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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die Rurse für Regiermigsreferendare

insbesondre unter Berücksichtigung der Besitzverteilung, Verschuldung und Arbeiter¬
fragen; Hauptprobleme der Jndustriepolitik, Kartelle und Gewerkvereine : Problem
des Handels und der Handelspolitik; Mittelstand, Kleinhandel, Handwerk; Bank-
uud Börsenwesen; Genossenschaftswesen; Unternehmerfunktion des Staats und
der ihm untergeordneten öffentlich-rechtlichen Instanz,

Nach dem Vortrage stellte der Professor die notwendigen Schriften zur
Verfügung, die es mir möglich machten, den Vortrag eingehend durchzuarbeiten
und durch eignes Studium zu ergänzen. So war ich in die Lage versetzt, bei
den einleitenden Besprechungen den Referendaren manches Neue aus dem Ge¬
biete der Volkswirtschaft zu bringen und mich zugleich davon zu überzeugen,
wieweit sie selbst mit Verständnis dem Vortrage gefolgt, und wo etwa noch
Mißverständnisse vorhanden und aufzuklären waren.

Nach den einleitenden Besprechungen wird zum zweiten Teile des Kursus,
zum praktischen Fall, übergegangen. Diesen Fall erhalten die Referendare
entweder vorher oder auch erst im Kursus selbst, um sie so an schnelle Auf¬
fassung und Entscheidung zu gewöhnen. Ein Referendar übernimmt den Vortrag
des Falles, entwickelt den Tatbestand und gibt sein Votum ab, indem er des
Nähern Bezug nimmt auf die gesetzlichen Bestimmungen, mit denen er seine
Entscheidung begründet. Daran schließen sich in der Regel recht anregende
Debatten, die insofern für den angehenden Verwaltungsbeamten lehrreich sind,
als dabei der große Unterschied zwischen öffentlichem und Privatrecht oftmals
in die Erscheinung tritt. Und mannigfach ist auch das Ergebnis, daß man
sagen muß: rein logisch, rein juristisch, rein formell betrachtet muß die Ent¬
scheidung so und so getroffen werden. Praktisch ist dies aber wahrlich nicht.
Da ist es gut, wenn sich der junge Verwaltungsbeamte mit dem Gedanken
vertraut macht, daß in der Praxis der Verwaltung dem rein Juristischen und
Formellen kein allzu großer Platz eingeräumt werden darf. "Der Ruhm der
unbedingten Folgerichtigkeit, der von praktischen, dem Vaterlande dienenden Staats¬
männern immer gering geschätzt wird" -- dieser Ruhm darf den jungen Ver¬
waltungsbeamten nicht "eines und alles" sein. (Vgl. Treitschke, Deutsche Ge¬
schichte des 19. Jahrhunderts, Band V, S. 641.) Wer praktische Erfolge erreichen
will, der muß auch den Wagemut haben, fünf gerade sein zu lassen und unter
Umständen -- gegen alle Formvorschriften -- mit rücksichtsloser Tat vorzu-
gehn. Zur Orientierung sei hier ein praktischer Fall erwähnt:

Zuständigkeitsgesetz Titel VII. Schulangelegenheiten

Der preußische Fiskus hatte aus der Zeit, wo Neuvorpommern und Rügen
noch zu Schweden gehörten, bedeutenden Grundbesitz als Rechtsnachfolger der
schwedischen Krone übernommen. Zumal auf der Insel Rügen gehörten ganze
Bauerndörfer dem Fiskus, ein Besitz, der so viel Schwierigkeiten bereitete, daß man
sich schließlich dazu entschloß, einen großen Teil des fiskalischen Grundbesitzes zu
parzellieren und die einzelnen parzellierten Grundstücke an Bauern, Büdner und
Kossäten zu veräußern. Dies geschah in der Bauerngemeinde D. im Jahre 1831.


Die Rurse für Regiermigsreferendare

insbesondre unter Berücksichtigung der Besitzverteilung, Verschuldung und Arbeiter¬
fragen; Hauptprobleme der Jndustriepolitik, Kartelle und Gewerkvereine : Problem
des Handels und der Handelspolitik; Mittelstand, Kleinhandel, Handwerk; Bank-
uud Börsenwesen; Genossenschaftswesen; Unternehmerfunktion des Staats und
der ihm untergeordneten öffentlich-rechtlichen Instanz,

Nach dem Vortrage stellte der Professor die notwendigen Schriften zur
Verfügung, die es mir möglich machten, den Vortrag eingehend durchzuarbeiten
und durch eignes Studium zu ergänzen. So war ich in die Lage versetzt, bei
den einleitenden Besprechungen den Referendaren manches Neue aus dem Ge¬
biete der Volkswirtschaft zu bringen und mich zugleich davon zu überzeugen,
wieweit sie selbst mit Verständnis dem Vortrage gefolgt, und wo etwa noch
Mißverständnisse vorhanden und aufzuklären waren.

Nach den einleitenden Besprechungen wird zum zweiten Teile des Kursus,
zum praktischen Fall, übergegangen. Diesen Fall erhalten die Referendare
entweder vorher oder auch erst im Kursus selbst, um sie so an schnelle Auf¬
fassung und Entscheidung zu gewöhnen. Ein Referendar übernimmt den Vortrag
des Falles, entwickelt den Tatbestand und gibt sein Votum ab, indem er des
Nähern Bezug nimmt auf die gesetzlichen Bestimmungen, mit denen er seine
Entscheidung begründet. Daran schließen sich in der Regel recht anregende
Debatten, die insofern für den angehenden Verwaltungsbeamten lehrreich sind,
als dabei der große Unterschied zwischen öffentlichem und Privatrecht oftmals
in die Erscheinung tritt. Und mannigfach ist auch das Ergebnis, daß man
sagen muß: rein logisch, rein juristisch, rein formell betrachtet muß die Ent¬
scheidung so und so getroffen werden. Praktisch ist dies aber wahrlich nicht.
Da ist es gut, wenn sich der junge Verwaltungsbeamte mit dem Gedanken
vertraut macht, daß in der Praxis der Verwaltung dem rein Juristischen und
Formellen kein allzu großer Platz eingeräumt werden darf. „Der Ruhm der
unbedingten Folgerichtigkeit, der von praktischen, dem Vaterlande dienenden Staats¬
männern immer gering geschätzt wird" — dieser Ruhm darf den jungen Ver¬
waltungsbeamten nicht „eines und alles" sein. (Vgl. Treitschke, Deutsche Ge¬
schichte des 19. Jahrhunderts, Band V, S. 641.) Wer praktische Erfolge erreichen
will, der muß auch den Wagemut haben, fünf gerade sein zu lassen und unter
Umständen — gegen alle Formvorschriften — mit rücksichtsloser Tat vorzu-
gehn. Zur Orientierung sei hier ein praktischer Fall erwähnt:

Zuständigkeitsgesetz Titel VII. Schulangelegenheiten

Der preußische Fiskus hatte aus der Zeit, wo Neuvorpommern und Rügen
noch zu Schweden gehörten, bedeutenden Grundbesitz als Rechtsnachfolger der
schwedischen Krone übernommen. Zumal auf der Insel Rügen gehörten ganze
Bauerndörfer dem Fiskus, ein Besitz, der so viel Schwierigkeiten bereitete, daß man
sich schließlich dazu entschloß, einen großen Teil des fiskalischen Grundbesitzes zu
parzellieren und die einzelnen parzellierten Grundstücke an Bauern, Büdner und
Kossäten zu veräußern. Dies geschah in der Bauerngemeinde D. im Jahre 1831.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/290>, abgerufen am 26.05.2024.