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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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(Ladiz Martin Andersen Nexö Reiseerinnerungen vonin

ern draußen an dem unsäglich reinen Himmelsrande tauchen zwei
gelbe Flecken auf. Eine Zeit lang schwimmen sie am Horizont
wie zwei Wasserlilien, lösen sich dann und wachsen langsam auf
schlanken weißen Stengeln aus dem Meere empor. Sie zittern
in der sonnenflimmernden Ferne wie zwei Staubträger, und
zwischen ihnen erhebt sich eine große gelbe Blumenkuppel. Man starrt und
staunt ob dieses Wachstums, das an das der Gräser erinnert und so langsam
vor sich geht wie dieses; man ist erwartungsvoll gespannt und wird doch nicht
ungeduldig. Die See dämpft; und das bedächtige Tempo, der nimmer ruhende
Stempelschlag des Schiffes, der eintönig fällt wie der Puls des Wiederkäuers,
macht ruhig und friedlich. Und dies Wachsen da draußen teilt einem etwas
mit von der großen Geduld der Ewigkeit, so unendlich langsam ist es.

Sie ziehen andre mit sich; seltsame Formen und Farben sprossen aus der
Tiefe auf und schmelzen zusammen zu einem mächtigen weißen Beet -- die
See blüht. Es nimmt gebrochne Konturen an: Zinnen, minaretartige Türme,
Kuppeln; es zittert eine Weile vage vor dem Auge, fern, unwirklich -- ein
Silberschloß mit Kuppeln aus Gold, das sich auf einer blendenden Kreidebank
aus dem blauen Meere hebt. Bis die weiße Masse vor dem Blicke in un¬
zählige Flächen bricht, und sich die Stadt wie eine Wasserlilie ausbreitet auf
dem blauen Ozean, sich auf Blättern und Stielen wiegend -- die Kuppel
und die beiden schlanken Turmspitzen der Kathedrale als Krone und Staub¬
träger in die purpnrgesättigten Lüfte erhebend. Sechs Fahrstunden sind es nnn
her, seit wir die ersten schwachen Pünktchen entdeckten, so klar ist die Luft.

Während man in der Bucht von Cadiz Anker wirft, und sich der Blick in
die herrlich daliegende Stadt versenkt, klopft einem das Blut in den Adern.
Diese fremden Linien; dies wunderbar reine Weiß, nun im Dezember mit
Hellem Frühlingsgrün vermischt; diese ganze blendende Masse, eingefaßt von
dem tiefen Indigo des Meeres und der leichten Mischung von Purpur und
Gold und Blau, die der Himmel zeigt, unter der schneeweißen Hülle selbst in
Farben spielend, die so fein, so leicht angedeutet sind, daß man sie von keiner
andern Stadt in der Erinnerung trägt -- das muß das Märchen sein, das wir
schon als Kinder ungläubig belächelten: das wunderbare Märchen, aus dem
Meere selbst geboren und jubelnd hinaufgehoben in Sonnenglanz und Farben,
in Goldschimmer und Blau.




(Ladiz Martin Andersen Nexö Reiseerinnerungen vonin

ern draußen an dem unsäglich reinen Himmelsrande tauchen zwei
gelbe Flecken auf. Eine Zeit lang schwimmen sie am Horizont
wie zwei Wasserlilien, lösen sich dann und wachsen langsam auf
schlanken weißen Stengeln aus dem Meere empor. Sie zittern
in der sonnenflimmernden Ferne wie zwei Staubträger, und
zwischen ihnen erhebt sich eine große gelbe Blumenkuppel. Man starrt und
staunt ob dieses Wachstums, das an das der Gräser erinnert und so langsam
vor sich geht wie dieses; man ist erwartungsvoll gespannt und wird doch nicht
ungeduldig. Die See dämpft; und das bedächtige Tempo, der nimmer ruhende
Stempelschlag des Schiffes, der eintönig fällt wie der Puls des Wiederkäuers,
macht ruhig und friedlich. Und dies Wachsen da draußen teilt einem etwas
mit von der großen Geduld der Ewigkeit, so unendlich langsam ist es.

