „Provinzialtruppen".
Die Bannertruppen, ursprünglich die Nachkommen der ehemaligen Jnvasions-
armee der Mandschus aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts, sind
zwar eine Kriegerkaste geblieben und stehn auch heute uoch unter den Befehlen
der kaiserlichen Gouverneure, haben aber im Laufe der Zeit durch Aufnahme
von Mongolen und Chinesen die Reinheit der Rasse und damit viel von ihrem
frühern kriegerischen Geiste verloren.

Wenn auch mit der Auslösung der Bannertruppen bereits begonnen worden
ist, und wenn sie nach und nach ganz durchgeführt werden wird, so dürfte darüber
doch noch einige Zeit vergehen. Man darf deshalb diese Truppen vorderhand
noch nicht ganz außer Betracht lassen, weshalb hier eine kurze Charakteristik
über sie folgen mag.


Grenzboten III 1907 Is
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[0113] [Abbildung] Die moderne chinesische Armee icht mit Unrecht beobachtet man in Europa sorgfältig die mili¬ tärische Entwicklung, die das chinesische Reich an der Seite des japanischen Nachbarn allmählich nimmt, denn die Freundschaft dieser beiden Mächte im Fernen Osten könnte im Laufe der Zeit der Lage in Ostasien eine völlig neue Gestalt geben trotz aller Vertrüge und Bündnisse, die den se^tus ano in Ostasien garantiert haben. Es ist aber nicht leicht, sich ein ganz zuverlässiges Bild von dem wirklichen Stande des heutigen Heerwesens in China zu machen, da von dorther, wohl nicht ohne Absicht, sehr viel unrichtige Mitteilungen verbreitet und namentlich über die Fortschritte der Neuorganisation der Armee falsche Zahlenangaben ausgestreut werden. Um sich nun ein zutreffendes Bild von dem auch heute noch recht kompli¬ zierten Heerwesen in China und von den zur Landesverteidigung verwendbaren Truppen zu verschaffen, tut man am besten, wenn man zwischen der alten und der neuen Armee streng unterscheidet und jede für sich der Kritik unterzieht. Zur alten Armee gehören, abgesehen von dem mongolischen Landsturm und der tibetanischen Miliz, die hier außer Betracht bleiben köunen, die „Mandschu- oder Vannertruppen" und die „Truppen der grünen Fahne" oder „Provinzialtruppen". Die Bannertruppen, ursprünglich die Nachkommen der ehemaligen Jnvasions- armee der Mandschus aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts, sind zwar eine Kriegerkaste geblieben und stehn auch heute uoch unter den Befehlen der kaiserlichen Gouverneure, haben aber im Laufe der Zeit durch Aufnahme von Mongolen und Chinesen die Reinheit der Rasse und damit viel von ihrem frühern kriegerischen Geiste verloren. Wenn auch mit der Auslösung der Bannertruppen bereits begonnen worden ist, und wenn sie nach und nach ganz durchgeführt werden wird, so dürfte darüber doch noch einige Zeit vergehen. Man darf deshalb diese Truppen vorderhand noch nicht ganz außer Betracht lassen, weshalb hier eine kurze Charakteristik über sie folgen mag. Grenzboten III 1907 Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/113>, abgerufen am 28.04.2024.