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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ladiz

In demselben Jahre, wo Methusalem sein Leben beschloß, segelten einige
junge kühne Phönizier ein wenig über das Ende der Welt hinaus, das sich
dazumal bei Gibraltar befand, und gründeten die Stadt Cadiz. Sie kam auf
eine kleine Insel zu liegen, die sich, durch einen langen schmalen Sandstreifen
mit Spanien verbunden, wie ein dünner Hals in das Meer vorschob.

Cadiz wurde bald eine für jene Zeiten bedeutende Stapelstadt; sie wurde
das Mittelglied für allen Seehandel zwischen dem Orient und England-Ostsee-
Nordfrankreich. Gold, Bernstein, Purpur, Erz, kostbare Stein- und Holzsorten:
alle Schütze des Altertums überspülten auf ihrem Wege hin und zurück die
Stadt. Sie wuchs und erstarkte hieran an Reichtum und Schönheit und einer
eignen weiblichen Herrschbegier, die sie bestimmte, sich der Reihe nach den
Mächtigsten hinzugeben, zuerst Karthago, dann Rom. Cäsar befestigte die
Stadt und machte sie zum Kriegshafen: allmählich wurde sie der Mittelpunkt
des Welthandels, die Königin des Meeres. Der wandernde Brennpunkt der
Zivilisation flackerte eine Weile suchend über sie hin, ehe er weiterglitt zu
Cordova und Sevilla.

Die Mauren wußten aus der Stadt, dicht umschlossen von tiefem Wasser,
wie sie war, keinen Gewinn zu ziehen. So versank sie wieder ins Meer,
tauchte jedoch ein Jahrtausend später wiederum auf, ein Ausbeutungsobjekt der
Neuen Welt. Wieder wurde Cadiz Mittelglied, diesmal zwischen zwei Welten,
große Schiffsbauten erhoben sich, und alle Bank- und Handelshäuser der Erde
errichteten dort ihre Filialen. Die Stadt wurde bei der Heimkehr der großen
Handelsflotten aus Amerika von Kaufleuten überschwemmt: russischen, jüdischen,
indischen; Berbern, blonden Nordländern, schlauen Griechen, riesengroßen
Sklavenhändlern aus Westafrika. Es waren auch marokkanische Seeräuber
darunter; sie erkundigten sich insgeheim, wann dieses oder jenes Schiff mit
seiner Ladung Gold daheim erwartet werde. Das Gold klang wieder in den
verschiedensten Zungen, sein Glanz brach sich in allen Hautfarben.

Und es gab Gold genug für den, der es einzufangen verstand! Das
Gold und Silber allein, das Cadiz in einem einzigen Jahre (1790) aus
Amerika erhielt, belief sich auf einen Wert von 100 Millionen Kronen; und
zu einer so gewöhnlichen Ware wurde das Gold in der Stadt, daß selbst die
Hunde es als Kette verschmäht und der Freiheit deu Vorzug gegeben haben
sollen. Nur die Menschen blieben dem edeln Metalle weiterhin treu.

Seinen großen Stoß als Stapelplatz der Alten Welt erlitt Cadiz durch
den Aufschwung der Dampfschiffahrt vor etwa dreißig Jahren. Kein Hafen
konnte sich einer bessern Lage rühmen: just an der Meeresstraße mit ihrer
reißenden Strömung und ihren streitbaren Winden, die es zu einer zuweilen
gefährlichen und oft ökonomisch zweifelhaften Sache für die Segelschiffe machten,
die Reise zu den weitgestreckten reichen Küsten des Mittelmeeres fortzusetzen.

Aber das Dampfschiff ist nicht wie das Segelschiff an einen Bestimmungs¬
ort gebunden, der dicht an den großen Meeren mit weitem Wasser und regel¬
mäßigen Winden liegt; es geht gegen den Wind und gegen den Strom, läuft


Ladiz

In demselben Jahre, wo Methusalem sein Leben beschloß, segelten einige
junge kühne Phönizier ein wenig über das Ende der Welt hinaus, das sich
dazumal bei Gibraltar befand, und gründeten die Stadt Cadiz. Sie kam auf
eine kleine Insel zu liegen, die sich, durch einen langen schmalen Sandstreifen
mit Spanien verbunden, wie ein dünner Hals in das Meer vorschob.

Cadiz wurde bald eine für jene Zeiten bedeutende Stapelstadt; sie wurde
das Mittelglied für allen Seehandel zwischen dem Orient und England-Ostsee-
Nordfrankreich. Gold, Bernstein, Purpur, Erz, kostbare Stein- und Holzsorten:
alle Schütze des Altertums überspülten auf ihrem Wege hin und zurück die
Stadt. Sie wuchs und erstarkte hieran an Reichtum und Schönheit und einer
eignen weiblichen Herrschbegier, die sie bestimmte, sich der Reihe nach den
Mächtigsten hinzugeben, zuerst Karthago, dann Rom. Cäsar befestigte die
Stadt und machte sie zum Kriegshafen: allmählich wurde sie der Mittelpunkt
des Welthandels, die Königin des Meeres. Der wandernde Brennpunkt der
Zivilisation flackerte eine Weile suchend über sie hin, ehe er weiterglitt zu
Cordova und Sevilla.

