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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Verschied er, wenig über 53 Jahre alt, am 29. Februar 1820 in Cudowa, wo
er auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Ein schlichter Stein mit einer
Urne darauf, im Stile der Zeit, bezeichnet sein Grab. Er hat keine großen
Schlachten geschlagen, aber wenn Schlesien dem preußischen Staat erhalten
blieb, und wenn von dort der Befreiungskrieg ausging, so ist das vor allem
Götzens Verdienst.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Vierte Reihe
Das Gesetz der Trägheit

(?^?^as wäre nun alles ganz gut und schön, und man könnte von den
' Verfügungen hoher Behörden, die von oben her das Land feuchten,
die heilsamste Frucht erwarten, wenn eins nicht wäre, das Gesetz
der Trägheit, die tote Last des Körperlichen, die ebenso schwer in
Bewegung zu bringen ist wie ein Pendel, an dem ein Wollsack
hängt. Ach, Wie viele Journalnummern sind nur Nummern, nur
Rufe, denen kein Echo antwortet. Das ist ganz gut so, antwortete mir neulich,
als ich diesen Gedanken aussprach, Amtmann Schneppmüller, es wäre ja sonst vor
lauter Regiertwerden nicht auszuhalten.

In Dorneburg feierte "man", das heißt die städtischen, die Kreisbehörden
und sonstige an der Sache beteiligte Herren aus Stadt und Land, die Vollendung
der Filteranlagen unterhalb der Stadt, wodurch die Bomse, ein Fluß, der klar
und frisch in die Stadt eintrat und sie unsäglich schmutzig verließ, saniert werden
sollte. Der Herr Kreisarzt war in hoher Erregung. Er hatte bei Tisch schon
dreimal geredet und faßte nun den Inhalt seiner Reden in wenige monumentale
Sätze zusammen. Ein jedes Zeitalter, meine Herren, sagte er, hat seine besondre
Aufgabe. Unsre Zeit steht unter dem Sternbilde der Hygiene. Die Sanierung
der durch das moderne Wirtschaftsleben verseuchten Erdoberfläche ist Pflicht und
Aufgabe der jetzt lebenden Menschheit, ist Pflicht und Aufgabe der Wissenschaft
und der Verwaltung. Meine Herren, der heutige Tag gibt Zeugnis von der Er¬
füllung dieser Pflicht seitens der Stadt. Möchten auch Sie, meine Herren vom
Lande, helfende Hand reichen zur Sanierung des Landkreises. In diesem Sinne --
Folgte der dritte Toast auf den Herrn Landrat, den dieser wohlwollend und etwas
verlegen entgegennahm.

Die von dem Herrn Kreisarzt an das Land gerichtete Anrede duldete den
Herrn Kreisdeputierten August Regener, Gutsbesitzer in Obergrafenstein, nicht auf
dem Stuhle und bewog ihn, mit allem Nachdrucke, den ihm seine Stimme verlieh,
zu erklären, daß die Zustände auf dem Lande allerdings schauderhaft seien, daß
aber das Land den dankenswerten Bestrebungen des Herrn Landrath und des
Herrn Kreisarztes in aller und jeder Hinsicht voll und ganz entgegenkomme, daß
man keine Kosten scheue, und daß die ländliche Bevölkerung nur darauf warte,
von dem Herrn Landrate zu ihrem eignen Besten gezwungen zu werden. Heiter¬
keit. Ja, meine Herren, unterbrach sich August Regener, Sie wissen ja, wie es


Grenzboten IV 1907 91
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Verschied er, wenig über 53 Jahre alt, am 29. Februar 1820 in Cudowa, wo
er auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Ein schlichter Stein mit einer
Urne darauf, im Stile der Zeit, bezeichnet sein Grab. Er hat keine großen
Schlachten geschlagen, aber wenn Schlesien dem preußischen Staat erhalten
blieb, und wenn von dort der Befreiungskrieg ausging, so ist das vor allem
Götzens Verdienst.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Vierte Reihe
Das Gesetz der Trägheit

(?^?^as wäre nun alles ganz gut und schön, und man könnte von den
' Verfügungen hoher Behörden, die von oben her das Land feuchten,
die heilsamste Frucht erwarten, wenn eins nicht wäre, das Gesetz
der Trägheit, die tote Last des Körperlichen, die ebenso schwer in
Bewegung zu bringen ist wie ein Pendel, an dem ein Wollsack
hängt. Ach, Wie viele Journalnummern sind nur Nummern, nur
Rufe, denen kein Echo antwortet. Das ist ganz gut so, antwortete mir neulich,
als ich diesen Gedanken aussprach, Amtmann Schneppmüller, es wäre ja sonst vor
lauter Regiertwerden nicht auszuhalten.

