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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ethik und Kapitalismus

geplant worden. Vielleicht dürfen wir in einem besondern Aufsatz auf diese
Gegenwartsarbeit zurückkommen, die mit der Frage nach den wirtschaftlichen
Möglichkeiten, nach der "Zukunft" des so oftmals totgeglaubten alten Wunder¬
landes in engstem Zusammenhange steht.

Heute galt es einen Rückblick auf das erste Jahrzehnt des Zionismus und
seine Wandlungen. Die gärende Sturm- und Drangzeit ist in ihm zur Ruhe
gekommen; die Bewegung ist, wie es scheint, in das Stadium der Klärung und
der Reife eingetreten. Von einem uferlosen, über den Wolken wandelnden
Idealismus ist nicht mehr die Spur. Wirklichkeitswerte regieren die Bewegung,
und ein in gutem Sinne praktischer Idealismus schafft langsam aber sicher,
systematisch aber um so erfolgreicher eine täglich sich verbreiternde jüdische
Interessensphäre im Lande. So läßt sich schon heute mit Bestimmtheit sagen:
auch das ganze nächste Dezennium des Zionismus, das durch den achten
Kongreß dieses Jahres eingeleitet wird, wird -- welche Erfolge auch immer
die diplomatisch-politische Tätigkeit zeitigen mag -- unter dem Zeichen der
Palästinaarbeit stehn. Für dieses Dezennium aber gilt dasselbe, was überhaupt
für die zionistische Bewegung gilt: Arbeiten, Geld sammeln und Geduld haben.


V. Eberhard


Ethik und Kapitalismus

as ganze soziale Problem der Gegenwart dreht sich um die Pole
Ethik und Kapitalismus. Der Stein der Weisen wäre gefunden,
wollte uns jemand die Frage lösen: Wie kann der Kapitalismus
alle ethischen Forderungen der menschlichen Gesellschaft erfüllen,
und wie werden die ethischen Forderungen der Gesellschaft den
Kapitalismus beherrschend gestalten? Die Frage scheint auf den ersten Blick
sehr einfach. Kapitalist ist, wer Kapital, Besitz und Bargeld, Bodengrund,
Fabrikbetrieb, Gewerbe usw. hat. Kapital bedeutet Macht und Aufgabe zur
Arbeit. Wer also sein Kapital so umtreibt, daß er seine Macht nicht egoistisch
sondern im Dienste des Ganzen ausnützt, und wer zugleich als Arbeitgeber seine
Aufgabe zur Arbeit so auffaßt, daß jeder seiner Arbeitnehmer durch die Leistung
der Arbeit Teilhaber eines menschenwürdigen Daseins wird, der hat die Pole
Ethik und Kapitalismus geeinigt.

Die Berge von Fragen -- von Wenn und Aber -- von Entweder - Oder --,
die sich da erheben wie ein noch nicht überstiegnes Urgebirge der Menschheit,
hat wohl bis jetzt so klar wie noch nie das Werk eines Theologen gezeigt, der
aus feiner stillen Schwabenheimat ausgewandert ist, um das Problem Ethik
und Kapitalismus an der Quelle zu studieren, zu erleben. Der Pastor illo.
tdeol. Traub hat sich in Dortmund, inmitten der Blüte deutschen Kapitals, mit


Ethik und Kapitalismus

geplant worden. Vielleicht dürfen wir in einem besondern Aufsatz auf diese
Gegenwartsarbeit zurückkommen, die mit der Frage nach den wirtschaftlichen
Möglichkeiten, nach der „Zukunft" des so oftmals totgeglaubten alten Wunder¬
landes in engstem Zusammenhange steht.

Heute galt es einen Rückblick auf das erste Jahrzehnt des Zionismus und
seine Wandlungen. Die gärende Sturm- und Drangzeit ist in ihm zur Ruhe
gekommen; die Bewegung ist, wie es scheint, in das Stadium der Klärung und
der Reife eingetreten. Von einem uferlosen, über den Wolken wandelnden
Idealismus ist nicht mehr die Spur. Wirklichkeitswerte regieren die Bewegung,
und ein in gutem Sinne praktischer Idealismus schafft langsam aber sicher,
systematisch aber um so erfolgreicher eine täglich sich verbreiternde jüdische
Interessensphäre im Lande. So läßt sich schon heute mit Bestimmtheit sagen:
auch das ganze nächste Dezennium des Zionismus, das durch den achten
Kongreß dieses Jahres eingeleitet wird, wird — welche Erfolge auch immer
die diplomatisch-politische Tätigkeit zeitigen mag — unter dem Zeichen der
Palästinaarbeit stehn. Für dieses Dezennium aber gilt dasselbe, was überhaupt
für die zionistische Bewegung gilt: Arbeiten, Geld sammeln und Geduld haben.


