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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Antiquar

herum aufmarschiert sein. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß auch eine aktivere
Politik in Persien wesentlich an Aussichten und damit an Wahrscheinlichkeit
durch die unmittelbare Landverbindung gewonnen hat. Von diesem Stand¬
punkte betrachtet, ist die neue Eisenbahn entschieden ein großartiges Unter¬
nehmen weitsichtiger Eisenbahn- und Kolonialpolitik; ihre beschleunigte Fertig¬
stellung, jedenfalls eine Folge der während des japanischen Krieges in Inner-
asien sich gefährlich anlassenden Lage, ist vielleicht die Ursache gewesen, die
englische Politik von feindseligen Schritten dort abzuhalten.




Der Antiquar Julius R. Haarhaus von

ßLWGTV>s ist noch gar nicht so lange her, daß in Reichenbachs Hof -- so
wollen wir ihn nach einem seiner frühern Besitzer nennen, obgleich
er heute einen andern Namen trägt -- ein bescheidnes Lädchen
die Aufmerksamkeit aller Passanten auf sich lenkte, die für alte
Bücher, stockfleckige Kupferstiche, Reliquien aus der Völkerschlacht
l und Münzen jedes Gepräges ein wärmer empfindendes Herz hatten.
Obgleich der Hof in der innern Stadt lag und hüben wie drüben auf sehr belebte
Straßen mündete, war er doch nicht, wie so viele andre seinesgleichen, eine richtige
Verkehrsader, und es betrat ihn eigentlich nur, wer in einem der zahlreichen
Gewölbe geschäftlich zu tun hatte. So kam es, daß in dem engen, von hohen
Gebäuden über Gebühr verfinsterten Durchgang gewöhnlich eine wohltätige Stille
herrschte, die zu dem Bücherlädchen, seinem verstaubten Inhalt und nicht zum
wenigsten zu dem Besitzer dieser Herrlichkeiten vortrefflich paßte.

Herr Polykarp Seyler, der Antiquar, liebte es auch nicht sonderlich, wenn
diese Stille, die recht eigentlich sein Lebenselement war, durch den Besuch eines
Kunden unterbrochen wurde. Denn die Kunden kamen in der Regel mit der aus-
gesprochnen Absicht, ihm mit ihrem schnöden Gelde den einen oder den andern
seiner in Pergament, Halbfranz, Leinwand oder Pappe gekleideten Lieblinge ab¬
spenstig zu machen. Von diesen vermochte er sich nur mit schwerem Herzen zu
trennen, denn entweder hatte er sie schon gelesen: dann waren sie ihm vertraute
Freunde geworden, mit denen er sich innerlich verwachsen fühlte, oder er hatte sie
noch nicht gelesen: dann fiel ihm der Abschied von ihnen doppelt schwer, denn er
war überzeugt, daß sie ihm so manches anzuvertrauen hätten, und daß es lieblos
sei, sie wieder aus seiner Obhut zu entlassen, ohne ihnen zuvor Gehör geschenkt
zu haben. Der Handelsgeist, den man bei einem Händler, und wenn es auch ein
Händler mit Büchern ist, voraussetzen sollte, war Polykarp Seyler durchaus fremd.
Er betrachtete sein Lädchen als seine Bibliothek, und die Bücher, die er darin
aufgestapelt hatte, schienen ihm weit mehr dazu bestimmt zu sein, den Schatz seines
Wissens als seine Kasse zu füllen. Diese etwas seltsame Auffassung seines Berufs
wird nur verständlich, wenn man bedenkt, daß unser Freund von Haus aus kein
Buchhändler, sondern klassischer Philologe gewesen war. Aber das Schifflein, das
ihn mit vollen Segeln auf das hohe Meer der Wissenschaft hatte tragen sollen,


Der Antiquar

herum aufmarschiert sein. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß auch eine aktivere
Politik in Persien wesentlich an Aussichten und damit an Wahrscheinlichkeit
durch die unmittelbare Landverbindung gewonnen hat. Von diesem Stand¬
punkte betrachtet, ist die neue Eisenbahn entschieden ein großartiges Unter¬
nehmen weitsichtiger Eisenbahn- und Kolonialpolitik; ihre beschleunigte Fertig¬
stellung, jedenfalls eine Folge der während des japanischen Krieges in Inner-
asien sich gefährlich anlassenden Lage, ist vielleicht die Ursache gewesen, die
englische Politik von feindseligen Schritten dort abzuhalten.




Der Antiquar Julius R. Haarhaus von

ßLWGTV>s ist noch gar nicht so lange her, daß in Reichenbachs Hof — so
wollen wir ihn nach einem seiner frühern Besitzer nennen, obgleich
er heute einen andern Namen trägt — ein bescheidnes Lädchen
die Aufmerksamkeit aller Passanten auf sich lenkte, die für alte
Bücher, stockfleckige Kupferstiche, Reliquien aus der Völkerschlacht
l und Münzen jedes Gepräges ein wärmer empfindendes Herz hatten.
Obgleich der Hof in der innern Stadt lag und hüben wie drüben auf sehr belebte
Straßen mündete, war er doch nicht, wie so viele andre seinesgleichen, eine richtige
Verkehrsader, und es betrat ihn eigentlich nur, wer in einem der zahlreichen
Gewölbe geschäftlich zu tun hatte. So kam es, daß in dem engen, von hohen
Gebäuden über Gebühr verfinsterten Durchgang gewöhnlich eine wohltätige Stille
herrschte, die zu dem Bücherlädchen, seinem verstaubten Inhalt und nicht zum
wenigsten zu dem Besitzer dieser Herrlichkeiten vortrefflich paßte.

