Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Papstburg zu Avignon

Hand und an den dafür besonders geeigneten Stellen. Ernste Erörterungen
über Gott, Gottesglauben und Gottesverehrung, über die Unmöglichkeit der
Gotteslästerung, über die Pflichten des Erziehers erinnern uns an die edle
Tendenz des "Krauskopf"; Wette spricht hier am deutlichsten aus dem Spöken-
kiker. Ebenso erfreut uns überall der prächtige Humor und die Festigkeit der
Lebensanschauungen Weites, die schon beim "Krauskopf" wie Sterne in der
Nacht die bedenklichsten Situationen erhellten.

Daß es dem Dichter nicht um Spiele seiner Phantasie, sondern um traurig
ernste Lebensfragen zu tun ist, erfahren wir schon aus dein Gedichte "Nemesis",
das dem Roman vorausgeht. Die Schlußworte mögen auch hier dafür zeugen:

Getrost konnte Wette seinen "Spvkenkiker" in die Welt ausschicken: er
wird allen Lesern Freude und hohen Genuß bereiten. Die frische, natürliche und
doch sorgfältig gepflegte Sprache wird ihm den Weg ebnen, die geschmackvolle
und vornehme Ausstattung auch die Aufmerksamkeit derer fesseln, die den Dichter
Al. Reifferscheid bisher nicht kannten. "".




Die Papstburg zu Avignon
F. Biehringer Von

meer allen Städten Südfrankreichs hat wohl keine im Mittelalter
eine so hervorragende Rolle gespielt, keine aber auch einen nnheil-
vollern Einfluß auf das Geschick ihrer nähern Umgebung und auf
das von ganz Europa ausgeübt als Avignon. Wenn die greuel¬
vollen Bruderkriege, die Frankreichs blühende Gefilde im sechzehnten
und im achtzehnten Jahrhundert verwüsteten, in der Provence und
in Languedoc rin mehr Erbitterung als in andern Provinzen geführt wurden, so
trug vor allem Avignon die Schuld daran. Wurden doch hier am Hofe des
päpstlichen Vizelegaten mit einem Fanatismus ohnegleichen die Waffen ge¬
schliffen, die treuen Anhänger des Evangeliums von Haus und Hof, ans
der Heimat, die ihr stiller Fleiß aus trostloser Steinwüste in einen blühenden
Garten verwandelt hatte, Vertrieben oder erbarmungslos der Inquisition über¬
liefert. Und zwar klebt dieser Geist der Unduldsamkeit, der auch heute noch
nicht völlig erloschen ist, der Stadt schon seit jenen Tagen an, wo sie aus
dem Dunkel einer einfachen Provinzialstadt hervortretend plötzlich zum Brenn¬
punkt des gesamten geistlichen Lebens im Mittelalter wurde.


Die Papstburg zu Avignon

Hand und an den dafür besonders geeigneten Stellen. Ernste Erörterungen
über Gott, Gottesglauben und Gottesverehrung, über die Unmöglichkeit der
Gotteslästerung, über die Pflichten des Erziehers erinnern uns an die edle
Tendenz des „Krauskopf"; Wette spricht hier am deutlichsten aus dem Spöken-
kiker. Ebenso erfreut uns überall der prächtige Humor und die Festigkeit der
Lebensanschauungen Weites, die schon beim „Krauskopf" wie Sterne in der
Nacht die bedenklichsten Situationen erhellten.

Daß es dem Dichter nicht um Spiele seiner Phantasie, sondern um traurig
ernste Lebensfragen zu tun ist, erfahren wir schon aus dein Gedichte „Nemesis",
das dem Roman vorausgeht. Die Schlußworte mögen auch hier dafür zeugen:

Getrost konnte Wette seinen „Spvkenkiker" in die Welt ausschicken: er
wird allen Lesern Freude und hohen Genuß bereiten. Die frische, natürliche und
doch sorgfältig gepflegte Sprache wird ihm den Weg ebnen, die geschmackvolle
und vornehme Ausstattung auch die Aufmerksamkeit derer fesseln, die den Dichter
Al. Reifferscheid bisher nicht kannten. „„.




