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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Wohnzimmer

Büchern bestimmt ist, also durchaus für praktischen häufigen Gebrauch. Aber
was hat man aus einem Geschirrschrank (zu deutsch Büfett) gemacht! Eine
Burg mit Butzenscheiben, Zinnenverzierungen und Eckbrettern nach außen.
Oder aus einem Bücherschrank? ein geschweiftes Etwas (obschon Bücher doch
immer gerade und eckig sind) mit möglichst viel überflüssigen Zieraten, die
nur gut sind, die Aufmerksamkeit vom Inhalt abzulenken. Das schlimmste,
was es gibt, ist das Modernisieren älterer Sachen! Daß man Eichenholz
braun anstreicht, Blechbeschläge darauf nagelt und fabrikmäßige Schnitzereien
aufsetzt, damit es zur neuen Nußbaumeinrichtung "paßt", kommt ja wohl
glücklicherweise nicht mehr vor. Aber es geschieht doch noch alle Tage, daß
ein ehrlicher tannener Schrank oder Waschtisch auf Mahagoni gestrichen und
genähert und mit einer künstlichen karrarischen Holzmarmorplatte versehen
wird. Und doch machen es die heutigen Mittel -- Beizen, Schnitzen, Tief¬
brand -- jedem möglich, einem solchen Gegenstand ein gefülliges Äußeres zu
geben ohne Vorspiegelung falscher Tatsachen, zum Beispiel eine angenehme
Tönung, die die natürliche Maserung nicht verdeckt, oder aber Leisten und
Füllungen mit passenden Mustern zu beleben.

Die andre Hauptfrage in einem Wohnzimmer ist die Farbe. Hierin wird
noch immer unverzeihlich gesündigt, denn bis hierhin reicht der Einfluß unsrer
vorgeschrittnen Möbelkultur noch recht mangelhaft. Wenn die einzelnen Sachen
aber auch noch so schön sind, mit einer in den Farben nicht dazu passenden
Umgebung bilden sie dennoch kein Ganzes. Für die Wohnlichkeit eines Ge¬
machs ist die Farbe ausschlaggebend. Die Ungemütlichkeit manches Wohn¬
zimmers liegt nur daran, daß noch so wenige Menschen verstehn, eine farbige
Grundstimmung herzustellen, in der weder die Eintönigkeit noch die Buntheit
schreit. Mich dünkt, es ist recht ein Feld für die Frauen, eine fein abge¬
stimmte Farbenharmonie um uns zu verbreiten. Das war auch ein Vorzug
der Wohnungen unsrer Groß- und Urgroßeltern: sie waren sparsamer und
einfacher in der Farbe. Sie wiesen lange nicht so viele Teppiche, Decken und
Deckchen, Vorhänge und Dekorationen auf wie unsre Stuben. Und die
Tapeten waren bedeutend nichtssagender als unsre aufdringlich gemusterten
und hart gefärbten. Gerade dadurch redeten sie deutlich mit bei der Traulich¬
keit der Räume; es ist sehr klug, daß man jetzt wieder vielfach auf die ein¬
farbig gestreiften oder mattbunten Tapeten früherer Zeit zurückkommt. Sie
geben dem ganzen Zimmer eine helle Stimmung, was das Beengende der
Wände einigermaßen einschränkt; oder sie bringen mit einem dunklern warmen
Ton gerade das Trauliche des eingeschlossenen Raumes zum Bewußtsein. Ge¬
räte, Bilder und Menschen heben sich besser von solchem Hintergrund ab und
werden durch ihn gehoben, als von einem Hintergrunde, der an und für sich
mit einem großblumigen, mehrfarbigen Muster wirken will. Man hat neuer¬
dings festgestellt, daß und welche Einflüsse die verschiednen Farben auf uns
ausüben, zum Beispiel gelb eine sehr anregende, blau eine herabstimmende usw.


Unsre Wohnzimmer

Büchern bestimmt ist, also durchaus für praktischen häufigen Gebrauch. Aber
was hat man aus einem Geschirrschrank (zu deutsch Büfett) gemacht! Eine
Burg mit Butzenscheiben, Zinnenverzierungen und Eckbrettern nach außen.
Oder aus einem Bücherschrank? ein geschweiftes Etwas (obschon Bücher doch
immer gerade und eckig sind) mit möglichst viel überflüssigen Zieraten, die
nur gut sind, die Aufmerksamkeit vom Inhalt abzulenken. Das schlimmste,
was es gibt, ist das Modernisieren älterer Sachen! Daß man Eichenholz
braun anstreicht, Blechbeschläge darauf nagelt und fabrikmäßige Schnitzereien
aufsetzt, damit es zur neuen Nußbaumeinrichtung „paßt", kommt ja wohl
glücklicherweise nicht mehr vor. Aber es geschieht doch noch alle Tage, daß
ein ehrlicher tannener Schrank oder Waschtisch auf Mahagoni gestrichen und
genähert und mit einer künstlichen karrarischen Holzmarmorplatte versehen
wird. Und doch machen es die heutigen Mittel — Beizen, Schnitzen, Tief¬
brand — jedem möglich, einem solchen Gegenstand ein gefülliges Äußeres zu
geben ohne Vorspiegelung falscher Tatsachen, zum Beispiel eine angenehme
Tönung, die die natürliche Maserung nicht verdeckt, oder aber Leisten und
Füllungen mit passenden Mustern zu beleben.

