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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg

Von Taschkend bis zum Aralsee ist es ebenso sicher, daß sie sich bald selbst
ernähren können, wie für die Strecken westlich der Mugodsharberge, daß sie zur
Ausfuhr werden beisteuern können. Doch die Hauptbedeutung der Bahn liegt
nicht in der Beförderung dieser rein lokalen Interessen, auch nicht in der
Möglichkeit einer baldigen Ausbeutung von Bodenschätzen (Kupfer, Eisen, Kohle)
an den von ihr berührten Strichen. Sie soll vielmehr die reichen Länder Fer-
ghana, Ssamarkand und Buchara in wirtschaftlicher, politischer und militärischer
Beziehung an das Reich in Europa angliedern. Sie soll auch die Eroberung
des mittelasiatischen Marktes in Afghanistan und den westlichen Provinzen
Chinas durchführen helfen. Die mittelasiatische Eisenbahn, so wesentliche Dienste
sie in all diesen Beziehungen geleistet hat, war doch ein Torso, so lange sie
nicht in unmittelbarer Schienenverbiudung mit dem europäischen Rußland stand.
Jetzt erst kann sie so recht ihren Einfluß äußern, nachdem sie durch die ver¬
billigte Anfuhr von Getreide aus den russischen Kornmagazinen für den Aus¬
tausch der wirtschaftlichen Erzeugisse und die Heranziehung der Produkte der
angrenzenden Länder mittelst Zweig- und Stichbahnen frei geworden ist. Jetzt
kann der Baumwollenbau bis zur Sättigung des russischen Marktes und darüber
hinaus in die Höhe getrieben werden. Jetzt wird die mittelasiatische Eisenbahn
eine wirkliche Verkehrsader, die ihre Verästelungen in die Nachbargebiete
hineinstreckt, und die nach Fertigstellung der in Afghanistan geplanten englischen
Bahnen einen Teil des Durchgangsverkehrs von Westeuropa über Taschkend,
Ssamarkand und Herat nach Indien zu vermitteln hat. Jetzt kann die Kolonisation
in größerm Stil in Innerasien befördert werden; der mit einem Auge nach
der Heimat zurückblickende Mushik, der für die Seefahrt nicht viel übrig hat,
hat eine feste Landverbindung hinter sich. Eine starke Kolonistenbevölkerung
dient aber der Stärkung des Reichsgedankens, erhöht das Ansehn der herrschenden
Nation innerhalb einer zu Unruhe neigenden, auf fremde Erfolge wartenden,
heißblütigen, unüberlegten und leicht zu Fanatismus fortzureißenden Bevölkerung.
Man kann sogar sagen, daß die politische und militärische Lage Rußlands in
Zentralasien jetzt überhaupt erst haltbar wird. Ein Kolonialland, in dessen
Gebäude erst vor zwanzig Jahren der Schlußstein mit der Festlegung der
afghanischen Grenze gefügt worden ist, war auch nach Durchführung der mittel¬
asiatischen Bahn bis Andishan kein gesicherter Besitz, weil eine schnelle und
sichere Landverbindung fehlte. Die weitere Ausdehnung des Kolonialbesitzes
auf Kaschgarien und die Dsungarei war unmöglich, da sie einen Zusammenstoß
mit englischen Interessen herbeigeführt hätte, in dessen Austrag eine Verstärkung
der turkestanischen Armeekorps nur mit großem Zeitaufwand zu bewirken und
wegen der Lage der mittelasiatischen Eisenbahn an der persischen Grenze mit
ernstlicher Gefährdung verknüpft war. Nunmehr ist nicht nur die Ergänzung
dieser Korps sehr erleichtert, sondern ihre schnelle Verstärkung aus den jederzeit
kriegsbereiten Kasakenheeren jederzeit möglich. Binnen zweiundzwanzig Tagen
kann ein Armeekorps aus der Gegend von Moskau um Ssamarkand oder Merw