Die Papstburg zu Avignon
F. Biehringer Von

meer allen Städten Südfrankreichs hat wohl keine im Mittelalter
eine so hervorragende Rolle gespielt, keine aber auch einen nnheil-
vollern Einfluß auf das Geschick ihrer nähern Umgebung und auf
das von ganz Europa ausgeübt als Avignon. Wenn die greuel¬
vollen Bruderkriege, die Frankreichs blühende Gefilde im sechzehnten
und im achtzehnten Jahrhundert verwüsteten, in der Provence und
in Languedoc rin mehr Erbitterung als in andern Provinzen geführt wurden, so
trug vor allem Avignon die Schuld daran. Wurden doch hier am Hofe des
päpstlichen Vizelegaten mit einem Fanatismus ohnegleichen die Waffen ge¬
schliffen, die treuen Anhänger des Evangeliums von Haus und Hof, ans
der Heimat, die ihr stiller Fleiß aus trostloser Steinwüste in einen blühenden
Garten verwandelt hatte, Vertrieben oder erbarmungslos der Inquisition über¬
liefert. Und zwar klebt dieser Geist der Unduldsamkeit, der auch heute noch
nicht völlig erloschen ist, der Stadt schon seit jenen Tagen an, wo sie aus
dem Dunkel einer einfachen Provinzialstadt hervortretend plötzlich zum Brenn¬
punkt des gesamten geistlichen Lebens im Mittelalter wurde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303786"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Papstburg zu Avignon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1602" prev="#ID_1601"> Hand und an den dafür besonders geeigneten Stellen. Ernste Erörterungen<lb/>
über Gott, Gottesglauben und Gottesverehrung, über die Unmöglichkeit der<lb/>
Gotteslästerung, über die Pflichten des Erziehers erinnern uns an die edle<lb/>
Tendenz des &#x201E;Krauskopf"; Wette spricht hier am deutlichsten aus dem Spöken-<lb/>
kiker. Ebenso erfreut uns überall der prächtige Humor und die Festigkeit der<lb/>
Lebensanschauungen Weites, die schon beim &#x201E;Krauskopf" wie Sterne in der<lb/>
Nacht die bedenklichsten Situationen erhellten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1603"> Daß es dem Dichter nicht um Spiele seiner Phantasie, sondern um traurig<lb/>
ernste Lebensfragen zu tun ist, erfahren wir schon aus dein Gedichte &#x201E;Nemesis",<lb/>
das dem Roman vorausgeht. Die Schlußworte mögen auch hier dafür zeugen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_4" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1604"> Getrost konnte Wette seinen &#x201E;Spvkenkiker" in die Welt ausschicken: er<lb/>
wird allen Lesern Freude und hohen Genuß bereiten. Die frische, natürliche und<lb/>
doch sorgfältig gepflegte Sprache wird ihm den Weg ebnen, die geschmackvolle<lb/>
und vornehme Ausstattung auch die Aufmerksamkeit derer fesseln, die den Dichter<lb/><note type="byline"> Al. Reifferscheid</note> bisher nicht kannten. &#x201E;&#x201E;. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Papstburg zu Avignon<lb/><note type="byline"> F. Biehringer</note> Von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1605"> meer allen Städten Südfrankreichs hat wohl keine im Mittelalter<lb/>
eine so hervorragende Rolle gespielt, keine aber auch einen nnheil-<lb/>
vollern Einfluß auf das Geschick ihrer nähern Umgebung und auf<lb/>
das von ganz Europa ausgeübt als Avignon. Wenn die greuel¬<lb/>
vollen Bruderkriege, die Frankreichs blühende Gefilde im sechzehnten<lb/>
