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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Eine Mittelin eerfahrt nach Spanien

Daß es nicht gleichgiltig ist, auf welche heitern oder düstern Töne unsre Um¬
gebung gestimmt ist, kann jeder an sich selbst erfahren. Und mehr noch als
an den Möbeln kann sich hier der individuelle Geschmack betätigen und eine
unruhige oder harmonische, anheimelnde oder unbehagliche -- kurz stilvolle
oder heillose persönliche Umgebung herstellen. "Zeige mir deine Wohnung, und
ich B. Göring will dir sagen, wer du bist."




Eine Mittelmeerfahrt nach Spanien
Martin Anderson Nexö von

! it trocknen Augen sagten wir Italien Lebewohl und schifften uns
ein. So schön dieses Land ist, so ist es doch ein wenig zu viel
Tableau, allzu sehr Idylle. Seine Gauner lächeln zu liebens¬
würdig, die ganze Nation lacht und schlängelt sich -- nach
"Trinkgeldern. Die unzähligen Reisenden haben das italienische
Volk zu einer Art naßgekümmten Pudels gemacht, der herumspringt und seine
närrischen Kunststückchen vorführt. Überdies ist das ganze Land wie abgegrast
von allen möglichen Malern, Poeten und Philosophen der Welt. Jedes Fleckchen
Erde trügt seine Fuhre Papier und Leinwand und Reminiszenzen; und will
nun so ein armer moderner Skribent ein bißchen abseits stehn -- ebenfalls
in Berufsangelegenheiten --, so ertönen gleich ein Dutzend Stimmen abge-
schiedner großer Geister aus der Erde, ganz wie die der Kobolde im Märchen.
Wie in China kann man vor lauter Vorgängern nicht ausspucken und vor lauter
Überlieferung nicht frei Atem holen.

Wir haben also den Anker gelüftet; mag es nun dort weiter gehn, wie
es wolle! Napolis Myriaden Heller Lichter erlöschen im Golf; Messina kommt
und geht, ohne in unserm flüchtigen Sinn, der schon in Spanien weilt, Spuren
zu hinterlassen; Palermo versinkt tief in sein goldnes Horn und verschwindet,
und nun verbirgt sich als letztes der Schneegipfel des Ätna in den Wellen.
Schön ist es so zu fahren, zu allen Seiten, soweit das Auge reicht, Meer und
nichts als Meer. Meile um Meile der Meeresfläche zieht unter den Schiffs-
steven und gleitet unter dem Achter hinaus, weit draußen aber am Horizont
rollen neue Wasserflächen heran, ebenso rasch, wie wir sie zurücklegen. Es ist,
als kämen wir nicht weiter, und doch stampft das Schiff unverdrossen, und die
Schraube schnurrt; so muß es sein, wenn man durch die Unendlichkeit watet.

Die Sonne hebt sich aus dem Meere und taucht darin unter, Tag um
Tag. Dieselbe Wasserfläche rollt stets unter uns, blau oder perlmutterglänzend,
trüge, schläfrig, mit langen Dünungen, die auf der Oberfläche schaukeln wie
mächtige schlafende Weichtiere. Dann und wann erscheint ein matter Fleck


Eine Mittelin eerfahrt nach Spanien

Daß es nicht gleichgiltig ist, auf welche heitern oder düstern Töne unsre Um¬
gebung gestimmt ist, kann jeder an sich selbst erfahren. Und mehr noch als
an den Möbeln kann sich hier der individuelle Geschmack betätigen und eine
unruhige oder harmonische, anheimelnde oder unbehagliche — kurz stilvolle
oder heillose persönliche Umgebung herstellen. „Zeige mir deine Wohnung, und
ich B. Göring will dir sagen, wer du bist."




Eine Mittelmeerfahrt nach Spanien
Martin Anderson Nexö von

! it trocknen Augen sagten wir Italien Lebewohl und schifften uns
ein. So schön dieses Land ist, so ist es doch ein wenig zu viel
Tableau, allzu sehr Idylle. Seine Gauner lächeln zu liebens¬
würdig, die ganze Nation lacht und schlängelt sich — nach
«Trinkgeldern. Die unzähligen Reisenden haben das italienische
Volk zu einer Art naßgekümmten Pudels gemacht, der herumspringt und seine
närrischen Kunststückchen vorführt. Überdies ist das ganze Land wie abgegrast
von allen möglichen Malern, Poeten und Philosophen der Welt. Jedes Fleckchen
Erde trügt seine Fuhre Papier und Leinwand und Reminiszenzen; und will
nun so ein armer moderner Skribent ein bißchen abseits stehn — ebenfalls
in Berufsangelegenheiten —, so ertönen gleich ein Dutzend Stimmen abge-
schiedner großer Geister aus der Erde, ganz wie die der Kobolde im Märchen.
Wie in China kann man vor lauter Vorgängern nicht ausspucken und vor lauter
Überlieferung nicht frei Atem holen.

