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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Deutscher Norden und Süden

stellte sie gelehrte Forschungen an und hatte ununterbrochen eine Druckerei zur
Verfügung, die ihr Manuskript sofort druckte. Das vierundzwanzig (!) Bände
umfassende Hauptwerk sollte erst fünfundzwanzig Jahre nach ihrem Tode (1887)
ans Licht treten: Des CÄUsss intsrisurss <Zo 1a lÄiolösss extsrisurs as I'LAliss.
Wer weiß R. Bruchmann , ob es jetzt zeitgemäß wäre!




Deutscher Norden und Süden
Wilhelm Brönner i Vonn

MW! ibd es denn überhaupt einen Unterschied zwischen deutschem Norden
und Süden? Vom politischen Standpunkt aus ist die Frage
verpönt, und das ist gut und heilsam für uns alle. Politisch ist
uns der Wille zur Unterschiedslosigkeit Pflicht und Bedürfnis.
Aber Unterschiede andrer Art könnten doch vorliegen? Das land-
! lausige Urteil des Nordens neigt dazu, auch jeden sonstigen Unter¬
schied mit Energie zu verneinen. Der Süden aber ist jederzeit um so lebhafter
bereit, ihn zu bejahen. Schon in dieser Stellung zur Existenz des Problems
liegt ein beachtenswerter Fingerzeig für seinen Inhalt und seine Lösung.

Es kann hier nicht der Platz und nicht die Absicht sein, in den Streit der
Meinungen parteinehmend einzugreifen. Nur um eine uninteressierte, objektive
Feststellung der Kontrasterscheinungen soll es sich handeln und allenfalls um
den Versuch, ihre Wurzeln und ihre letzten Gründe zu erforschen.

Aber schon die bloße Feststellung der äußern Kennzeichen des Gegensatzes
stößt auf bedeutende Schwierigkeiten. Denn erstens sind die Gegenstände der
Untersuchung keinerlei Art verlässiger Messung zugänglich. Sie können vielmehr
nur gefühlsmäßig und annäherungsweise erfaßt werden und beinahe nur unter
dem Anspruch subjektiver Geltung. Dann ist zu beachten, daß die Charakter¬
besonderheiten zweier benachbarten Bevölkerungsmassen nirgends in der krassen
Gegensätzlichkeit auftreten, wie sie zum Zweck einer Untersuchung notwendig
herausgeschält werden müssen. Im Laufe der Zeit haben da so viele Be¬
völkerungsschiebungen und wechselseitige Zuwandrungen stattgefunden, daß die
Reinheit der Arten heute davon stark beeinträchtigt ist. Das Zeitalter des
Verkehrs, in dem wir leben, hat diesem Vermengungsprozeß in außergewöhn¬
lichem Maße Vorschub geleistet, und zum Schluß darf auch die verschwenderische
Varietätenbildung der Natur nicht unberücksichtigt bleiben, die es verhindert,
daß die charakteristischen Besonderheiten der beiden Volkshälften ausnahmslos
und mit gleicher Stärke in allen ihren Individuen anzutreffen sind.

Noch größern Schwierigkeiten begegnet die Erforschung der Ursachen des
Unterschieds. Der Gegensätze zwischen deutschem Norden und Süden oder, wie
man richtiger sagt, deutschem Nordosten und Südwesten sind es mancherlei.
Es sind Gegensätze der politischen Gewalt und der politischen Auffassung,
Gegensätze der Religion, Gegensätze der Bodenbeschaffenheit und Gegensätze der
Nasse. Sie alle sind so innig miteinander verbunden, daß sie weniger einem
Konglomerat gleichen als einem chemischen Produkt von selbständiger Art, das
etwas völlig andres geworden ist, als seine Bestandteile waren. Sind es nun


Deutscher Norden und Süden

stellte sie gelehrte Forschungen an und hatte ununterbrochen eine Druckerei zur
Verfügung, die ihr Manuskript sofort druckte. Das vierundzwanzig (!) Bände
umfassende Hauptwerk sollte erst fünfundzwanzig Jahre nach ihrem Tode (1887)
ans Licht treten: Des CÄUsss intsrisurss <Zo 1a lÄiolösss extsrisurs as I'LAliss.
Wer weiß R. Bruchmann , ob es jetzt zeitgemäß wäre!




Deutscher Norden und Süden
Wilhelm Brönner i Vonn

MW! ibd es denn überhaupt einen Unterschied zwischen deutschem Norden
und Süden? Vom politischen Standpunkt aus ist die Frage
verpönt, und das ist gut und heilsam für uns alle. Politisch ist
uns der Wille zur Unterschiedslosigkeit Pflicht und Bedürfnis.
Aber Unterschiede andrer Art könnten doch vorliegen? Das land-
! lausige Urteil des Nordens neigt dazu, auch jeden sonstigen Unter¬
schied mit Energie zu verneinen. Der Süden aber ist jederzeit um so lebhafter
bereit, ihn zu bejahen. Schon in dieser Stellung zur Existenz des Problems
liegt ein beachtenswerter Fingerzeig für seinen Inhalt und seine Lösung.

Es kann hier nicht der Platz und nicht die Absicht sein, in den Streit der
Meinungen parteinehmend einzugreifen. Nur um eine uninteressierte, objektive
Feststellung der Kontrasterscheinungen soll es sich handeln und allenfalls um
den Versuch, ihre Wurzeln und ihre letzten Gründe zu erforschen.

Aber schon die bloße Feststellung der äußern Kennzeichen des Gegensatzes
stößt auf bedeutende Schwierigkeiten. Denn erstens sind die Gegenstände der
Untersuchung keinerlei Art verlässiger Messung zugänglich. Sie können vielmehr
nur gefühlsmäßig und annäherungsweise erfaßt werden und beinahe nur unter
dem Anspruch subjektiver Geltung. Dann ist zu beachten, daß die Charakter¬
besonderheiten zweier benachbarten Bevölkerungsmassen nirgends in der krassen
Gegensätzlichkeit auftreten, wie sie zum Zweck einer Untersuchung notwendig
herausgeschält werden müssen. Im Laufe der Zeit haben da so viele Be¬
völkerungsschiebungen und wechselseitige Zuwandrungen stattgefunden, daß die
Reinheit der Arten heute davon stark beeinträchtigt ist. Das Zeitalter des
Verkehrs, in dem wir leben, hat diesem Vermengungsprozeß in außergewöhn¬
lichem Maße Vorschub geleistet, und zum Schluß darf auch die verschwenderische
Varietätenbildung der Natur nicht unberücksichtigt bleiben, die es verhindert,
daß die charakteristischen Besonderheiten der beiden Volkshälften ausnahmslos
und mit gleicher Stärke in allen ihren Individuen anzutreffen sind.

Noch größern Schwierigkeiten begegnet die Erforschung der Ursachen des
Unterschieds. Der Gegensätze zwischen deutschem Norden und Süden oder, wie
man richtiger sagt, deutschem Nordosten und Südwesten sind es mancherlei.
Es sind Gegensätze der politischen Gewalt und der politischen Auffassung,
Gegensätze der Religion, Gegensätze der Bodenbeschaffenheit und Gegensätze der
Nasse. Sie alle sind so innig miteinander verbunden, daß sie weniger einem
Konglomerat gleichen als einem chemischen Produkt von selbständiger Art, das
etwas völlig andres geworden ist, als seine Bestandteile waren. Sind es nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/258>, abgerufen am 29.04.2024.