Sie ziehen andre mit sich; seltsame Formen und Farben sprossen aus der
Tiefe auf und schmelzen zusammen zu einem mächtigen weißen Beet — die
See blüht. Es nimmt gebrochne Konturen an: Zinnen, minaretartige Türme,
Kuppeln; es zittert eine Weile vage vor dem Auge, fern, unwirklich — ein
Silberschloß mit Kuppeln aus Gold, das sich auf einer blendenden Kreidebank
aus dem blauen Meere hebt. Bis die weiße Masse vor dem Blicke in un¬
zählige Flächen bricht, und sich die Stadt wie eine Wasserlilie ausbreitet auf
dem blauen Ozean, sich auf Blättern und Stielen wiegend — die Kuppel
und die beiden schlanken Turmspitzen der Kathedrale als Krone und Staub¬
träger in die purpnrgesättigten Lüfte erhebend. Sechs Fahrstunden sind es nnn
her, seit wir die ersten schwachen Pünktchen entdeckten, so klar ist die Luft.

Während man in der Bucht von Cadiz Anker wirft, und sich der Blick in
die herrlich daliegende Stadt versenkt, klopft einem das Blut in den Adern.
Diese fremden Linien; dies wunderbar reine Weiß, nun im Dezember mit
Hellem Frühlingsgrün vermischt; diese ganze blendende Masse, eingefaßt von
dem tiefen Indigo des Meeres und der leichten Mischung von Purpur und
Gold und Blau, die der Himmel zeigt, unter der schneeweißen Hülle selbst in
Farben spielend, die so fein, so leicht angedeutet sind, daß man sie von keiner
andern Stadt in der Erinnerung trägt — das muß das Märchen sein, das wir
schon als Kinder ungläubig belächelten: das wunderbare Märchen, aus dem
Meere selbst geboren und jubelnd hinaufgehoben in Sonnenglanz und Farben,
in Goldschimmer und Blau.


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[0531] [Abbildung] (Ladiz Martin Andersen Nexö Reiseerinnerungen vonin ern draußen an dem unsäglich reinen Himmelsrande tauchen zwei gelbe Flecken auf. Eine Zeit lang schwimmen sie am Horizont wie zwei Wasserlilien, lösen sich dann und wachsen langsam auf schlanken weißen Stengeln aus dem Meere empor. Sie zittern in der sonnenflimmernden Ferne wie zwei Staubträger, und zwischen ihnen erhebt sich eine große gelbe Blumenkuppel. Man starrt und staunt ob dieses Wachstums, das an das der Gräser erinnert und so langsam vor sich geht wie dieses; man ist erwartungsvoll gespannt und wird doch nicht ungeduldig. Die See dämpft; und das bedächtige Tempo, der nimmer ruhende Stempelschlag des Schiffes, der eintönig fällt wie der Puls des Wiederkäuers, macht ruhig und friedlich. Und dies Wachsen da draußen teilt einem etwas mit von der großen Geduld der Ewigkeit, so unendlich langsam ist es. Sie ziehen andre mit sich; seltsame Formen und Farben sprossen aus der Tiefe auf und schmelzen zusammen zu einem mächtigen weißen Beet — die See blüht. Es nimmt gebrochne Konturen an: Zinnen, minaretartige Türme, Kuppeln; es zittert eine Weile vage vor dem Auge, fern, unwirklich — ein Silberschloß mit Kuppeln aus Gold, das sich auf einer blendenden Kreidebank aus dem blauen Meere hebt. Bis die weiße Masse vor dem Blicke in un¬ zählige Flächen bricht, und sich die Stadt wie eine Wasserlilie ausbreitet auf dem blauen Ozean, sich auf Blättern und Stielen wiegend — die Kuppel und die beiden schlanken Turmspitzen der Kathedrale als Krone und Staub¬ träger in die purpnrgesättigten Lüfte erhebend. Sechs Fahrstunden sind es nnn her, seit wir die ersten schwachen Pünktchen entdeckten, so klar ist die Luft. Während man in der Bucht von Cadiz Anker wirft, und sich der Blick in die herrlich daliegende Stadt versenkt, klopft einem das Blut in den Adern. Diese fremden Linien; dies wunderbar reine Weiß, nun im Dezember mit Hellem Frühlingsgrün vermischt; diese ganze blendende Masse, eingefaßt von dem tiefen Indigo des Meeres und der leichten Mischung von Purpur und Gold und Blau, die der Himmel zeigt, unter der schneeweißen Hülle selbst in Farben spielend, die so fein, so leicht angedeutet sind, daß man sie von keiner andern Stadt in der Erinnerung trägt — das muß das Märchen sein, das wir schon als Kinder ungläubig belächelten: das wunderbare Märchen, aus dem Meere selbst geboren und jubelnd hinaufgehoben in Sonnenglanz und Farben, in Goldschimmer und Blau.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/531>, abgerufen am 29.04.2024.