Wir haben also den Anker gelüftet; mag es nun dort weiter gehn, wie
es wolle! Napolis Myriaden Heller Lichter erlöschen im Golf; Messina kommt
und geht, ohne in unserm flüchtigen Sinn, der schon in Spanien weilt, Spuren
zu hinterlassen; Palermo versinkt tief in sein goldnes Horn und verschwindet,
und nun verbirgt sich als letztes der Schneegipfel des Ätna in den Wellen.
Schön ist es so zu fahren, zu allen Seiten, soweit das Auge reicht, Meer und
nichts als Meer. Meile um Meile der Meeresfläche zieht unter den Schiffs-
steven und gleitet unter dem Achter hinaus, weit draußen aber am Horizont
rollen neue Wasserflächen heran, ebenso rasch, wie wir sie zurücklegen. Es ist,
als kämen wir nicht weiter, und doch stampft das Schiff unverdrossen, und die
Schraube schnurrt; so muß es sein, wenn man durch die Unendlichkeit watet.

Die Sonne hebt sich aus dem Meere und taucht darin unter, Tag um
Tag. Dieselbe Wasserfläche rollt stets unter uns, blau oder perlmutterglänzend,
trüge, schläfrig, mit langen Dünungen, die auf der Oberfläche schaukeln wie
mächtige schlafende Weichtiere. Dann und wann erscheint ein matter Fleck


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[0363] Eine Mittelin eerfahrt nach Spanien Daß es nicht gleichgiltig ist, auf welche heitern oder düstern Töne unsre Um¬ gebung gestimmt ist, kann jeder an sich selbst erfahren. Und mehr noch als an den Möbeln kann sich hier der individuelle Geschmack betätigen und eine unruhige oder harmonische, anheimelnde oder unbehagliche — kurz stilvolle oder heillose persönliche Umgebung herstellen. „Zeige mir deine Wohnung, und ich B. Göring will dir sagen, wer du bist." Eine Mittelmeerfahrt nach Spanien Martin Anderson Nexö von ! it trocknen Augen sagten wir Italien Lebewohl und schifften uns ein. So schön dieses Land ist, so ist es doch ein wenig zu viel Tableau, allzu sehr Idylle. Seine Gauner lächeln zu liebens¬ würdig, die ganze Nation lacht und schlängelt sich — nach «Trinkgeldern. Die unzähligen Reisenden haben das italienische Volk zu einer Art naßgekümmten Pudels gemacht, der herumspringt und seine närrischen Kunststückchen vorführt. Überdies ist das ganze Land wie abgegrast von allen möglichen Malern, Poeten und Philosophen der Welt. Jedes Fleckchen Erde trügt seine Fuhre Papier und Leinwand und Reminiszenzen; und will nun so ein armer moderner Skribent ein bißchen abseits stehn — ebenfalls in Berufsangelegenheiten —, so ertönen gleich ein Dutzend Stimmen abge- schiedner großer Geister aus der Erde, ganz wie die der Kobolde im Märchen. Wie in China kann man vor lauter Vorgängern nicht ausspucken und vor lauter Überlieferung nicht frei Atem holen. Wir haben also den Anker gelüftet; mag es nun dort weiter gehn, wie es wolle! Napolis Myriaden Heller Lichter erlöschen im Golf; Messina kommt und geht, ohne in unserm flüchtigen Sinn, der schon in Spanien weilt, Spuren zu hinterlassen; Palermo versinkt tief in sein goldnes Horn und verschwindet, und nun verbirgt sich als letztes der Schneegipfel des Ätna in den Wellen. Schön ist es so zu fahren, zu allen Seiten, soweit das Auge reicht, Meer und nichts als Meer. Meile um Meile der Meeresfläche zieht unter den Schiffs- steven und gleitet unter dem Achter hinaus, weit draußen aber am Horizont rollen neue Wasserflächen heran, ebenso rasch, wie wir sie zurücklegen. Es ist, als kämen wir nicht weiter, und doch stampft das Schiff unverdrossen, und die Schraube schnurrt; so muß es sein, wenn man durch die Unendlichkeit watet. Die Sonne hebt sich aus dem Meere und taucht darin unter, Tag um Tag. Dieselbe Wasserfläche rollt stets unter uns, blau oder perlmutterglänzend, trüge, schläfrig, mit langen Dünungen, die auf der Oberfläche schaukeln wie mächtige schlafende Weichtiere. Dann und wann erscheint ein matter Fleck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/363>, abgerufen am 28.04.2024.