In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg

Von Taschkend bis zum Aralsee ist es ebenso sicher, daß sie sich bald selbst
ernähren können, wie für die Strecken westlich der Mugodsharberge, daß sie zur
Ausfuhr werden beisteuern können. Doch die Hauptbedeutung der Bahn liegt
nicht in der Beförderung dieser rein lokalen Interessen, auch nicht in der
Möglichkeit einer baldigen Ausbeutung von Bodenschätzen (Kupfer, Eisen, Kohle)
an den von ihr berührten Strichen. Sie soll vielmehr die reichen Länder Fer-
ghana, Ssamarkand und Buchara in wirtschaftlicher, politischer und militärischer
Beziehung an das Reich in Europa angliedern. Sie soll auch die Eroberung
des mittelasiatischen Marktes in Afghanistan und den westlichen Provinzen
Chinas durchführen helfen. Die mittelasiatische Eisenbahn, so wesentliche Dienste
sie in all diesen Beziehungen geleistet hat, war doch ein Torso, so lange sie
nicht in unmittelbarer Schienenverbiudung mit dem europäischen Rußland stand.
Jetzt erst kann sie so recht ihren Einfluß äußern, nachdem sie durch die ver¬
billigte Anfuhr von Getreide aus den russischen Kornmagazinen für den Aus¬
tausch der wirtschaftlichen Erzeugisse und die Heranziehung der Produkte der
angrenzenden Länder mittelst Zweig- und Stichbahnen frei geworden ist. Jetzt
kann der Baumwollenbau bis zur Sättigung des russischen Marktes und darüber
hinaus in die Höhe getrieben werden. Jetzt wird die mittelasiatische Eisenbahn
eine wirkliche Verkehrsader, die ihre Verästelungen in die Nachbargebiete
hineinstreckt, und die nach Fertigstellung der in Afghanistan geplanten englischen
Bahnen einen Teil des Durchgangsverkehrs von Westeuropa über Taschkend,
Ssamarkand und Herat nach Indien zu vermitteln hat. Jetzt kann die Kolonisation
in größerm Stil in Innerasien befördert werden; der mit einem Auge nach
der Heimat zurückblickende Mushik, der für die Seefahrt nicht viel übrig hat,
hat eine feste Landverbindung hinter sich. Eine starke Kolonistenbevölkerung
dient aber der Stärkung des Reichsgedankens, erhöht das Ansehn der herrschenden
Nation innerhalb einer zu Unruhe neigenden, auf fremde Erfolge wartenden,
heißblütigen, unüberlegten und leicht zu Fanatismus fortzureißenden Bevölkerung.
Man kann sogar sagen, daß die politische und militärische Lage Rußlands in
Zentralasien jetzt überhaupt erst haltbar wird. Ein Kolonialland, in dessen
Gebäude erst vor zwanzig Jahren der Schlußstein mit der Festlegung der
afghanischen Grenze gefügt worden ist, war auch nach Durchführung der mittel¬
asiatischen Bahn bis Andishan kein gesicherter Besitz, weil eine schnelle und
sichere Landverbindung fehlte. Die weitere Ausdehnung des Kolonialbesitzes
auf Kaschgarien und die Dsungarei war unmöglich, da sie einen Zusammenstoß
mit englischen Interessen herbeigeführt hätte, in dessen Austrag eine Verstärkung
der turkestanischen Armeekorps nur mit großem Zeitaufwand zu bewirken und
wegen der Lage der mittelasiatischen Eisenbahn an der persischen Grenze mit
ernstlicher Gefährdung verknüpft war. Nunmehr ist nicht nur die Ergänzung
dieser Korps sehr erleichtert, sondern ihre schnelle Verstärkung aus den jederzeit
kriegsbereiten Kasakenheeren jederzeit möglich. Binnen zweiundzwanzig Tagen
kann ein Armeekorps aus der Gegend von Moskau um Ssamarkand oder Merw