Die Mauren wußten aus der Stadt, dicht umschlossen von tiefem Wasser,
wie sie war, keinen Gewinn zu ziehen. So versank sie wieder ins Meer,
tauchte jedoch ein Jahrtausend später wiederum auf, ein Ausbeutungsobjekt der
Neuen Welt. Wieder wurde Cadiz Mittelglied, diesmal zwischen zwei Welten,
große Schiffsbauten erhoben sich, und alle Bank- und Handelshäuser der Erde
errichteten dort ihre Filialen. Die Stadt wurde bei der Heimkehr der großen
Handelsflotten aus Amerika von Kaufleuten überschwemmt: russischen, jüdischen,
indischen; Berbern, blonden Nordländern, schlauen Griechen, riesengroßen
Sklavenhändlern aus Westafrika. Es waren auch marokkanische Seeräuber
darunter; sie erkundigten sich insgeheim, wann dieses oder jenes Schiff mit
seiner Ladung Gold daheim erwartet werde. Das Gold klang wieder in den
verschiedensten Zungen, sein Glanz brach sich in allen Hautfarben.

Und es gab Gold genug für den, der es einzufangen verstand! Das
Gold und Silber allein, das Cadiz in einem einzigen Jahre (1790) aus
Amerika erhielt, belief sich auf einen Wert von 100 Millionen Kronen; und
zu einer so gewöhnlichen Ware wurde das Gold in der Stadt, daß selbst die
Hunde es als Kette verschmäht und der Freiheit deu Vorzug gegeben haben
sollen. Nur die Menschen blieben dem edeln Metalle weiterhin treu.

Seinen großen Stoß als Stapelplatz der Alten Welt erlitt Cadiz durch
den Aufschwung der Dampfschiffahrt vor etwa dreißig Jahren. Kein Hafen
konnte sich einer bessern Lage rühmen: just an der Meeresstraße mit ihrer
reißenden Strömung und ihren streitbaren Winden, die es zu einer zuweilen
gefährlichen und oft ökonomisch zweifelhaften Sache für die Segelschiffe machten,
die Reise zu den weitgestreckten reichen Küsten des Mittelmeeres fortzusetzen.

Aber das Dampfschiff ist nicht wie das Segelschiff an einen Bestimmungs¬
ort gebunden, der dicht an den großen Meeren mit weitem Wasser und regel¬
mäßigen Winden liegt; es geht gegen den Wind und gegen den Strom, läuft


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[0532] Ladiz In demselben Jahre, wo Methusalem sein Leben beschloß, segelten einige junge kühne Phönizier ein wenig über das Ende der Welt hinaus, das sich dazumal bei Gibraltar befand, und gründeten die Stadt Cadiz. Sie kam auf eine kleine Insel zu liegen, die sich, durch einen langen schmalen Sandstreifen mit Spanien verbunden, wie ein dünner Hals in das Meer vorschob. Cadiz wurde bald eine für jene Zeiten bedeutende Stapelstadt; sie wurde das Mittelglied für allen Seehandel zwischen dem Orient und England-Ostsee- Nordfrankreich. Gold, Bernstein, Purpur, Erz, kostbare Stein- und Holzsorten: alle Schütze des Altertums überspülten auf ihrem Wege hin und zurück die Stadt. Sie wuchs und erstarkte hieran an Reichtum und Schönheit und einer eignen weiblichen Herrschbegier, die sie bestimmte, sich der Reihe nach den Mächtigsten hinzugeben, zuerst Karthago, dann Rom. Cäsar befestigte die Stadt und machte sie zum Kriegshafen: allmählich wurde sie der Mittelpunkt des Welthandels, die Königin des Meeres. Der wandernde Brennpunkt der Zivilisation flackerte eine Weile suchend über sie hin, ehe er weiterglitt zu Cordova und Sevilla. Die Mauren wußten aus der Stadt, dicht umschlossen von tiefem Wasser, wie sie war, keinen Gewinn zu ziehen. So versank sie wieder ins Meer, tauchte jedoch ein Jahrtausend später wiederum auf, ein Ausbeutungsobjekt der Neuen Welt. Wieder wurde Cadiz Mittelglied, diesmal zwischen zwei Welten, große Schiffsbauten erhoben sich, und alle Bank- und Handelshäuser der Erde errichteten dort ihre Filialen. Die Stadt wurde bei der Heimkehr der großen Handelsflotten aus Amerika von Kaufleuten überschwemmt: russischen, jüdischen, indischen; Berbern, blonden Nordländern, schlauen Griechen, riesengroßen Sklavenhändlern aus Westafrika. Es waren auch marokkanische Seeräuber darunter; sie erkundigten sich insgeheim, wann dieses oder jenes Schiff mit seiner Ladung Gold daheim erwartet werde. Das Gold klang wieder in den verschiedensten Zungen, sein Glanz brach sich in allen Hautfarben. Und es gab Gold genug für den, der es einzufangen verstand! Das Gold und Silber allein, das Cadiz in einem einzigen Jahre (1790) aus Amerika erhielt, belief sich auf einen Wert von 100 Millionen Kronen; und zu einer so gewöhnlichen Ware wurde das Gold in der Stadt, daß selbst die Hunde es als Kette verschmäht und der Freiheit deu Vorzug gegeben haben sollen. Nur die Menschen blieben dem edeln Metalle weiterhin treu. Seinen großen Stoß als Stapelplatz der Alten Welt erlitt Cadiz durch den Aufschwung der Dampfschiffahrt vor etwa dreißig Jahren. Kein Hafen konnte sich einer bessern Lage rühmen: just an der Meeresstraße mit ihrer reißenden Strömung und ihren streitbaren Winden, die es zu einer zuweilen gefährlichen und oft ökonomisch zweifelhaften Sache für die Segelschiffe machten, die Reise zu den weitgestreckten reichen Küsten des Mittelmeeres fortzusetzen. Aber das Dampfschiff ist nicht wie das Segelschiff an einen Bestimmungs¬ ort gebunden, der dicht an den großen Meeren mit weitem Wasser und regel¬ mäßigen Winden liegt; es geht gegen den Wind und gegen den Strom, läuft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/532>, abgerufen am 14.05.2024.