In Dorneburg feierte „man", das heißt die städtischen, die Kreisbehörden
und sonstige an der Sache beteiligte Herren aus Stadt und Land, die Vollendung
der Filteranlagen unterhalb der Stadt, wodurch die Bomse, ein Fluß, der klar
und frisch in die Stadt eintrat und sie unsäglich schmutzig verließ, saniert werden
sollte. Der Herr Kreisarzt war in hoher Erregung. Er hatte bei Tisch schon
dreimal geredet und faßte nun den Inhalt seiner Reden in wenige monumentale
Sätze zusammen. Ein jedes Zeitalter, meine Herren, sagte er, hat seine besondre
Aufgabe. Unsre Zeit steht unter dem Sternbilde der Hygiene. Die Sanierung
der durch das moderne Wirtschaftsleben verseuchten Erdoberfläche ist Pflicht und
Aufgabe der jetzt lebenden Menschheit, ist Pflicht und Aufgabe der Wissenschaft
und der Verwaltung. Meine Herren, der heutige Tag gibt Zeugnis von der Er¬
füllung dieser Pflicht seitens der Stadt. Möchten auch Sie, meine Herren vom
Lande, helfende Hand reichen zur Sanierung des Landkreises. In diesem Sinne —
Folgte der dritte Toast auf den Herrn Landrat, den dieser wohlwollend und etwas
verlegen entgegennahm.

Die von dem Herrn Kreisarzt an das Land gerichtete Anrede duldete den
Herrn Kreisdeputierten August Regener, Gutsbesitzer in Obergrafenstein, nicht auf
dem Stuhle und bewog ihn, mit allem Nachdrucke, den ihm seine Stimme verlieh,
zu erklären, daß die Zustände auf dem Lande allerdings schauderhaft seien, daß
aber das Land den dankenswerten Bestrebungen des Herrn Landrath und des
Herrn Kreisarztes in aller und jeder Hinsicht voll und ganz entgegenkomme, daß
man keine Kosten scheue, und daß die ländliche Bevölkerung nur darauf warte,
von dem Herrn Landrate zu ihrem eignen Besten gezwungen zu werden. Heiter¬
keit. Ja, meine Herren, unterbrach sich August Regener, Sie wissen ja, wie es


Grenzboten IV 1907 91
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[0705] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Verschied er, wenig über 53 Jahre alt, am 29. Februar 1820 in Cudowa, wo er auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Ein schlichter Stein mit einer Urne darauf, im Stile der Zeit, bezeichnet sein Grab. Er hat keine großen Schlachten geschlagen, aber wenn Schlesien dem preußischen Staat erhalten blieb, und wenn von dort der Befreiungskrieg ausging, so ist das vor allem Götzens Verdienst. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Vierte Reihe Das Gesetz der Trägheit (?^?^as wäre nun alles ganz gut und schön, und man könnte von den ' Verfügungen hoher Behörden, die von oben her das Land feuchten, die heilsamste Frucht erwarten, wenn eins nicht wäre, das Gesetz der Trägheit, die tote Last des Körperlichen, die ebenso schwer in Bewegung zu bringen ist wie ein Pendel, an dem ein Wollsack hängt. Ach, Wie viele Journalnummern sind nur Nummern, nur Rufe, denen kein Echo antwortet. Das ist ganz gut so, antwortete mir neulich, als ich diesen Gedanken aussprach, Amtmann Schneppmüller, es wäre ja sonst vor lauter Regiertwerden nicht auszuhalten. In Dorneburg feierte „man", das heißt die städtischen, die Kreisbehörden und sonstige an der Sache beteiligte Herren aus Stadt und Land, die Vollendung der Filteranlagen unterhalb der Stadt, wodurch die Bomse, ein Fluß, der klar und frisch in die Stadt eintrat und sie unsäglich schmutzig verließ, saniert werden sollte. Der Herr Kreisarzt war in hoher Erregung. Er hatte bei Tisch schon dreimal geredet und faßte nun den Inhalt seiner Reden in wenige monumentale Sätze zusammen. Ein jedes Zeitalter, meine Herren, sagte er, hat seine besondre Aufgabe. Unsre Zeit steht unter dem Sternbilde der Hygiene. Die Sanierung der durch das moderne Wirtschaftsleben verseuchten Erdoberfläche ist Pflicht und Aufgabe der jetzt lebenden Menschheit, ist Pflicht und Aufgabe der Wissenschaft und der Verwaltung. Meine Herren, der heutige Tag gibt Zeugnis von der Er¬ füllung dieser Pflicht seitens der Stadt. Möchten auch Sie, meine Herren vom Lande, helfende Hand reichen zur Sanierung des Landkreises. In diesem Sinne — Folgte der dritte Toast auf den Herrn Landrat, den dieser wohlwollend und etwas verlegen entgegennahm. Die von dem Herrn Kreisarzt an das Land gerichtete Anrede duldete den Herrn Kreisdeputierten August Regener, Gutsbesitzer in Obergrafenstein, nicht auf dem Stuhle und bewog ihn, mit allem Nachdrucke, den ihm seine Stimme verlieh, zu erklären, daß die Zustände auf dem Lande allerdings schauderhaft seien, daß aber das Land den dankenswerten Bestrebungen des Herrn Landrath und des Herrn Kreisarztes in aller und jeder Hinsicht voll und ganz entgegenkomme, daß man keine Kosten scheue, und daß die ländliche Bevölkerung nur darauf warte, von dem Herrn Landrate zu ihrem eignen Besten gezwungen zu werden. Heiter¬ keit. Ja, meine Herren, unterbrach sich August Regener, Sie wissen ja, wie es Grenzboten IV 1907 91

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/705>, abgerufen am 26.05.2024.