Herr Polykarp Seyler, der Antiquar, liebte es auch nicht sonderlich, wenn
diese Stille, die recht eigentlich sein Lebenselement war, durch den Besuch eines
Kunden unterbrochen wurde. Denn die Kunden kamen in der Regel mit der aus-
gesprochnen Absicht, ihm mit ihrem schnöden Gelde den einen oder den andern
seiner in Pergament, Halbfranz, Leinwand oder Pappe gekleideten Lieblinge ab¬
spenstig zu machen. Von diesen vermochte er sich nur mit schwerem Herzen zu
trennen, denn entweder hatte er sie schon gelesen: dann waren sie ihm vertraute
Freunde geworden, mit denen er sich innerlich verwachsen fühlte, oder er hatte sie
noch nicht gelesen: dann fiel ihm der Abschied von ihnen doppelt schwer, denn er
war überzeugt, daß sie ihm so manches anzuvertrauen hätten, und daß es lieblos
sei, sie wieder aus seiner Obhut zu entlassen, ohne ihnen zuvor Gehör geschenkt
zu haben. Der Handelsgeist, den man bei einem Händler, und wenn es auch ein
Händler mit Büchern ist, voraussetzen sollte, war Polykarp Seyler durchaus fremd.
Er betrachtete sein Lädchen als seine Bibliothek, und die Bücher, die er darin
aufgestapelt hatte, schienen ihm weit mehr dazu bestimmt zu sein, den Schatz seines
Wissens als seine Kasse zu füllen. Diese etwas seltsame Auffassung seines Berufs
wird nur verständlich, wenn man bedenkt, daß unser Freund von Haus aus kein
Buchhändler, sondern klassischer Philologe gewesen war. Aber das Schifflein, das
ihn mit vollen Segeln auf das hohe Meer der Wissenschaft hatte tragen sollen,


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[0319] Der Antiquar herum aufmarschiert sein. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß auch eine aktivere Politik in Persien wesentlich an Aussichten und damit an Wahrscheinlichkeit durch die unmittelbare Landverbindung gewonnen hat. Von diesem Stand¬ punkte betrachtet, ist die neue Eisenbahn entschieden ein großartiges Unter¬ nehmen weitsichtiger Eisenbahn- und Kolonialpolitik; ihre beschleunigte Fertig¬ stellung, jedenfalls eine Folge der während des japanischen Krieges in Inner- asien sich gefährlich anlassenden Lage, ist vielleicht die Ursache gewesen, die englische Politik von feindseligen Schritten dort abzuhalten. Der Antiquar Julius R. Haarhaus von ßLWGTV>s ist noch gar nicht so lange her, daß in Reichenbachs Hof — so wollen wir ihn nach einem seiner frühern Besitzer nennen, obgleich er heute einen andern Namen trägt — ein bescheidnes Lädchen die Aufmerksamkeit aller Passanten auf sich lenkte, die für alte Bücher, stockfleckige Kupferstiche, Reliquien aus der Völkerschlacht l und Münzen jedes Gepräges ein wärmer empfindendes Herz hatten. Obgleich der Hof in der innern Stadt lag und hüben wie drüben auf sehr belebte Straßen mündete, war er doch nicht, wie so viele andre seinesgleichen, eine richtige Verkehrsader, und es betrat ihn eigentlich nur, wer in einem der zahlreichen Gewölbe geschäftlich zu tun hatte. So kam es, daß in dem engen, von hohen Gebäuden über Gebühr verfinsterten Durchgang gewöhnlich eine wohltätige Stille herrschte, die zu dem Bücherlädchen, seinem verstaubten Inhalt und nicht zum wenigsten zu dem Besitzer dieser Herrlichkeiten vortrefflich paßte. Herr Polykarp Seyler, der Antiquar, liebte es auch nicht sonderlich, wenn diese Stille, die recht eigentlich sein Lebenselement war, durch den Besuch eines Kunden unterbrochen wurde. Denn die Kunden kamen in der Regel mit der aus- gesprochnen Absicht, ihm mit ihrem schnöden Gelde den einen oder den andern seiner in Pergament, Halbfranz, Leinwand oder Pappe gekleideten Lieblinge ab¬ spenstig zu machen. Von diesen vermochte er sich nur mit schwerem Herzen zu trennen, denn entweder hatte er sie schon gelesen: dann waren sie ihm vertraute Freunde geworden, mit denen er sich innerlich verwachsen fühlte, oder er hatte sie noch nicht gelesen: dann fiel ihm der Abschied von ihnen doppelt schwer, denn er war überzeugt, daß sie ihm so manches anzuvertrauen hätten, und daß es lieblos sei, sie wieder aus seiner Obhut zu entlassen, ohne ihnen zuvor Gehör geschenkt zu haben. Der Handelsgeist, den man bei einem Händler, und wenn es auch ein Händler mit Büchern ist, voraussetzen sollte, war Polykarp Seyler durchaus fremd. Er betrachtete sein Lädchen als seine Bibliothek, und die Bücher, die er darin aufgestapelt hatte, schienen ihm weit mehr dazu bestimmt zu sein, den Schatz seines Wissens als seine Kasse zu füllen. Diese etwas seltsame Auffassung seines Berufs wird nur verständlich, wenn man bedenkt, daß unser Freund von Haus aus kein Buchhändler, sondern klassischer Philologe gewesen war. Aber das Schifflein, das ihn mit vollen Segeln auf das hohe Meer der Wissenschaft hatte tragen sollen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/319>, abgerufen am 29.04.2024.