und im achtzehnten Jahrhundert verwüsteten, in der Provence und<lb/>
in Languedoc rin mehr Erbitterung als in andern Provinzen geführt wurden, so<lb/>
trug vor allem Avignon die Schuld daran. Wurden doch hier am Hofe des<lb/>
päpstlichen Vizelegaten mit einem Fanatismus ohnegleichen die Waffen ge¬<lb/>
schliffen, die treuen Anhänger des Evangeliums von Haus und Hof, ans<lb/>
der Heimat, die ihr stiller Fleiß aus trostloser Steinwüste in einen blühenden<lb/>
Garten verwandelt hatte, Vertrieben oder erbarmungslos der Inquisition über¬<lb/>
liefert. Und zwar klebt dieser Geist der Unduldsamkeit, der auch heute noch<lb/>
nicht völlig erloschen ist, der Stadt schon seit jenen Tagen an, wo sie aus<lb/>
dem Dunkel einer einfachen Provinzialstadt hervortretend plötzlich zum Brenn¬<lb/>
punkt des gesamten geistlichen Lebens im Mittelalter wurde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] Die Papstburg zu Avignon Hand und an den dafür besonders geeigneten Stellen. Ernste Erörterungen über Gott, Gottesglauben und Gottesverehrung, über die Unmöglichkeit der Gotteslästerung, über die Pflichten des Erziehers erinnern uns an die edle Tendenz des „Krauskopf"; Wette spricht hier am deutlichsten aus dem Spöken- kiker. Ebenso erfreut uns überall der prächtige Humor und die Festigkeit der Lebensanschauungen Weites, die schon beim „Krauskopf" wie Sterne in der Nacht die bedenklichsten Situationen erhellten. Daß es dem Dichter nicht um Spiele seiner Phantasie, sondern um traurig ernste Lebensfragen zu tun ist, erfahren wir schon aus dein Gedichte „Nemesis", das dem Roman vorausgeht. Die Schlußworte mögen auch hier dafür zeugen: Getrost konnte Wette seinen „Spvkenkiker" in die Welt ausschicken: er wird allen Lesern Freude und hohen Genuß bereiten. Die frische, natürliche und doch sorgfältig gepflegte Sprache wird ihm den Weg ebnen, die geschmackvolle und vornehme Ausstattung auch die Aufmerksamkeit derer fesseln, die den Dichter Al. Reifferscheid bisher nicht kannten. „„. Die Papstburg zu Avignon F. Biehringer Von meer allen Städten Südfrankreichs hat wohl keine im Mittelalter eine so hervorragende Rolle gespielt, keine aber auch einen nnheil- vollern Einfluß auf das Geschick ihrer nähern Umgebung und auf das von ganz Europa ausgeübt als Avignon. Wenn die greuel¬ vollen Bruderkriege, die Frankreichs blühende Gefilde im sechzehnten und im achtzehnten Jahrhundert verwüsteten, in der Provence und in Languedoc rin mehr Erbitterung als in andern Provinzen geführt wurden, so trug vor allem Avignon die Schuld daran. Wurden doch hier am Hofe des päpstlichen Vizelegaten mit einem Fanatismus ohnegleichen die Waffen ge¬ schliffen, die treuen Anhänger des Evangeliums von Haus und Hof, ans der Heimat, die ihr stiller Fleiß aus trostloser Steinwüste in einen blühenden Garten verwandelt hatte, Vertrieben oder erbarmungslos der Inquisition über¬ liefert. Und zwar klebt dieser Geist der Unduldsamkeit, der auch heute noch nicht völlig erloschen ist, der Stadt schon seit jenen Tagen an, wo sie aus dem Dunkel einer einfachen Provinzialstadt hervortretend plötzlich zum Brenn¬ punkt des gesamten geistlichen Lebens im Mittelalter wurde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/370>, abgerufen am 26.05.2024.