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[0318] In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg Von Taschkend bis zum Aralsee ist es ebenso sicher, daß sie sich bald selbst ernähren können, wie für die Strecken westlich der Mugodsharberge, daß sie zur Ausfuhr werden beisteuern können. Doch die Hauptbedeutung der Bahn liegt nicht in der Beförderung dieser rein lokalen Interessen, auch nicht in der Möglichkeit einer baldigen Ausbeutung von Bodenschätzen (Kupfer, Eisen, Kohle) an den von ihr berührten Strichen. Sie soll vielmehr die reichen Länder Fer- ghana, Ssamarkand und Buchara in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Beziehung an das Reich in Europa angliedern. Sie soll auch die Eroberung des mittelasiatischen Marktes in Afghanistan und den westlichen Provinzen Chinas durchführen helfen. Die mittelasiatische Eisenbahn, so wesentliche Dienste sie in all diesen Beziehungen geleistet hat, war doch ein Torso, so lange sie nicht in unmittelbarer Schienenverbiudung mit dem europäischen Rußland stand. Jetzt erst kann sie so recht ihren Einfluß äußern, nachdem sie durch die ver¬ billigte Anfuhr von Getreide aus den russischen Kornmagazinen für den Aus¬ tausch der wirtschaftlichen Erzeugisse und die Heranziehung der Produkte der angrenzenden Länder mittelst Zweig- und Stichbahnen frei geworden ist. Jetzt kann der Baumwollenbau bis zur Sättigung des russischen Marktes und darüber hinaus in die Höhe getrieben werden. Jetzt wird die mittelasiatische Eisenbahn eine wirkliche Verkehrsader, die ihre Verästelungen in die Nachbargebiete hineinstreckt, und die nach Fertigstellung der in Afghanistan geplanten englischen Bahnen einen Teil des Durchgangsverkehrs von Westeuropa über Taschkend, Ssamarkand und Herat nach Indien zu vermitteln hat. Jetzt kann die Kolonisation in größerm Stil in Innerasien befördert werden; der mit einem Auge nach der Heimat zurückblickende Mushik, der für die Seefahrt nicht viel übrig hat, hat eine feste Landverbindung hinter sich. Eine starke Kolonistenbevölkerung dient aber der Stärkung des Reichsgedankens, erhöht das Ansehn der herrschenden Nation innerhalb einer zu Unruhe neigenden, auf fremde Erfolge wartenden, heißblütigen, unüberlegten und leicht zu Fanatismus fortzureißenden Bevölkerung. Man kann sogar sagen, daß die politische und militärische Lage Rußlands in Zentralasien jetzt überhaupt erst haltbar wird. Ein Kolonialland, in dessen Gebäude erst vor zwanzig Jahren der Schlußstein mit der Festlegung der afghanischen Grenze gefügt worden ist, war auch nach Durchführung der mittel¬ asiatischen Bahn bis Andishan kein gesicherter Besitz, weil eine schnelle und sichere Landverbindung fehlte. Die weitere Ausdehnung des Kolonialbesitzes auf Kaschgarien und die Dsungarei war unmöglich, da sie einen Zusammenstoß mit englischen Interessen herbeigeführt hätte, in dessen Austrag eine Verstärkung der turkestanischen Armeekorps nur mit großem Zeitaufwand zu bewirken und wegen der Lage der mittelasiatischen Eisenbahn an der persischen Grenze mit ernstlicher Gefährdung verknüpft war. Nunmehr ist nicht nur die Ergänzung dieser Korps sehr erleichtert, sondern ihre schnelle Verstärkung aus den jederzeit kriegsbereiten Kasakenheeren jederzeit möglich. Binnen zweiundzwanzig Tagen kann ein Armeekorps aus der Gegend von Moskau um Ssamarkand oder Merw

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/318>, abgerufen am 15.05.2024.