V. Eberhard


Ethik und Kapitalismus

as ganze soziale Problem der Gegenwart dreht sich um die Pole
Ethik und Kapitalismus. Der Stein der Weisen wäre gefunden,
wollte uns jemand die Frage lösen: Wie kann der Kapitalismus
alle ethischen Forderungen der menschlichen Gesellschaft erfüllen,
und wie werden die ethischen Forderungen der Gesellschaft den
Kapitalismus beherrschend gestalten? Die Frage scheint auf den ersten Blick
sehr einfach. Kapitalist ist, wer Kapital, Besitz und Bargeld, Bodengrund,
Fabrikbetrieb, Gewerbe usw. hat. Kapital bedeutet Macht und Aufgabe zur
Arbeit. Wer also sein Kapital so umtreibt, daß er seine Macht nicht egoistisch
sondern im Dienste des Ganzen ausnützt, und wer zugleich als Arbeitgeber seine
Aufgabe zur Arbeit so auffaßt, daß jeder seiner Arbeitnehmer durch die Leistung
der Arbeit Teilhaber eines menschenwürdigen Daseins wird, der hat die Pole
Ethik und Kapitalismus geeinigt.

Die Berge von Fragen — von Wenn und Aber — von Entweder - Oder —,
die sich da erheben wie ein noch nicht überstiegnes Urgebirge der Menschheit,
hat wohl bis jetzt so klar wie noch nie das Werk eines Theologen gezeigt, der
aus feiner stillen Schwabenheimat ausgewandert ist, um das Problem Ethik
und Kapitalismus an der Quelle zu studieren, zu erleben. Der Pastor illo.
tdeol. Traub hat sich in Dortmund, inmitten der Blüte deutschen Kapitals, mit


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[0298] Ethik und Kapitalismus geplant worden. Vielleicht dürfen wir in einem besondern Aufsatz auf diese Gegenwartsarbeit zurückkommen, die mit der Frage nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten, nach der „Zukunft" des so oftmals totgeglaubten alten Wunder¬ landes in engstem Zusammenhange steht. Heute galt es einen Rückblick auf das erste Jahrzehnt des Zionismus und seine Wandlungen. Die gärende Sturm- und Drangzeit ist in ihm zur Ruhe gekommen; die Bewegung ist, wie es scheint, in das Stadium der Klärung und der Reife eingetreten. Von einem uferlosen, über den Wolken wandelnden Idealismus ist nicht mehr die Spur. Wirklichkeitswerte regieren die Bewegung, und ein in gutem Sinne praktischer Idealismus schafft langsam aber sicher, systematisch aber um so erfolgreicher eine täglich sich verbreiternde jüdische Interessensphäre im Lande. So läßt sich schon heute mit Bestimmtheit sagen: auch das ganze nächste Dezennium des Zionismus, das durch den achten Kongreß dieses Jahres eingeleitet wird, wird — welche Erfolge auch immer die diplomatisch-politische Tätigkeit zeitigen mag — unter dem Zeichen der Palästinaarbeit stehn. Für dieses Dezennium aber gilt dasselbe, was überhaupt für die zionistische Bewegung gilt: Arbeiten, Geld sammeln und Geduld haben. V. Eberhard Ethik und Kapitalismus as ganze soziale Problem der Gegenwart dreht sich um die Pole Ethik und Kapitalismus. Der Stein der Weisen wäre gefunden, wollte uns jemand die Frage lösen: Wie kann der Kapitalismus alle ethischen Forderungen der menschlichen Gesellschaft erfüllen, und wie werden die ethischen Forderungen der Gesellschaft den Kapitalismus beherrschend gestalten? Die Frage scheint auf den ersten Blick sehr einfach. Kapitalist ist, wer Kapital, Besitz und Bargeld, Bodengrund, Fabrikbetrieb, Gewerbe usw. hat. Kapital bedeutet Macht und Aufgabe zur Arbeit. Wer also sein Kapital so umtreibt, daß er seine Macht nicht egoistisch sondern im Dienste des Ganzen ausnützt, und wer zugleich als Arbeitgeber seine Aufgabe zur Arbeit so auffaßt, daß jeder seiner Arbeitnehmer durch die Leistung der Arbeit Teilhaber eines menschenwürdigen Daseins wird, der hat die Pole Ethik und Kapitalismus geeinigt. Die Berge von Fragen — von Wenn und Aber — von Entweder - Oder —, die sich da erheben wie ein noch nicht überstiegnes Urgebirge der Menschheit, hat wohl bis jetzt so klar wie noch nie das Werk eines Theologen gezeigt, der aus feiner stillen Schwabenheimat ausgewandert ist, um das Problem Ethik und Kapitalismus an der Quelle zu studieren, zu erleben. Der Pastor illo. tdeol. Traub hat sich in Dortmund, inmitten der Blüte deutschen Kapitals, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/298>, abgerufen am 28.04.2024.