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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Drewes zuerst und dann bei Kantors und zuletzt auf der Pfarre. Amalie ist daran
schuld gewesen, und der Herr Pfarrer hat nicht durchdringen können und zuletzt
seine Hände in Unschuld gewaschen. Und nun setzte auch noch Regenwetter ein.
Das war offenbar vis inasor, man gab den Kampf mit den Mäuschen Flüssigkeiten
auf. ließ laufen, was laufen wollte, und es währte nicht lange, so war Obergrafen¬
stein wieder, was es zuvor gewesen war.

Nach Jahr und Tag wurde in Dorneburg Kreistag abgehalten. Der Herr
Landrat hatte den Brauch, eine Übersicht zu geben über die Arbeiten und Erfolge
des vergangnen Jahres. Und so verfehlte er denn auch nicht zu rühmen, was
für die bessere Feuersicherheit des Kreises geschehn sei, namentlich für die allgemeine
Einführung vorschriftsmäßiger Aschengruben.

Haben Sie denn eine Aschengrube? fragte währenddessen leise der Kreis¬
deputierte Erbsmehl den Kreisdeputierten Fabian.

Nee. Sie?

Nee, auch nicht.

Darauf ging der Herr Landrat zum Berichte über die Sanierung der länd¬
lichen Ortschaften über.

Sagen Sie mal, fragte Erbsmehl, wo steckt denn Regener?

Hat den Typhus.

Den Typhus? In Obergrafenstcin? So ein gesunder Ort!

Ja, er hat in seinem Hofe ein Senkgrube für die Abwässer angelegt. Wissen
Sie hinter dem Pferdeställe, nicht weit vom Brunnen. Es ist der einzige, der es
gemacht hat. Und nun ist bei dem vielen Regen das Schmutzwasser in den Brunnen
getreten. Jetzt hat das ganze Haus deu Typhus. Sehen Sie, das hat er davon.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

(Der Streit im Flottenverein.)
Reichsspiegel.

Wo sind die Zeiten hin, wo es auch im Getriebe der Politik Augenblicke
stiller Sammlung gab? Bei dem immer lebhafter werdenden Anteil der Öffent¬
lichkeit an allen möglichen Angelegenheiten gibt es solche ruhigen Momente kaum
noch. Im vorigen Jahre klang der Lärm der Wahlagitation schon in die Weihnachts¬
feier hinein, und jetzt sind es innere Kämpfe um die Form der nationalen Agi¬
tation, die -- neben allerhand Sensationen -- die politischen Kreise in Erregung
versetzen. Der Hardenprozeß beginnt eben jetzt vor dem Feste in zweiter Auflage,
und nun hat auch der Streit im Flottenverein viele Köpfe erhitzt und droht ver-
schiedne, recht unangenehme Folgen zu zeitigen. Die Sache hat immerhin eine
solche Ausdehnung gewonnen, daß man an dieser Stelle nicht daran vorüber¬
gehn kann.

Im Mittelpunkt steht eine grundsätzliche Frage, nämlich in welcher Form ein
nationaler Verein seine Agitation treiben und wie weit er sie ausdehnen soll.
Zwei gruudverschiedne Meinungen stehn sich gegenüber. Die eine wünscht von dem
Flottenverein, daß er im Anschluß an die berufnen Stellen unter ihrer Leitung
und Kontrolle das Verständnis für ihre Wünsche und Pläne im Volke durch ruhige,
sachliche Belehrung fördern soll. Die andre will, unabhängig von den Wünschen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Drewes zuerst und dann bei Kantors und zuletzt auf der Pfarre. Amalie ist daran
schuld gewesen, und der Herr Pfarrer hat nicht durchdringen können und zuletzt
seine Hände in Unschuld gewaschen. Und nun setzte auch noch Regenwetter ein.
Das war offenbar vis inasor, man gab den Kampf mit den Mäuschen Flüssigkeiten
auf. ließ laufen, was laufen wollte, und es währte nicht lange, so war Obergrafen¬
stein wieder, was es zuvor gewesen war.

Nach Jahr und Tag wurde in Dorneburg Kreistag abgehalten. Der Herr
Landrat hatte den Brauch, eine Übersicht zu geben über die Arbeiten und Erfolge
des vergangnen Jahres. Und so verfehlte er denn auch nicht zu rühmen, was
für die bessere Feuersicherheit des Kreises geschehn sei, namentlich für die allgemeine
Einführung vorschriftsmäßiger Aschengruben.

Haben Sie denn eine Aschengrube? fragte währenddessen leise der Kreis¬
deputierte Erbsmehl den Kreisdeputierten Fabian.

Nee. Sie?

Nee, auch nicht.

Darauf ging der Herr Landrat zum Berichte über die Sanierung der länd¬
lichen Ortschaften über.

Sagen Sie mal, fragte Erbsmehl, wo steckt denn Regener?

Hat den Typhus.

Den Typhus? In Obergrafenstcin? So ein gesunder Ort!

Ja, er hat in seinem Hofe ein Senkgrube für die Abwässer angelegt. Wissen
Sie hinter dem Pferdeställe, nicht weit vom Brunnen. Es ist der einzige, der es
gemacht hat. Und nun ist bei dem vielen Regen das Schmutzwasser in den Brunnen
getreten. Jetzt hat das ganze Haus deu Typhus. Sehen Sie, das hat er davon.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

(Der Streit im Flottenverein.)
Reichsspiegel.

Wo sind die Zeiten hin, wo es auch im Getriebe der Politik Augenblicke
stiller Sammlung gab? Bei dem immer lebhafter werdenden Anteil der Öffent¬
lichkeit an allen möglichen Angelegenheiten gibt es solche ruhigen Momente kaum
noch. Im vorigen Jahre klang der Lärm der Wahlagitation schon in die Weihnachts¬
feier hinein, und jetzt sind es innere Kämpfe um die Form der nationalen Agi¬
tation, die — neben allerhand Sensationen — die politischen Kreise in Erregung
versetzen. Der Hardenprozeß beginnt eben jetzt vor dem Feste in zweiter Auflage,
und nun hat auch der Streit im Flottenverein viele Köpfe erhitzt und droht ver-
schiedne, recht unangenehme Folgen zu zeitigen. Die Sache hat immerhin eine
solche Ausdehnung gewonnen, daß man an dieser Stelle nicht daran vorüber¬
gehn kann.

Im Mittelpunkt steht eine grundsätzliche Frage, nämlich in welcher Form ein
nationaler Verein seine Agitation treiben und wie weit er sie ausdehnen soll.
Zwei gruudverschiedne Meinungen stehn sich gegenüber. Die eine wünscht von dem
Flottenverein, daß er im Anschluß an die berufnen Stellen unter ihrer Leitung
und Kontrolle das Verständnis für ihre Wünsche und Pläne im Volke durch ruhige,
sachliche Belehrung fördern soll. Die andre will, unabhängig von den Wünschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/711>, abgerufen am 26.05.2024.