Die andre Hauptfrage in einem Wohnzimmer ist die Farbe. Hierin wird
noch immer unverzeihlich gesündigt, denn bis hierhin reicht der Einfluß unsrer
vorgeschrittnen Möbelkultur noch recht mangelhaft. Wenn die einzelnen Sachen
aber auch noch so schön sind, mit einer in den Farben nicht dazu passenden
Umgebung bilden sie dennoch kein Ganzes. Für die Wohnlichkeit eines Ge¬
machs ist die Farbe ausschlaggebend. Die Ungemütlichkeit manches Wohn¬
zimmers liegt nur daran, daß noch so wenige Menschen verstehn, eine farbige
Grundstimmung herzustellen, in der weder die Eintönigkeit noch die Buntheit
schreit. Mich dünkt, es ist recht ein Feld für die Frauen, eine fein abge¬
stimmte Farbenharmonie um uns zu verbreiten. Das war auch ein Vorzug
der Wohnungen unsrer Groß- und Urgroßeltern: sie waren sparsamer und
einfacher in der Farbe. Sie wiesen lange nicht so viele Teppiche, Decken und
Deckchen, Vorhänge und Dekorationen auf wie unsre Stuben. Und die
Tapeten waren bedeutend nichtssagender als unsre aufdringlich gemusterten
und hart gefärbten. Gerade dadurch redeten sie deutlich mit bei der Traulich¬
keit der Räume; es ist sehr klug, daß man jetzt wieder vielfach auf die ein¬
farbig gestreiften oder mattbunten Tapeten früherer Zeit zurückkommt. Sie
geben dem ganzen Zimmer eine helle Stimmung, was das Beengende der
Wände einigermaßen einschränkt; oder sie bringen mit einem dunklern warmen
Ton gerade das Trauliche des eingeschlossenen Raumes zum Bewußtsein. Ge¬
räte, Bilder und Menschen heben sich besser von solchem Hintergrund ab und
werden durch ihn gehoben, als von einem Hintergrunde, der an und für sich
mit einem großblumigen, mehrfarbigen Muster wirken will. Man hat neuer¬
dings festgestellt, daß und welche Einflüsse die verschiednen Farben auf uns
ausüben, zum Beispiel gelb eine sehr anregende, blau eine herabstimmende usw.


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[0362] Unsre Wohnzimmer Büchern bestimmt ist, also durchaus für praktischen häufigen Gebrauch. Aber was hat man aus einem Geschirrschrank (zu deutsch Büfett) gemacht! Eine Burg mit Butzenscheiben, Zinnenverzierungen und Eckbrettern nach außen. Oder aus einem Bücherschrank? ein geschweiftes Etwas (obschon Bücher doch immer gerade und eckig sind) mit möglichst viel überflüssigen Zieraten, die nur gut sind, die Aufmerksamkeit vom Inhalt abzulenken. Das schlimmste, was es gibt, ist das Modernisieren älterer Sachen! Daß man Eichenholz braun anstreicht, Blechbeschläge darauf nagelt und fabrikmäßige Schnitzereien aufsetzt, damit es zur neuen Nußbaumeinrichtung „paßt", kommt ja wohl glücklicherweise nicht mehr vor. Aber es geschieht doch noch alle Tage, daß ein ehrlicher tannener Schrank oder Waschtisch auf Mahagoni gestrichen und genähert und mit einer künstlichen karrarischen Holzmarmorplatte versehen wird. Und doch machen es die heutigen Mittel — Beizen, Schnitzen, Tief¬ brand — jedem möglich, einem solchen Gegenstand ein gefülliges Äußeres zu geben ohne Vorspiegelung falscher Tatsachen, zum Beispiel eine angenehme Tönung, die die natürliche Maserung nicht verdeckt, oder aber Leisten und Füllungen mit passenden Mustern zu beleben. Die andre Hauptfrage in einem Wohnzimmer ist die Farbe. Hierin wird noch immer unverzeihlich gesündigt, denn bis hierhin reicht der Einfluß unsrer vorgeschrittnen Möbelkultur noch recht mangelhaft. Wenn die einzelnen Sachen aber auch noch so schön sind, mit einer in den Farben nicht dazu passenden Umgebung bilden sie dennoch kein Ganzes. Für die Wohnlichkeit eines Ge¬ machs ist die Farbe ausschlaggebend. Die Ungemütlichkeit manches Wohn¬ zimmers liegt nur daran, daß noch so wenige Menschen verstehn, eine farbige Grundstimmung herzustellen, in der weder die Eintönigkeit noch die Buntheit schreit. Mich dünkt, es ist recht ein Feld für die Frauen, eine fein abge¬ stimmte Farbenharmonie um uns zu verbreiten. Das war auch ein Vorzug der Wohnungen unsrer Groß- und Urgroßeltern: sie waren sparsamer und einfacher in der Farbe. Sie wiesen lange nicht so viele Teppiche, Decken und Deckchen, Vorhänge und Dekorationen auf wie unsre Stuben. Und die Tapeten waren bedeutend nichtssagender als unsre aufdringlich gemusterten und hart gefärbten. Gerade dadurch redeten sie deutlich mit bei der Traulich¬ keit der Räume; es ist sehr klug, daß man jetzt wieder vielfach auf die ein¬ farbig gestreiften oder mattbunten Tapeten früherer Zeit zurückkommt. Sie geben dem ganzen Zimmer eine helle Stimmung, was das Beengende der Wände einigermaßen einschränkt; oder sie bringen mit einem dunklern warmen Ton gerade das Trauliche des eingeschlossenen Raumes zum Bewußtsein. Ge¬ räte, Bilder und Menschen heben sich besser von solchem Hintergrund ab und werden durch ihn gehoben, als von einem Hintergrunde, der an und für sich mit einem großblumigen, mehrfarbigen Muster wirken will. Man hat neuer¬ dings festgestellt, daß und welche Einflüsse die verschiednen Farben auf uns ausüben, zum Beispiel gelb eine sehr anregende, blau eine herabstimmende usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/362>, abgerufen am 14.05.2024.